Straßenblockaden in Frankreich: Keine solidarische Perspektive
Seite 2: "Wir wollen nicht zahlen!" - Kollektiver Egoismus
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Konsensbildend bei den aktuellen Protestlern wirkt jedoch just eine Kritik an einem einzeln herausgegriffenen Aspekt auf der Ausgabenseite, nämlich der geplanten Erhöhung von Steuern auf Kraftfahrstoff. Letztere soll schrittweise von 2019 bis 2023 stattfinden.
Sie wird Autosprit verteuern und soll Diesel, das vormals in Frankreich erheblich günstiger war als Benzin - auch, weil es lange Zeit durch den Gesetzgeber begünstigt wurde, Dieselautos zu fahren - genauso teuer werden.
Die Steuererhöhung wird vom Regierungslager mit dem Kampf gegen Umweltzerstörung und Klimawandel gerechtfertigt, allerdings werden von vier Milliarden geplanten Mehreinnahmen (bis 2023) nur eine Milliarde offiziell dem "ökologischen Umbau" gewidmet. Kritiker auf verschiedenen Seiten nominieren ferner, dass besonders klimaschädliche Transportmittel wie Luft- und Frachtschiffverkehr überhaupt nicht zusätzlich besteuert würden.
Auf der linken Seite wird die Regierung eher dafür kritisiert, dass keine Alternativen zum Auto in Sachen Mobilität gefördert würden, sondern im Gegenteil mit der "Reform" der Bahngesellschaft SNCF von 2018 ein Rückbau des Schienennetzes - bis zu 9.000 Kilometer Schiene sollen weggespart werden - einhergehe.
Kritik am konkreten Vorgehen der Regierung ist also durchaus angebracht. Bei den "gelben Westen" und dem Umfeld, das sie nun mobilisieren konnten, ist das Thema allerdings eher Anlass für eine unreflektierte Reaktion nach dem Muster: "Wir wollen nicht zahlen!" Darunter mischen sich dann in Teilen der Bewegung diffuse Reflexe, die vom Kampf gegen Verschwörungen bis zum Wunsch, "die ganzen korrupten Politiker zum Teufel zu jagen", reichen.
Vereinendes Bindeglied ist dabei allemal eher ein kollektiver Egoismus - passend dazu erschien am Sonntag früh eine Umfrage, welcher zufolge eine Mehrheit in Frankreich derzeit den Geldbeutel als wichtiger im Vergleich zur Rettung der Umwelt erachtet - als irgendeine rationale und solidarische, vorwärtsweisende Perspektive.
Allerdings zieht dieser Protest an, vielleicht auch, weil man nicht groß über seine Anliegen nachdenken muss. Aber vor allem auch, weil die Gewerkschaften und andere Akteure, die noch Solidarität zu begründen versuchen, in jüngerer Zeit einige Niederlagen mit anhaltenden Konsequenzen einstecken mussten.
Die französischen Gewerkschaften unterlagen bei den Auseinandersetzungen um die regressive Arbeitsrechts-"Reform" im Frühjahr und Sommer 2016 (das umstrittene Gesetz trat am 08.08.16 in Kraft), bei der zweiten Stufe dieser "Reform" im Herbst 2017, aber auch beim Streik der Bahnbeschäftigten gegen die SNCF-"Reform" im Frühjahr 2018. Das schwächt und demoralisiert.
Die zahlenmäßig vergleichsweise starke Mobilisierung an diesem Wochenende - denn teilweise gingen die Proteste auf niedrigerem quantitativen Niveau, auch am Sonntag weiter - ist ein Gradmesser für die Spannungen, die die französische Gesellschaft durchziehen. Eine Lösung dafür werden sie nicht aufzeigen.
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