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Straßenblockaden von Klimaaktivisten: Rebellion oder Happening?:

Blockade der A100 durch die Gruppe "Letzte Generation", Berlin, 29.06.2022. Bild: Stefan Müller, CC BY 2.0

Themen des Tages: Wer sich auf die Straße klebt, sollte die Debatte um Konsequenzen nicht scheuen. Scholz in China. Ukraine-Waffen bei Kriminellen.

Liebe Leserinnen und Leser,

1. Ein verspäteter Feuerwehreinsatz bei einem schweren Unfall in Berlin hat die Debatte über Klima-Aktivismus angeheizt.

2. Was Olaf Scholz in Beijing erhofft, aber nicht erwarten kann.

3. Ukraine-Krieg: Sekundäreffekte der Waffenlieferungen.

Doch der Reihe nach.

Rettet Hafermilch das Klima?

Können wir mit Hafermilch das Klima retten? Dieser Frage geht Telepolis-Autorin Susanne Aigner heute in einem Beitrag zum "Veggie-Streit" nach. Denn, das zumindest scheint unstrittig, Fleischproduktion schadet dem Klima. Zu diesem Schluss komme auch eine jüngere Studie des WWF. Dem Verband zufolge entfällt rund ein Viertel des Klimafußabdrucks einer durchschnittlichen Person in Deutschland auf ihre Ernährung.

Tierische Produkte – vor allem Fleisch – haben daran einen Anteil von fast 70 Prozent. Am klimaschädlichsten ist Rindfleisch, aber auch Milchprodukte schlagen stärker zu Buche als die meisten pflanzlichen Lebensmittel wie zum Beispiel Kartoffeln, Tofu, Gurken, Tomaten, Spinat, Karotten und Zwiebeln.

Ganz so einfach ist die Sache dennoch nicht, schreibt Aigner.

Rettet China auch dieses Mal die Weltwirtschaft?

In der Weltwirtschaft kriselt es an allen Ecken und Enden, so Telepolis-Autor Wolfgang Pomrehn. Am Vorabend der China-Reise des Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD) sei die große Frage, ob das Land der Mitte, wie schon mehrfach in den zweieinhalb Jahrzehnten zuvor, wieder die Lokomotive sein wird, die die Weltwirtschaft aus dem Sumpf zieht.

Zuletzt sah es nicht danach aus. Nicht zuletzt aufgrund der nach wie vor rigorosen Pandemiepolitik, die immer wieder Ausbrüche von Covid-19 durch umfangreiche Ausgangssperren, Fabrikschließungen und Massentests im Keim erstickt, ist die chinesische Wirtschaft im zweiten Quartal 2022 im Vergleich zu den drei vorhergehenden Monaten geschrumpft.

Waffen für die Ukraine – und/oder für die Organisierte Kriminalität?

Die USA sind der wichtigste Waffenlieferant der ukrainischen Regierung. Seit Beginn des Krieges im Februar lieferte Washington Waffen im Wert von rund 18 Milliarden US-Dollar, so Telepolis-Autor Bernd Müller. Doch die US-Regierung habe keine Kontrolle darüber, wo die Waffen letztlich landen.

Offenbar gelangte ein Teil davon in die Hände von kriminellen Banden, so das finnische National Bureau of Investigation (NBI). Waffen, die von verschiedenen Ländern in die Ukraine geliefert wurden, seien in Finnland, aber "auch in Schweden, Dänemark und den Niederlanden gefunden worden", erklärte Kriminaloberkommissar Christen Ahlgren in einem Interview mit Yle News.

Warum Klimaaktivisten zu ihrem Aktivismus stehen sollten, es aber nicht tun.

Der Spruch kleiner Geister zu Halloween "…und wollt ihr uns nichts geben, dann bleiben wir hier kleben" bekommt in Zeiten des Klima-Aktivismus eine ganz neue Bedeutung. Vertreter der Gruppe "Letzte Generation" pappen sich ja zuletzt mit Sekundenkleber wahlweise an kreidezeitlichen Skeletten, neuzeitlichen Autos oder barocken Gemälden fest.

Zur Einordnung: Im zeitgenössischen Klima-Aktivismus sind solche Aktionen auf der Radikalenskala zwischen Fridays for Future ("Wir sitzen hier nur") und Extinction Rebellion ("Aaaargh, das Ende ist nah!") zu verorten.

Doch auch bei den mittelradikalen Klimaklebern gibt es nun Ärger. Denn Vertreter der "Letzten Generation" haben auf der Berliner Stadtautobahn einen Stau provoziert, durch den Rettungskräfte nach eigenen Angaben verspätet zu einem nahen Unfallort kamen. Dort war eine Fahrradfahrerin von einem Betonmischer überrollt worden.

Das Ganze muss ziemlich dramatisch gewesen sein: Die 44-Jährige kam mit lebensgefährlichen Verletzungen ins Krankenhaus. Der 64-jährige Fahrer des Betonmischers wurde von einem Unbekannten mit einem Messer schwer verletzt.

Die Klimaaktivisten versuchten in Folge die Gratwanderung. "Es bestürzt uns, dass heute eine Radfahrerin von einem LKW verletzt wurde. Wir hoffen inständig, dass sich ihr Gesundheitszustand durch die Verspätung nicht verschlimmert hat", so Carla Hinrichs von der Letzten Generation.

Aimée van Baalen, Sprecherin der Gruppe, meinte: "Wir unterbrechen den Alltag nicht leichtfertig. Wir wünschten, eine solche Störung wäre nicht notwendig, um die Regierung in der Klimakrise zum Handeln zu bewegen. Wir haben uns für dieses Mittel des Protests entschieden, da alle zuvor gelagerten Mittel wie Demonstrationen und Petitionen nicht den notwendigen Erfolg gebracht haben."

Hat die Regierung Scholz also Schuld an möglichen Schäden der verunglückten Radfahrerin in Berlin? Juristisch wohl kaum. Nach Angaben eines Berliner Justizsprechers wird deswegen auch gegen einen 63-Jährigen und einen 59-Jährigen wegen unterlassener Hilfeleistung beziehungsweise der Behinderung hilfeleistender Personen ermittelt.

Für die Aktivisten eine Chance, sich ehrlich zu machen. Wenn sie den Weg des zivilen Ungehorsams gehen, sollten sie auch die Verantwortung dafür übernehmen – und zwar uneingeschränkt, also moralisch, argumentativ und strafrechtlich.

So aber verbleibt der Protest der Klimakleber in einem unbestimmten Raum zwischen bedingungsloser Rebellion und Protest-Happening, bei dem man maximal Sekundenkleber an den Handflächen und ein Bußgeld riskiert, das mit der nächsten Crowdfunding-Kampagne locker beglichen werden kann.

Die Argumentation einiger Aktivisten der sehr unterschiedlich ausgeprägten Klimabewegung ist insofern inkohärent. Zugespitzt formuliert: Wer nach eigenen Angaben das Ende der Menschheit in der Zukunft verhindern will, muss heute eben tote Radfahrerinnen und LKW-Fahrer in Kauf nehmen. Das sollten sich die Fahrbahnblockierer eingestehen. Der Fall in Berlin hat dieses Dilemma ein wenig ins Bewusstsein der Protest- und der Verkehrsteilnehmer gerückt.

Artikel zum Thema:

Daniela Dahn: Frieden für das hungernde Afrika [1]
Wolfgang Pomrehn: Klimaaktivisten in Museen: Wovon die Empörung ablenkt [2]
Philipp Fess: Deutsche Protestkultur: Konformer Ungehorsam [3]


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[1] https://www.heise.de/tp/features/Frieden-fuer-das-hungernde-Afrika-7317255.html?seite=all
[2] https://www.heise.de/tp/features/Klimaaktivisten-in-Museen-Wovon-die-Empoerung-ablenkt-7320515.html
[3] https://www.heise.de/tp/features/Deutsche-Protestkultur-Konformer-Ungehorsam-7280816.html