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Das US-Militär sucht nach Wegen, Soldaten mehrere Tage ohne Schlaf auskommen zu lassen

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Der Mensch braucht Schlaf. Warum, das wissen Wissenschaftler noch nicht so genau. Sicher ist nur, dass bei nicht ausreichendem Schlaf das menschliche Gehirn zu Fehlern neigt, was auch zu folgenschweren Unfällen führen kann, wie beispielsweise die Kernschmelze im Atomreaktor zu Tschernobyl oder die Explosion der Raumfähre Challenger zeigen. Auch für das Militär ist das Schlafbedürfnis ihrer Soldaten interessant, entscheidet doch die Stärke und die Wachsamkeit einer Truppe möglicherweise einen Kampf. "Das Ausschalten des Schlafbedürfnisses während eines Angriffs würde die Kriegsführung und Planung fundamental verändern", heißt es in einem Projektbericht der amerikanischen Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA), die zur Zeit Forschungen unterstützt, wie sich Soldaten bis zu sieben Tage und Nächte ununterbrochen wach halten können.

Um dies zu erreichen wollen sich die Forscher zunächst näher damit befassen, wie andere Lebewesen dieses Wunder schaffen. Im Wasser lebende Tiere wie Delphine beispielsweise müssen ständig wach sein, um rechtzeitig an die Wasseroberfläche zu schwimmen, um zu atmen. Forscher meinen, dass Delphine nur diejenigen Teile ihres Gehirns wach halten, die für das Atmen zuständig sind, während der Rest schläft. Das Marine Mammals Programm der Navy, das normalerweise Delphine und Seelöwen zur Unterwassererforschung trainiert, hat auch bei weiblichen Orca-Walen beobachtet, dass sie die ersten drei bis vier Wochen nach der Geburt ihrer Jungen ständig aktiv zu sein scheinen.

Sperlinge, Mäuse und Obstfliegen

Wissenschaftler an der Universität von Wisconsin hingegen versuchen bei Vögeln näheres herauszufinden. So sind beispielsweise auch in einem Käfig eingeschlossene Sperlinge zu jener Zeit, während der sie normalerweise Tausende von Kilometern von Alaska nach Kalifornien und zurück fliegen würden, putzmunter. "Die Vögel fangen plötzlich an im Käfig herumzuhüpfen, wenn die Wanderzeit gekommen ist", erläutert Niels Rattenborg seine Beobachtungen. Zwar erscheinen sie etwas müde, aber schlafen nicht wirklich während dieser Zeit.

Rattenborg und die Projektleiterin Ruth Benca haben hierzu kleine Sensoren an das Gehirn der Sperlinge angeschlossen, um deren Gehirnaktivität und die kognitiven Eigenschaften während dieser fünf bis sieben Tage dauernden Periode zu untersuchen, in der die Vögel kontinuierlich wach bleiben. "Unsere bisherigen Untersuchungen haben ergeben, dass die Vögel hierbei keinerlei kognitive Defizite zeigen", so Rattenborg. Der Forscher will daher nun untersuchen, wie sich die Vögel auf diese Periode vorbereiten, um sie wach zu überstehen. Ein Hinweis könnte die Gewichtszunahme sein, die sich die Vögel vor der Wanderung anfuttern. "Das tun sie natürlich, um den Flug zu überstehen, aber vielleicht auch wegen des durch die ständige Wachsamkeit gesteigerten Stoffwechsels", versucht sich Rattenborg in einer Erklärung.

Allerdings ist das Herausfinden, wie sich Tiere über längere Zeit hinweg wach halten können, nur der erste Schritt. "Erst dann können wir uns daran machen zu versuchen, diese Zusammenhänge auf den Menschen zu übertragen", hofft John Carney, der bei der DARPA das "Continous Assisted Performance"-Programm leitet. Dabei soll die Genetik einen Weg ebnen. So verfügt auch der Mensch über eine DNA mit einer ganzen Reihe von Genen, deren Funktion der Wissenschaft noch unbekannt ist und die beim Menschen keine Rolle spielen, "die aber bei Tieren wichtige Funktionen erfüllen", erklärt Carney. "Wenn wir diese Gene identifizieren, dann ließen sich diese möglicherweise auch beim Menschen aktivieren". DARPA-Wissenschaftler suchen bereits nach solchen Genen in Mäusen und Obstfliegen.

Stimulanzien für das Gehirn

Ein anderer Weg zum schlaflosen Soldaten führt über medikamentöse Stimulanz. Schon seit Jahrzehnten setzt das Militär auf Koffein und andere herkömmliche Medikamente, um ihre Soldaten wach zu halten. Während des Zweiten Weltkriegs schluckten amerikanische, britische, deutsche und japanische Soldaten Amphetamine, um die Ermüdung zu bekämpfen und die Ausdauer zu erhöhen.

Auch heute werden laut Aussage der US-Airforce noch Amphetamine an Soldaten zu diesem Zweck gelegentlich verteilt - möglicherweise nicht immer mit den gewünschten Ergebnissen (US-Kampfpiloten auf Speed). Das Medikament Provigil, das für Patienten entwickelt wurde, die unter der Schlafkrankheit leiden, schafft es sogar, einen Menschen zwei Tage lang ständig wach zu halten, und das ohne die Nebenwirkungen von Amphetaminen wie Nervosität oder Ängstlichkeit. Auch das Militär hat nach Carneys Aussagen Providil getestet, sucht aber noch nach einer besseren Lösung. "Die meisten Medikamente werden für die medizinische Therapie entwickelt, doch wir wollen keine Krankheit kurieren, sondern einen gewollten Zustand unterstützen".

Yaakow Stern und die Neuropsychologin Sarah Lisanby von der Universität Columbia hingegen setzen viel mehr darauf, das ungenutzte Potenzial des menschlichen Gehirns zu erforschen. "Es gibt Menschen, die ohne Schlaf besser auskommen und keine negativen Effekte zeigen, als andere, und auf die müssen wir uns konzentrieren", erklärt Lisanby den Ansatz ihrer Arbeit.

Hierzu beobachten die beiden Wissenschaftler per Magnetresonanzverfahren (MRT), wie sich das Gehirn der Versuchspersonen vor und nach dem Schlafentzug verhält, wenn es sich etwas merken muss. Sind die Schlüsselbereiche im Gehirn erst einmal identifiziert, dann will Lisanby diese mit der sogenannten Transcranial Magnetic Stimulation (TMS) anregen. TMS ist ein kleines, aber starkes Magnetfeld, das elektrische Impulse an das Gehirn sendet und sich in der Vergangenheit bei der Behandlung von Depressionen als effektiv gezeigt hat, indem dadurch Neuronen in jenen Bereichen des Gehirns stimuliert wurden, die während einer Depression weniger aktiv sind. Tests mit 75 Soldaten will Lisanby bald starten.

Trotz aller Bemühungen wissen die Wissenschaftler aber, dass sie das Bedürfnis des Gehirns nach Schlaf nie ganz werden ausschalten können. "Das wäre zu radikal", weiß Carney, "wir hoffen aber zumindest unseren Leuten dazu verhelfen zu können, just in dem Moment ihre Funktion gut zu erfüllen, auch wenn ihnen Schlaf fehlt". Auch Menschen in Nachtarbeit und wichtigen Kontrollfunktionen könnte das mehr Sicherheit geben, aber auch Workaholics zu noch mehr Arbeit verleiten. "Allerdings wissen wir noch gar nichts über die Langzeiteffekte dieser Beeinflussung", bemerkt die Schlafexpertin Rosalind Cartwright vom Rush-Presbyterian-St. Luke's Medical Center in Chicago. In einer ohnehin überarbeiteten Gesellschaft führe dann der "Schlaf auf Abruf" zu einer noch größeren Verschiebung im sozialen Rhythmus.