Stillstand überall: Wenn Verdi den Verkehr lahmlegt
Verdi-Streiks treffen den ÖPNV hart. In 80 Städten ging nichts mehr. Solidarität und Forderungen wachsen.
In mehr als 80 Städten stand an diesem Freitag der öffentliche Nahverkehr still – die Gewerkschaft ver.di hatte in 15 Bundesländern zu Warnstreiks aufgerufen. Nur in Bayern, wo die Tarifverträge länger laufen, wurde der Bus-, Tram- und U-Bahnverkehr nicht bestreikt.
Solidarität im Morgengrauen: Die neue Allianz auf den Straßen
Zu den Streikposten gesellten sich zum Teil schon vor Sonnenaufgang Aktivistinnen und Aktivisten der Klimabewegung, von Fridays for Future und der Partei Die Linke, die den Arbeitskampf im Rahmen der Kampagne "Wir fahren zusammen" unterstützen.
Rund 60 lokale Gruppen von Fridays for Future hatten zur Unterstützung der ÖPNV-Beschäftigten aufgerufen. "Ich kann nur sagen, ich freue mich tierisch, dass wir so eine starke Gemeinschaft sind", bedankte sich ein Gewerkschafter in gelber Streikweste auf der Kundgebung im BVG-Betriebshof Britz in Berlin.
Er wolle nicht hoffen, dass ein längerer Streik nötig werde, hoffe aber auch dann auf zahlreiche Unterstützung: "Um den Arbeitgebern zu zeigen: So geht es nicht mehr weiter, mit uns nicht mehr, sonst könnt ihr eure Busse nämlich bald alleine fahren!"
Mehr als nur Geld: Die wahren Forderungen hinter den Streiks
In der aktuellen Tarifrunde geht es nicht in erster Linie um mehr Lohn, sondern um eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Betroffen sind rund 90.000 Beschäftigte des kommunalen ÖPNV in mehr als 130 kommunalen Unternehmen.
Zu den Kernforderungen der Gewerkschaft gehören Entlastungselemente: Verkürzung der Wochenarbeitszeit, Erhöhung des Urlaubsanspruchs, zusätzliche Entlastungstage für Schicht- und Nachtarbeit sowie Begrenzung geteilter Dienste und unbezahlter Zeiten im Fahrdienst.
Nur in Brandenburg, dem Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen werden außer den Arbeitsbedingungen auch die Löhne und Gehälter der Beschäftigten verhandelt.
Chronische Personalnot: Der Schrei nach Hilfe im ÖPNV
"Wir haben einen dramatischen Mangel an Arbeitskräften im ÖPNV und einen unglaublichen Druck auf die Beschäftigten. In allen Tarifbereichen fallen täglich Busse und Bahnen aus, weil es nicht genug Personal gibt", hatte ver.di-Vize Christine Behle betont, als die Gewerkschaft die Warnstreiks am Dienstag angekündigt hatte.
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Fridays for Future und Die Linke sehen die ÖPNV-Beschäftigten als Rückgrat einer echten Verkehrswende – weg vom massenhaften motorisierten Individualverkehr – und fordern dafür von der Bundesregierung mehr Investitionen.
Auf dem Rücken der Beschäftigten: Die unbequeme Wahrheit
Wir alle brauchen einen verlässlichen Nahverkehr, mit dem wir sicher und günstig zur Arbeit, in den Club oder nach Hause kommen. Obwohl die Beschäftigten im Nahverkehr uns täglich dorthin bringen, gehen die Kürzungen von Scholz, Habeck und Lindner auf ihre Kosten:
Sie haben immer weniger Pausen, werden aufgrund der hohen Belastung immer öfter krank und nicht wenige verlassen deswegen ihren Job.
Darya Sotoodeh, Sprecherin Fridays for Future
Bundesweit sollten ganztägig Streikmaßnahmen laufen, doch nicht überall von morgens bis abends: In der Bundeshauptstadt Berlin wurde von 3 Uhr morgens bis 10 Uhr morgens gestreikt, danach kam es nur noch zu Unregelmäßigkeiten. In Brandenburg allerdings soll der Ausstand in 14 Verkehrsunternehmen den ganzen Tag andauern.
Wenn der Arbeitskampf zum Hindernislauf wird
Ver.di-Vize Behle hatte betont, sie bedauere, dass hiermit auch die Fahrgäste getroffen würden, hielt aber die Ankündigung für frühzeitig genug, um sich darauf einzustellen.
Letzteres bedeutet zum Beispiel, Vorgesetzte rechtzeitig zu informieren, wenn es schwierig wird, pünktlich den Arbeitsplatz erreichen.
Dazu muss jedoch alle "Zumutbare" unternommen werden – als zumutbar gilt aber zum Beispiel nicht, den Arbeitsweg schon am Vortag anzutreten und in einem Hotel zu übernachten – oder auch Fahrtkosten für ein Taxi zu übernehmen, die in keinem Verhältnis zum Gehalt stehen. Von den ÖPNV-Unternehmen werden solche Kosten im Streikfall auch nicht erstattet.
Streikrecht in Deutschland: Eine fortwährende Debatte
Unterdessen reißt die Diskussion um Einschränkungen des Streikrechts nicht ab. Bereits anlässlich des erneuten Bahn-Streiks der Lokführergewerkschaft GDL im Januar hatte die CDU-Bundestagsabgeordnete Gitta Connemann gefordert, bei kritischer Infrastruktur müsse zwingend ein Schlichtungsverfahren vor einem Arbeitskampf vorgeschrieben werden.
"Deutschland ächzt unter Arbeitskämpfen. Höchste Zeit für ein Streikgesetz", hieß es an diesem Freitag in einem Spiegel-Leitartikel.
In Deutschland leitet sich das Streikrecht aus dem Grundrecht auf Koalitionsfreiheit ab. Was dabei erlaubt ist, entscheiden Richter. Und die wurden seit den Nullerjahren immer arbeitnehmerfreundlicher.
Alexander Preker, Spiegel
Allerdings ist das Streikrecht in europäischen Nachbarländern wie Frankreich nicht enger, sondern weiter gefasst: Auch politische Generalstreiks sind hier erlaubt.
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