Störfälle in Philippsburg wegen Laufzeitverlängerung nicht gemeldet?
Die Anti-Atomkraft-Lobbygruppe "Ausgestrahlt" erhebt schwere Vorwürfe gegen die EnBW Kernkraft GmbH und die baden-württembergische Landesregierung
1979 wurde im baden-württembergischen Philippsburg ein Siedewasserreaktor in Betrieb genommen. Er ähnelt denen, die auch in den als relativ unsicher geltenden Kraftwerken Krümmel, Brunsbüttel und Isar I verbaut wurden. 1984 kam ein zweiter Kraftwerksblock hinzu, der mit einem Druckwasserreaktor arbeitet. 2002 beschloss die Bundesregierung, dass der ältere Block des Kraftwerks 2011 und der neuere 2017 abgeschaltet werden soll. Durch die im November letzten Jahres beschlossene und gestern für drei Monate ausgesetzte Laufzeitverlängerung würden sich diese Termine auf 2026 und 2032 verschieben.
Nun wirft die Anti-Atomkraft-Lobbygruppe "Ausgestrahlt" dem Betreiber EnBW Kernkraft GmbH vor, in den letzten zwei Jahren "mindestens drei sicherheitsrelevante Störfälle" nicht gemeldet zu haben. Dies, so "Ausgestrahlt"-Sprecher Jochen Stay, sei in Absprache mit dem baden-württembergischen Umweltministerium und der Landesregierung geschehen, welche seiner Ansicht nach die Durchsetzung der Laufzeitverlängerung nicht gefährden wollte.
Die nicht gemeldeten Störfälle sollen sich am 12. und 13. Mai 2009, am 19. Januar 2010 und am 19. Juni 2010 ereignet haben. Im Mai 2009 waren danach mehr als einen halben Tag lang Armaturen zum Schutz des Sicherheitsbehälters nicht ansteuerbar. Acht Monate später soll es zu einem Komplettausfall der Notkühlsysteme gekommen sein, der drei Tage andauerte. Am 19. Juni 2010 verstopfte angeblich der Abfluss des Brennelementebeckens. Weil zusätzlich eine Armatur regelwidrig geöffnet gewesen sein soll, flossen nach Angaben von "Ausgestrahlt" insgesamt 280.000 Liter Wasser in das Reaktorgebäude und aus dem Sicherheitsbehälter hinaus und es kam zur einer Unterbrechung der Kühlung abgebrannter Brennelemente.
Das baden-württembergische Umweltministerium meinte zu den Vorwürfen, dass alle drei Geschehnisse von der Atomaufsicht "geprüft und als nicht sicherheitsrelevant eingestuft" worden seien. In zwei der drei Fälle wären "auch unabhängige Gutachter zum Ergebnis gekommen, dass eine Meldepflicht nicht vorliegt", im dritten lediglich der Betreiber und das Ministerium. Dieser Fall werde derzeit "erneut von Fachgutachtern im Hinblick auf die Einhaltung formaler Vorgaben überprüft". Alle "meldepflichtigen Ereignisse" seien "vorschriftsgemäß veröffentlicht" worden, weshalb es sich bei den nun veröffentlichten Vorwürfen um ein "durchschaubares Wahlkampfmanöver" handeln würde. Dazu, ob die Meldepflichtschwelle möglicherweise zu hoch angesetzt sein könnte, und was dagegen sprechen würde, dass man auch die nun bekannten Störfälle meldepflichtig macht, wollte man sich nicht äußern.
Bei der EnBW Kernkraft GmbH hieß es, dass eine "intensive Prüfung" für alle drei Ereignisse ergeben hätte, dass keine Meldepflicht bestand. In zweien davon habe man trotzdem "vorsorglich" die Aufsichtsbehörde informiert, weil "zu Beginn der Bewertung nicht ausgeschlossen werden konnte, dass die vertiefte Bewertung zu einer Meldepflicht führen würde". Durch einen "dokumentierten Erfahrungsrückfluss" und eine "Basisanalyse" würde das Wissen aus solchen nicht meldepflichtigen Störfällen nicht - wie von "Ausgestrahlt" behauptet - verloren gehen und könne für den Ausbau der Sicherheit in anderen Kraftwerken genutzt werden.
"Ausgestrahlt" zeigte sich bei Nachfragen schweigsam und verweigerte Angaben dazu, wie die Lobbygruppe an die Angaben über die Vorgänge in Philippsburg kam. Die Frage, inwieweit menschliches Verschulden vorlag, blieb ebenfalls unbeantwortet, obwohl Stay die Störfälle in einer Pressemitteilung als Beispiele dafür heranzog, "dass auch die modernsten Atomkraftwerke [...] nicht sicher sind - weil die Menschen, die dort arbeiten, immer wieder Fehler machen".
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