Frieden für das hungernde Afrika

Sudanesischer Farmer bei der Ernte. Bild: Africa Renewal, CC BY-NC-SA 2.0

Es gäbe Wichtigeres zurückzugeben als die Benin-Bronzen. Das betrifft auch die Debatte über globale Folgen von Krieg und Sanktionen. Und die bis heute gravierendste koloniale Dehumanisierung. Ein Buchauszug.

Afrika hungert, weil durch den Krieg in der Ukraine die Getreideschiffe blockiert sind? Das ist eine eher verkürzte Sicht. Aber geeignet, die eigentlichen Verursacher zu entlasten. Afrika hungert seit Jahrzehnten, jetzt könnte diese Schande durch die zeitweilige Blockade ukrainischer Schiffe durch Minen und die Weigerung, russische Getreideschiffe in europäischen und ausländischen Häfen zu versichern und abzufertigen, in der Tat verschärft werden.

Der kriegsbedingte Ausfall von Weizen-Lieferungen soll allerdings nur knapp ein Prozent der Weltproduktion ausmachen. Es hungern auch ohne dieses Kriegsdrama 815 Millionen Menschen weltweit. Was nicht sein müsste, wenn nicht andere Dramen dahinterstünden.

Daniela Dahn ist deutsche Journalistin, Schriftstellerin und Publizistin. Ihr neues Buch "Im Krieg verlieren auch die Sieger" ist bei Rowohlt erschienen. Bild: Holger John, VIADATA

Wegen nie dagewesener Dürre hat Indien, nach China zweitgrößter Weizenexporteur der Welt, vorerst alle Weizenexporte eingestellt. Aus vielfältigen Gründen sind 57 Länder bereits 2015 an dem UN-Millenniumsziel lautlos gescheitert, den Hunger zu halbieren. Verhungern ist ein quälend langer Tod, die Sterbenden sind zu schwach, um zu schreien. Allein in Ostafrika sind im vergangenen Jahr mehr als 260 000 Kleinkinder verhungert. Der UN-Agenda 2030, die bis dahin weltweit den Hunger abschaffen will, steht ebenfalls Versagen bevor.

Wir sind ohnmächtig gegenüber dem strukturellen Hunger als Folge der kannibalischen Weltherrschaft der multinationalen Konzerne, deren Macht so gut wie unkontrollierbar ist (Jean Ziegler). Die Oligarchen der westlichen Ordnung verstehen es, gern unter dem Deckmantel der Entwicklungshilfe, noch aus den ärmsten Regionen Profit zu ziehen. Doch Renditeversprechen helfen den Falschen.

In Afrika ist jeder Dritte der rund eine Milliarde Menschen permanent schwerstunterernährt. Dabei leben 80 Prozent der Afrikaner auf dem Land, stellen also bäuerliche Erzeugnisse her. Und werden nicht satt dabei. All diese Missstände sind seit Langem bekannt, solange, dass sie uns kaum noch erschüttern, wenn nicht ermüden.

Sie scheinen unabänderlich in ihrer Komplexität – das Klima, die Dürreperioden, die Heuschreckenplagen, dazu Pandemien, Aids, bewaffnete Konflikte, Korruption, gestörte Lieferketten, fehlende Infrastruktur – eigentlich nichts, was mit uns zu tun hat.

Man kann das ganze Elend Afrikas nicht nur in den Kolonialschoß legen. Und Respekt vor allen, die sich für die überfällige Rückgabe von Kunstwerken eingesetzt haben, deren Raub zu Recht als Akt der Dehumanisierung begriffen wird. Aber die anhaltende Ignoranz gegenüber der bis heute gravierendsten kolonialen Dehumanisierung macht sprachlos.

Da rettet einen vor Zynismus nur Ironie: Schließlich ist Antikolonialismus uns endlich ein großes Thema geworden. Allein 75.000 kulturelle Raubgüter aus Afrika im Bestand des kopierten Preußen-Schlosses. Die Benin-Bronzen. Spät, aber nicht zu spät, bekennen wir uns zu dem Unrecht.

So schwer fällt uns der Verzicht nun auch wieder nicht, wir werden bald auf ganz anderes verzichten müssen. Benin-Bronzen hin oder her. Aber für die überschaubare Schicht des afrikanischen Bildungsbürgertums, unter ihnen nicht wenige Extremreiche, ist es mehr als Symbolpolitik. Wir geben ihnen ihre kulturelle "Identität" zurück.

Auch wenn uns gesagt wird, heute sei niemand mehr identisch mit den Abbildern aus den Monarchien voriger Jahrhunderte, in denen diese Kunstwerke entstanden – wir lassen uns unsere neue Großzügigkeit nicht als zeitgemäßen Ablasshandel kleinreden. Dann müssen die Objekte eben resozialisiert werden.

Kulturelles Raubgut für die Hungernden

So werden sie das Leben der Nigerianer bereichern. Selbst das der 13 Millionen Armen, die hungern? Auch wenn die Minderheit, die in Museen geht, nicht versteht, dass es besser wäre, wenn wir die Museen bauen. Doch die intellektuelle Elite wird dennoch ausstrahlen, auf alle.

Das kennt man ja von unserer eigenen Elite. Die immer reflektiert, wie sehr der europäische Kolonialismus über vier Jahrhunderte Traditionen ausgemerzt und ein kollektives Trauma hinterlassen hat, das die behauptete Minderwertigkeit verinnerlicht.

Wie wir Fatalismus und mangelndes Selbstvertrauen erzeugt haben, eine mentale Last, welche die Wertschätzung der eigenen Kultur niederdrückt. Die Rückgabe wird den Heilungsprozess einleiten. Wenn die Bronzen erst den Bonzen gefallen, dann bald auch den Bauern.

Unser Leben wird die museale Fehlstelle eher nicht beeinträchtigen. Sonst hätten wir uns das auch noch mal überlegt mit der Rückgabe. Denn was das Leben der meisten Afrikaner wirklich verändern würde, das geben wir lieber nicht zurück.

Wir, die alten weißen europäischen Neokolonialisten und deren duldsame Mitläufer, Mitsäufer. Das würde dem einen oder der anderen von uns dann doch schmerzlich an die eignen Besitzstände gehen. An die wohlverdienten Gewinne. Und es wäre auch eine gefährliche Präzedenz, mit unabsehbaren Folgen für weitere Urteile.

Um auf die Ironie langsam zu verzichten: Es gäbe wahrlich Wichtigeres zurückzugeben als die Benin-Bronzen. Wichtiger für die Afrikaner. Und deren Identität. Aber diesen Gedanken zu vertiefen, liegt nicht in unserem Interesse. Deshalb weiß zum Glück auch kaum jemand, wovon die Rede ist.

Uns liegt daran, es nicht an die große Glocke zu hängen: Etwa drei Viertel des Agrarlandes in Afrika gehört weißen Farmern oder ausländischen Privatkonzernen. Den politischen Nachkommen und natürlichen Erben der Kolonialherren. Man könnte diesen Missstand auch politisches Erbe der Sklaverei nennen.

Damals begannen die Weißen, Afrika unter von ihnen erlassene Gesetze und Verordnungen zu zwängen. Aus dieser Abhängigkeit hat sich der schwarze Kontinent bis heute nicht befreit. Selbst die Toten im Mittelmeer gehen auf diese 500-jährige Geschichte zurück. Das bis heute größte Problem bleibt tabu – die Akzeptanz der kolonialen, entschädigungslosen Vertreibung der Afrikaner von ihrem Land.

In vielen Regionen hat die Arbeitslosigkeit die 70-Prozent-Grenze überschritten. Das ist zufällig auch der Anteil, zu dem in der einstigen deutschen Kolonie Namibia das Farmland unverändert im Besitz der Nachfahren von weißen Siedlern ist. Selbst wenn die Entschädigungszahlungen für die Qualen der Nama und Herero endlich in Gang kommen, wird das Grundübel unberührt bleiben.

Dieses Übel ist angeblich deshalb nicht rückgängig zu machen, weil Enteignungen diktatorisch und rechtsstaatswidrig sind, Grundbücher dagegen heilig – da sei das römische Recht davor. Investoren brauchen Rechtssicherheit. Das Völkerrecht hat es auch versäumt, dem kolonialen Unrecht entgegenzutreten. Wenn westliche Staaten allerdings den politischen Willen haben, in Eigentumsrechte einzugreifen, geht das quasi von heute auf morgen.

Landrückgabe: In Ostdeutschland ging das ganz schnell

So erlebt beim von Westdeutschen formulierten Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen vom August 1990. Dieses bestimmte noch vor Vollzug der deutschen Einheit, dass DDR-Bürger, die Häuser und Grundstücke gekauft hatten, die vor meist zwei Generationen Westdeutschen gehörten, diese nun unter exzessiv formulierten Bedingungen zurückzugeben hätten.

Dafür wurde eigens der juristisch nicht vorgeprägte Begriff unredlicher Erwerb eingeführt, um Kaufverträge rückwirkend für ungültig zu erklären. Unredlich war demnach, wer durch "Ausnutzung einer persönlichen Machtstellung auf die Bedingungen des Erwerbs" eingewirkt oder sich die "herbeigeführte Zwangslage des ehemaligen Eigentümers zu Nutze gemacht hat".

Rückgabe vor Entschädigung hieß die Devise, also wo immer möglich, sollte das Grundstück von den neuen Eigentümern entschädigungslos an die alten zurückgegeben werden. Nur falls das ausgeschlossen war, sollte der ursprüngliche Besitzer entschädigt werden. Mindestens die Hälfte der DDR-Bürger war mit Rückgabeforderungen konfrontiert.

Diese Definition von Unredlichkeit trifft allerdings sehr viel besser auf die Art und Weise zu, in der weiße Kolonialherren den schwarzen Besitzern Ländereien entrissen haben und diesen gesetzlich legitimierten Diebstahl seither von Generation zu Generation selbstverständlich weitervererben.

Eine juristische Vorstellung von Redlichkeit hat diese Machenschaften nie getrübt. Die einstigen Kolonialstaaten brauchen dringend ein Gesetz und dann ein "Amt zur Regelung offener Vermögensfragen". Der deutsche Rechtsstaat könnte da behilflich sein.

Der Neokolonialismus funktioniert stattdessen über gekaufte Gesetze, die ausländische Investoren bevorzugen. Kein Kontinent hat so viel Agrarfläche aus den eigenen Händen gegeben wie Schwarzafrika.

Doch die Bodenfrage ist letztlich die Souveränitätsfrage. Ohne Selbstbestimmung über die Agrarfläche keine nationale Konzeption zum wichtigsten Problem – dem der Ernährung der eigenen Bevölkerung.

Die reichen G7-Staaten nutzen das Farmland für die Bedürfnisse des westlichen Marktes. Getreide, Mais, Soja oder Zuckerrohr wird nicht etwa für die hungernde Bevölkerung angebaut, sondern hauptsächlich zu Biosprit für die westliche Kundschaft verarbeitet.

Und diese Tendenz, so zeichnet sich schon ab, wird im Verteilungskampf des neusten Energie-Trauerspiels dramatisch zunehmen. Brot für die Welt – die Wurst bleibt hier. Durch den Agrarprotektionismus der US-Amerikaner, Europäer und Japaner verlieren die Afrikaner mehr Geld durch Exportverluste, als an Entwicklungshilfe bei ihnen eingeht. Die westliche Leitkultur ist eine Leidkultur für die Schwachen.

Die Interessenvereinigung der weißen Großgrundbesitzer in Afrika warnt davor, dass eine Enteignung schwerwiegende Folgen für das Wirtschaftswachstum haben würde. Allein die Diskussion dieser Möglichkeit hemme ausländische Investoren, die für den Kampf gegen Armut unerlässlich seien.

Als abschreckendes Beispiel hat man dann sofort Simbabwe parat. Doch dessen langjähriger Präsident Robert Mugabe wird in Afrika nicht so uneingeschränkt gehasst wie im Westen, und Südafrikas einstiger Präsident Nelson Mandela nicht so uneingeschränkt verehrt. Dieser sei im Westen so beliebt, sagten mir Künstler beim Weltsozialforum in Nairobi, weil er zugunsten der Versöhnung darauf verzichtet habe, das Unrecht aufzuheben.

Die Wahrheitskommissionen haben die Wahrheit über das extreme Verbrechen des Raubs von fast drei Vierteln des Ackerbodens nicht angefasst. "Die Zeit der Versöhnung ist vorbei", tönte 2018 die Partei Economic Freedom Fighters. Doch der letzte Versuch einer Überwindung der Apartheid durch Landreform scheiterte 2021.

"Wenn wir das nicht angehen", warnte der heutige Präsident Südafrikas, Cyril Ramaphosa, "wird dieses Problem, das unsere Nation schon seit Jahrhunderten belastet, in unseren Händen explodieren."

Daniela Dahn, geboren in Berlin, studierte Journalistik in Leipzig und war Fernsehjournalistin. 1981 kündigte sie und arbeitet seitdem als freie Schriftstellerin und Publizistin. Sie war Gründungsmitglied des "Demokratischen Aufbruchs" und hatte mehrere Gastdozenturen in den USA und Großbritannien.

Sie ist Mitglied des PEN sowie Trägerin unter anderem des Fontane-Preises, des Kurt-Tucholsky-Preises für literarische Publizistik, der Luise-Schroeder-Medaille der Stadt Berlin und des Ludwig-Börne-Preises.

Bei Rowohlt sind bislang zwölf Essay- und Sachbücher erschienen, vor dem aktuellen Buch "Der Schnee von gestern ist die Sintflut von heute" (2019).

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