"Steigende Gaspreise haben nichts mit der Energiewende zu tun"

Seite 2: Umstieg auf erneuerbare Energien binnen zehn Jahren

In der EU wird diskutiert, die Atomkraft als nachhaltige Energiequelle einstufen und so künftige Investitionen in diesem Bereich fördern …

David Goeßmann: Das ist eine unsinnige und falsche Idee. Atomstrom ist teuer, mit großen, nicht versicherbaren Risiken verbunden und auch nicht nachhaltig, da es bisher gar keine Endlagerlösung für den strahlenden Müll gibt.

Außerdem hat Atomkraft keinerlei Unterstützung in der Bevölkerung, jedenfalls nicht in Deutschland. Studien über Studien zeigen demgegenüber, dass ein schneller Komplettumstieg auf 100 Prozent Erneuerbare (Wind, Solar, Wasserkraft, Geothermie etc.) inklusive der Speicherkosten in zehn Jahren möglich und kostengünstiger ist als der Weiterbetrieb der fossil-atomaren Infrastruktur.

Der Umstieg wäre zudem am besten umsetzbar mit einer dezentralen, von den Kommunen und Genossenschaften selber betriebenen Erzeugung von und Versorgung mit Energie, die ihnen auch ökonomisch zugutekommen würde. Das Geld aus den Windrädern können die Bürgermeister:innen für Schulen und die Gesundheitsversorgung ausgeben.

Wenn wir in der EU aber schon jetzt Versorgungsprobleme haben – und die sind ja offensichtlich –, wird der Ausstieg aus Kohle und Gas diesen Trend nicht noch verschärfen?

David Goeßmann: Wie gesagt, der Umstieg auf 100 Prozent Erneuerbare ist technisch und ökonomisch sofort und schnell möglich. Es wird dabei keine Versorgungslücke geben. Vielmehr wird mit dem Umschwung, der viel früher hätte passieren müssen, Versorgungssicherheit erst garantiert, die die fossilen Energieträger immer weniger bieten können.

Im Übrigen ist die fossile Versorgungssicherheit ja immer das Produkt militärisch-ökonomischer Macht, Förder- und Transitländer unter Druck setzen zu können, genügend Brennstoffe zu einem akzeptablen Preis bereitzustellen.

Es gibt auch kein Umsetzungsproblem, das Engpässe erzeugen würde. Die Erneuerbaren-Technologien sind alle vorhanden und erprobt in Betrieb. Die notwendigen Speicher sind längst kein Problem mehr.

Beim Heizen gibt es Wärmepumpen und andere Substitute wie nicht-fossile Blockheizkraftwerke, die Gas, Kohle und Öl umgehend ersetzen können.

Politisch gibt es eine Reihe von Instrumentarien wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das nur von seinen Ketten befreit werden muss, um die Ausbaudynamiken der 2000er wiederzubeleben. Es gibt auch erste Pilotprojekte für den schnellen Umstieg.

Im Ahrtal, das von Überschwemmung schwer getroffen wurde, die Schäden von bis zu 30 Milliarden Euro angerichteten, gibt es nun die Initiative SolAHRtal, die einen klimaneutralen Wiederaufbau organisiert. Eine Studie zeigt, dass das in zehn Jahren kostengünstig machbar ist.

Derartige Technikrevolutionen in wenigen Jahren sind historisch gesehen nichts Außergewöhnliches. Die Ablösung der Pferdekutschen durch Autos, die Einführung des PCs oder des Mobilfunks benötigten ein Jahrzehnt, um sie flächendeckend zu verbreiten und immer leistungsfähiger zu machen.

Das muss jetzt mit der CO₂-freien Energietechnologie ebenfalls geschehen. Die Alternative ist eine immer teurere und volatiler werdende fossile Energieversorgung, die durch Förderengpässe, Willkür von Förderländern oder Störungen von Pipelines und Handelswegen gefährdet wird.

Hinzu kommt, dass Kohle, Öl und Gas immer aufwändiger gefördert werden müssen (man spricht von unkonventionellen Reserven wie den Schiefersand in Kanada oder Tiefseebohrungen), die daher zunehmend ineffizienter und kostenintensiver werden.

Dagegen sind Wind, Sonne und Erdwärme überall reichlich vorhanden. Es gibt keinen Mangel an erneuerbaren Energien und Ökostrom.

Doch die geschürte Angst vor der Versorgungslücke hält sich beharrlich. Dabei sind die Energiewende-Skeptiker längst historisch widerlegt worden.

So wurde immer wieder propagiert, dass mehr als fünf Prozent Anteil von Erneuerbaren am Strom-Mix nicht machbar seien. Die Potenziale für den Ausbau von Wind- und Solarenergie wurden ständig kleingeredet. Heute haben wir einen Anteil von Ökostrom von 50 Prozent, trotz der Unkenrufe, trotz der politische Bremsmanöver.

Der schnelle Umstieg auf 100 Prozent ist machbar, billiger, wird die Wirtschaft beleben, schafft Arbeitsplätze und rettet den Planeten. Letztlich gibt es auf einem toten Planeten auch keine Versorgungslücke mehr, weil sich dann eine ganz andere Lücke auftut.

Erdgas wird gemeinhin als Brückentechnologie angepriesen. Sie lehnen dieses Argument ebenso ab wie die These, Gas sei weniger klimaschädlich als Kohle. Warum?

David Goeßmann: Das Argument, dass Gas weniger klimaschädlich sei als Kohle und als Brücke benötigt werde, ist seit Langem überholt und war nie wirklich zutreffend. Studien zeigen, dass bei der Förderung von Erdgas unter anderem Methan freigesetzt wird. Je

nachdem, wie hoch man das Entweichen des aggressiven Treibhausgases ansetzt, ist Erdgas kaum weniger klimaschädlich als Kohle. Inklusive der "indirekten Emissionen" werden bis zu 40 Prozent mehr Emissionen als durch den reinen Verbrennungsakt ausgestoßen.

So errechnete das DIW, dass, selbst wenn die Bundesrepublik ihr zu niedriges Klimaziel bis 2050 erreichen will, der Erdgasbedarf bis dahin um 73 Prozent sinken müsste. Für die EU-Staaten gilt Ähnliches.

Die Ostseepipeline Nord Stream II, durch die zusammen mit dem ersten Röhrenstrang insgesamt 110 Millionen Kubikmeter Gas jedes Jahr strömen können, soll demgegenüber die Nachfrage an Gas noch forcieren.

Die Alternative ist also: Entweder wird Nord Stream ein Investitionsgrab für die beteiligten Unternehmen oder eine weitere Lunte, die an die globale Klimabombe gelegt wird.

Technologien für Energiewende liegen vor

Werden wir also die Energiewende haben, aber im Winter frieren?

David Goeßmann: Es gibt genügend bessere Alternativen, als mit Kohle, Gas und Öl zu heizen. Die Technologien wie Solarthermie, Wärmepumpen mit Geothermie, grüne Blockheizkraftwerke liegen alle auf dem Tisch und müssen nur in Masse umgesetzt werden.

Das kann in kurzer Zeit geschehen. Wir werden jedoch mehr als frieren, wenn wir weiter auf fossile Energien setzen, die wir aus irgendwelchen Tiefen der Erde mühsam kratzen und heraufbefördern, tausende Kilometer weit durch Röhren pumpen oder auf Containerschiffe verfrachten, in Raffinerien überhaupt erst brauchbar machen, dann zu Kraftwerken, Tankstellen und Häusern schleppen, um sie in irgendwelchen, im Vergleich zu der Energieausbeute von erneuerbar erzeugtem Strom ineffizienten Verbrennungsvorgängen in Energie umzuwandeln.

Es ist ein Auslaufmodell, das künstlich mit Steuergeldern rentabel gehalten wird. Wenn wir weiter daraufsetzen, werden wir schon bald keinen Planeten mehr haben, auf dem ein anständiges Leben für die meisten möglich ist. Dann wird frieren unser kleinstes Problem sein.

Herr Goeßmann, in Ihrem Buch Kurs Klimakollaps treten Sie zahlreichen Vorurteilen und Mythen über die Energiewende entgegen. Entscheiden am Ende nicht aber Marktentwicklung und Preisexplosion bei den Heizkosten und Tankstellen statt Argumente?

David Goeßmann: Bevor ich auf die Frage eingehe: Märkte und Preise entscheiden nur zu einem Teil über ökonomische Vorgänge. Der dynamische Teil des real existierenden Kapitalismus liegt im Staatssektor. Das wissen Ökonomen auch, aber es wird nicht gern an die große Glocke gehängt, vor allem nicht von den marktradikalen Neoliberalen.

Fast alle wesentlichen Technologien von Autos, Rundfunk, Computern, Containern, Internet usw. sind kollektive Erfindungen. Sie sind entwickelt worden im Staatssektor, in Universitäten oder Forschungsinstituten, mit Steuergeldern. Auch Kohle, Gas und Öl haben massiv von öffentlichen Finanzierungen gezehrt.

Ohne die staatliche Unterstützung, die Bereitstellung von Infrastrukturen, hätten sich die fossilen Energien niemals auf Märkten durchsetzen können. Die fossilen Industrien sind heute noch derart unwirtschaftlich und ineffektiv, trotz der staatlichen Dauerunterstützung, dass sie weiter massiv subventioniert werden müssen, um bezahlbare Energie bereitstellen zu können.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat in einer Studie berechnet, dass Kohle, Gas und Öl jedes Jahr mit direkten und indirekten Subventionen in Höhe von sechs Billionen Dollar unter die Arme gegriffen wird.

In Deutschland sind es nach Angaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) rund 50 Milliarden Euro jedes Jahr. Ohne die Steuergelder würden die fossilen Industrien auf den Märkten sofort zusammenbrechen.

Ihre Frage suggeriert, dass mit der Energiewende die Preise für Benzin, Gas und Kohle teurer werden und die Bürger:innen beim Heizen, beim Strom und Tanken deutlich tiefer in die Tasche greifen müssen. Das wäre aber nur der Fall, wenn die Preise einfach ansteigen würden (z.B. durch einen höheren CO₂-Preisaufschlag), es aber weder eine soziale Umverteilung der zusätzlichen Einnahmen noch die Bereitstellung einer besseren, bezahlbaren Alternative gibt.

Genau das ist jedoch der Kern der Energiewende, die nur stattfinden wird, wenn sie sozial abläuft. Letztlich ersetzt die Wende die teuren fossilen Energieträger durch erneuerbare, die billiger sind.

Heute kostet Solarstrom vier bis acht Cent, je nach Anwendung, und nicht mehr wie früher noch zwei D-Mark pro Kilowattstunde. Und auch E-Autos sind, wie zuvor erwähnt, in Betrieb billiger als Verbrenner, Ökostromheizungen günstiger als die fossilen Heizungen. Es ist also eine Transformation zu einer billigeren Energieversorgung.

Die Energiewende setzt gleichzeitig zusätzliche Gelder frei. So wird der teure Betrieb der fossilen Infrastruktur schrumpfen, was enorme Kosten einsparen wird. Auch die schrittweise Rückführung der fossilen Subventionen in Höhe von 50 Milliarden Euro sowie die Einnahmen durch den CO₂-Preis stehen dem Staat natürlich extra zur Verfügung.

Damit kann einerseits ein soziales Energiegeld an die Bürger:innen gezahlt werden, um den Übergang gerecht und kostenneutral zu gestalten, während CO₂-schonendes Verhalten sogar belohnt werden kann.

Andererseits werden die billigeren Energie-Alternativen zum Durchbruch gebracht, indem Kohlestrom, Gasheizungen und Benziner ersetzt werden durch effizientere Technologien. Die Bürger:innen fahren dann mit E-Autos oder öffentlichem Verkehr, produzieren ihren eigenen Solarstrom und heizen mit der Wärme von grünen Kraftwerken, Wärmepumpen oder Solarthermie.

Die Preise an den Tankstellen, die Stromrechnungen von RWE & Co. wie die der Gasversorger werden also immer irrelevanter. Sobald diese Dynamik einmal gestartet worden ist, werden die bisher fossil ausgerichteten Märkte weg von Kohle, Gas und Öl hin zu den Erneuerbaren drängen, was wiederum alles effizienter und noch billiger macht.

Es ist die übliche Dynamik, die man bei anderen Technologieeinführungen beobachten konnte. Schauen Sie sich Ihr Smartphone an und vergleichen Sie es mit einem Handy vor zehn Jahren.