Deutsche Bahn unpünktlicher als britische Züge

(Bild: Frank Wittkowski / Pixabay)
Olaf Scholz kritisierte Englands Bahnsystem als abschreckendes Beispiel. Briten konterten mit Analyse der Deutschen Bahn. Was sie herausfanden, ist für Deutschland peinlich.
In Großbritannien ist man sauer auf Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). In einem Fernsehduell mit seinem Kontrahenten Friedrich Merz (CDU) hatte er die britischen Eisenbahnen als Negativbeispiel angeführt, das jetzt in der Financial Times (FT) heftigen Widerspruch ausgelöst hat.
Merz hatte gesagt, dass das Schienennetz in Deutschland nach Ansicht der Christdemokraten in der Hand des Staates bleiben solle, während der Zugverkehr privatisiert werden solle. Scholz konterte: Eine Zerschlagung des Bahn-Konzerns werde so schlecht enden wie in England, "wo dann gar nichts mehr funktioniert". Dort habe man nur noch "kaputte Schienen" und "schlechte Züge".
Bei den Briten kam diese Aussage offenbar so negativ an, dass die Financial Times den staatlichen deutschen Bahn-Konzern unter die Lupe nahm. Ihr Urteil fällt nicht weniger negativ als Scholz’ Aussage. Die Fernverkehrszüge der Deutschen Bahn (DB) seien unpünktlicher "als selbst der schlechteste Betreiber in Großbritannien". Die DB biete "durchweg einen der unzuverlässigsten Dienste in Mitteleuropa" an – selbst im Vergleich mit dem britischen Netz, das im In- und Ausland regelmäßig für seine schlechte Leistung kritisiert werde.
Französischer Journalist erlebt deutschen Pünktlichkeits-Schock
Aber nicht nur bei den Briten kommen Fragen hinsichtlich der Zuverlässigkeit der Deutschen Bahn auf. Jean-Dominique Merchet, ein in Frankreich sehr bekannter, auf militärische, strategische und internationale Fragen spezialisierter Journalist, erzählte bei einem TV-Auftritt von einem kalten Realitätsschock in Deutschland.
In früheren Tagen vermittelte er oft ein positives Deutschland-Bild, in dem auch seine Bewunderung für das Nachbarland zum Vorschein kam, jetzt aber war in seinem X-Profil zu lesen: "In #Deutschland kommen die Züge nicht mehr pünktlich an. Identitätsverwirrung. #Punktlichkeit". Das war auch der erste Satz, den Merchet in einer TV-Sendung zum Zustand Deutschlands vor den Wahlen einfiel.
Pünktlichkeit sei der deutsche "Kardinalswert", sagte Merchet. Die, wie es bei uns heißt, Kardinasltugend stellet er auf die selbe Höhe wie das Können in Frankreich, wenn es um guten Wein geht. Wenn man jetzt in Deutschland offenbar nicht mehr pünktlich mit dem Zug unterwegs sein kann, so sage dies etwas Bezeichnendes darüber aus, wie es um das ganze Land bestellt ist: "Deutschland geht es schlecht."
Zahlen sprechen eine deutliche Sprache
Das Problem, das auf Merchet wie ein Kulturschock gewirkt haben muss, breitet die Financial Times mit Genugtuung in allen Einzelheiten aus, zumal die Aussage von Scholz auf Briten arrogant und herablassend gewirkt haben dürfte. Die FT-Auswertung der Bahn-Daten zeigt jetzt einer breiten Öffentlichkeit das Desaster und erinnert daran, dass die Deutschen keinen Grund haben, so über andere Länder zu urteilen.
Demnach kamen im Zeitraum von einem Jahr (bis Januar 2025) etwa 72 Prozent der Intercity-Züge der DB innerhalb von zehn Minuten nach der geplanten Ankunftszeit am Ziel an. Bei britischen Fernzügen seien es dagegen 78 Prozent gewesen.
Während nur 37 Prozent der deutschen Fernzüge mit einer Verspätung von weniger als 60 Sekunden ankamen, erreichte selbst der schlechteste britische Bahnbetreiber – Avanti West Coast – dieses Serviceniveau in 41 Prozent aller Fälle. Der britische Durchschnitt liegt bei 69 Prozent.
Etwa ein Fünftel der Intercity-Züge in Deutschland hatte mehr als 15 Minuten Verspätung, fast doppelt so viel wie bei Avanti West Coast und zehnmal so viel wie im Vereinigten Königreich insgesamt.
Financial Times
Züge von Deutschland nach Amsterdam kommen laut Analyse im Schnitt fast dreizehn Minuten zu spät. Züge von anderen Orten kommen dagegen nur etwa zwei Minuten nach der geplanten Ankunftszeit in Amsterdam an.
Ein ähnliches Bild zeichnet sich am Baseler Hauptbahnhof ab. Hier kommen die Züge demnach mit einer durchschnittlichen Verspätung von zwölf Minuten an. Züge aus anderen Ländern sind wesentlich pünktlicher – sie kommen etwa eine Minute nach der geplanten Ankunftszeit an. Laut Analyse liegt das Problem auch nicht auf Schweizer Gebiet, sondern in Deutschland. Zu spät kommende Züge müssen sogar manchmal an der Grenze angehalten werden, damit sie den lokalen Betrieb nicht stören.
Marodes Schienennetz als Hauptursache identifiziert
Nach Angaben der Deutschen Bahn verursacht der schlechte Zustand des deutschen Schienennetzes rund 80 Prozent aller Verspätungen. Gegenüber der FT wurde dessen Zustand als "zu überlastet, zu alt und zu störanfällig" beschrieben.
Über Jahrzehnte hinweg haben alle deutschen Regierungen zu wenig in die Schieneninfrastruktur investiert. Und es war die Ampel-Koalition, die laut Allianz Pro Schiene im vergangenen Jahr mit rund 17 Milliarden Euro mehr in die Schienen investiert hat als sämtliche Vorgängerregierungen. Unter der früheren CDU-Regierung waren es dagegen nicht einmal fünf Milliarden.
Dass jetzt mehr Mittel für die Schienen bereitgestellt wurden, liegt laut Allianz Pro Schiene auch daran, dass der Finanzierungskreislauf "Straße finanziert Straße" bei der Lkw-Maut aufgebrochen wurde. Seit 2024 können Mittel aus der Maut auch für Alternativen, wie das Schienennetz, verwendet werden.
Deutschland investiert deutlich weniger als Nachbarländer
Um es zu verdeutlichen: Im Jahr 2023 steckte die Bundesregierung nur etwa 115 Euro je Bürger in die Schiene. Die Österreicher und Schweizer gaben hingegen das Drei- und Vierfache dessen aus. Zuvor betrugen die Investitionen in Deutschland im Schnitt nur 73 Euro pro Bürger.
Während die Investitionen über Jahre auf einem Minimum blieben, wurden seit 1995 etwa zwölf Prozent des Schienennetzes stillgelegt. Gleichzeitig stieg der Personenverkehr nach FT-Angaben um 50 Prozent an und der Güterverkehr um 90 Prozent.
Verschlimmert wurde die Situation dadurch, dass die Bahn über Jahre hinweg verpflichtet wurde, Wartungsarbeiten aus dem Jahresbudget zu finanzieren. Nur die Kosten für Erneuerung und Neubau wurden vom Bund finanziert, was letztlich auch den Anreiz schaffte, die Wartungsarbeiten zu vernachlässigen.
Auch die Stellwerke müssen erneuert werden. Laut Bericht sind mehr als die Hälfte von ihnen betroffen, von denen einige noch in der Regierungszeit von Kaiser Wilhelm II. errichtet worden sein sollen. Inzwischen überlegt man sogar, die Stellwerke zu digitalisieren, was einen erheblichen Finanzbedarf bedeutet.
Allerdings könnten die Probleme der Bahn in Zukunft noch größer werden. Die Christdemokraten möchten zwar den Konzern aufspalten, aber bislang haben sie nicht zugesagt, die Mittel zur Verfügung zu stellen, welche die Bahn bis 2027 benötigt.