Streit um Insider-News im Internet
Die Verwicklung des Webforums Dotcomtod in ein Strafverfahren wirft allgemeine Fragen von Haftung und Informationsfreiheit auf
Der Weblog Dotcomtod – eine Art Tagebuch der Krise der New Economy und anderer Not leidender Wirtschaftszweige – ist für seine deftigen Insider-Nachrichten berüchtigt. Doch ein betroffenes Unternehmen will sich jetzt erstmals gegen die nach außen getragenen Interna wehren. Der Fall könnte Kreise ziehen und zahlreiche Webforen treffen.
Die Macher der Webplattform Dotcomtod.com haben eine klare Mission: Sie wollen den "allgemeinen Downturn der New Economy aktiv mitgestalten", wie die nach einem Aufputschmittel benannte Münchner "Hypeagentur" Prozack stellvertretend für ihre in bunte Pseudonyme gehüllten Auftraggeber verkündet. Mitmachen kann bei der sich selbst als "Deutschlands führenden Anbieter für exitorientierte Unternehmensmeldungen" präsentierenden Netz-Community jeder, der Tratsch, Fakten und Neuigkeiten aus der mit dem Überleben kämpfenden Branche beizusteuern hat.
Besonders begehrt sind die echten Insider, die einen "finalen Boo" vorbereiten und die News einer gerade Pleite gegangenen Firma noch vor den Nachrichtentickern an das Forum schicken. Denn der Begriff "Exit" in der Selbstbeschreibung ist anders als im Slang der Wagniskapitalgeber wörtlich gemeint: Gefragt ist nicht die Jubelmeldung über den erfolgreichen Börsengang, sondern die schmutzige Wäsche bei der Insolvenzanmeldung.
Doch was für die Enthüller der an das legendäre US-Original Fucked Company angelehnten Infobörse eine Jagd nach Punkten und der Aufnahme in die Top 5 der "Sentinels" (Wachhunde) ist, missfällt zwangsweise den ausgebooten Unternehmen. Die suchen angesichts einer drohenden oder bereits erfolgten Pleite händeringend nach einem Käufer, der die Geschäfte weiterführt und womöglich Mitarbeiter übernimmt. Da kommt es ungelegen, wenn Interna und Spott bei Dotcomtod die Runde machen. Liest dort doch auch so mancher Journalist mit, sodass die unerfreulichen Nachrichten schon morgen in der Zeitung stehen können.
InsiderFrog
Ein Vertreter der Firma Frogdesign hat nun nach Informationen von Spiegel Online erstmals Strafanzeige gegen einen der Szene-bewanderten Insider gestellt. Der europäische Geschäftszweig der Design-Agentur, die alles andere als ein Startup ist und deren amerikanische Büros für Konzerne wie Microsoft arbeiten, musste jüngst Konkurs anmelden. Die News fand sich auch auf Dotcomtod wieder, wo der "InsiderFrog" bereits seit Monaten die Probleme der dahinsiechenden Firma ausplauderte. Dabei wurden nicht nur Pressenotizen als "Märchenstunde" entlarvt, sondern auch "Krisensitzungen" bei den Designer-Chefs wegen Meldungen über "austrocknende Sümpfe" für die "Froschkönige" auf dem Friedhofsportal der New Economy angekündigt.
Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf geht dem Fall nach. Im Visier haben die Ermittler bislang nicht die virtuelle Gerüchteküche, sondern den mitteilungsfreudigen Sentinel selbst. Ihn trotz des Pseudonyms ausfindig zu machen, dürfte nicht allzu schwierig sein: Für die Anmeldung bei der Plattform kann zwar "jeder angeben, was er will", wie die Gründerin "Lanu" sagt. Doch hätte die Kripo inzwischen bei dem Service-Provider des Forums, der Firma Puretec, die dort gespeicherten Logfiles sichergestellt. Mit Hilfe dieser Datenspuren lässt sich in der Regel ermitteln, von welchem Rechner aus beziehungsweise über welchen Zugangsanbieter die von Frogdesign beanstandeten Botschaften ins Web wanderten.
Wer löffelt die Suppe aus?
Die für zahlreiche redaktionelle Netzangebote entscheidende Frage ist allerdings, inwiefern die Betreiber von offenen Diskussionsforen und "Weblogbüchern" generell zur Haftung gezogen werden können. Die sich in ihrem wöchentlichen Newsletter gerne als Hausfrau und Mutter vom Prenzlauer Berg stilisierende Lanu sieht sich und ihr Team nur als Servierer einer Suppe, die sich die betroffenen Unternehmen selbst eingebrockt haben. Es dürfe nicht angehen, ergänzt "Crashdotcom", der die Rangliste der Sentinels anführende Informantenkönig, dass "die Botschafter für die Überbringung der schlechten Nachrichten verantwortlich gemacht werden."
Ein Sprecher von Frogdesign verweist dagegen auf die "fatalen Konsequenzen, die derartige Veröffentlichungen im Internet haben können". So würden in einem Pleitefall verbleibende Mitarbeiter, Kunden, Partner und potenzielle Investoren verunsichert und Existenzen vernichtet. Auch ein aktuelles Beispiel zeigt, dass die Insider-Postings in der Webchronik über die Leiden der New Economy nicht ohne sind: So wusste "Axos" jüngst vorab zu berichten, dass der Geschäftsführer der Firma Framfab Anfang des Jahres das Haus verlässt. Derartige News führen natürlich zu wilden Spekulationen, die Kunden des Unternehmens von Geschäften Abstand nehmen lassen könnten.
Einen "prinzipiellen Unterlassungs- sowie Schadenseratzanspruch" will Frauke Gersdorf, auf Medienrecht spezialisierte Rechtsanwältin in der Bonner Kanzlei Redeker Sellner Dahs & Widmaier, gegen die Plattformbetreiber denn auch nicht ausschließen, insofern Persönlichkeitsrechte oder Geschäftsgeheimnisse durch Insider-Informationen verletzt würden. Auch ohne entsprechende Klauseln in Arbeitsverträgen erfüllt nach allgemeiner Rechtsauffassung der Verrat von Betriebsinterna den Tatbestand nach § 17 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG).
Grundsätzlich können Frauke Gersdorf zufolge "die Betreiber von News-Plattformen für die angebotenen Inhalte haften". Für fremden Content gelten nach der 1997 beschlossenen Multimediagesetzgebung – dem Teledienstegesetz sowie dem Mediendienste-Staatsvertrag – allerdings Privilegien: Anbieter haften nur, wenn sie eine klare Kenntnis von gesetzeswidrigen Inhalten haben. "Denn niemand kann die Aussagen von tausenden Postings überprüfen", erläutert der Münchner Strafrechtprofessor Ulrich Sieber.
Die Grenzen zwischen fremden und eigenen Inhalten sind fließend
Gestritten wird in der Fachwelt allerdings über den Punkt, wie sich fremde von eigenen Inhalten abgrenzen lassen. "Bei der Übernahme von Informationen von Firmenmitarbeitern und anderen Externen liegt es nahe, von fremden Informationen für den Betreiber der Plattform auszugehen", bekundet Frauke Gersdorf. Nach gängiger Auffassung lägen eigene Inhalte nur dann vor, wenn der Betreiber der Plattform sie selbst geschaffen hat oder wenn die Informationen in seinem Auftrag beschafft wurden.
Sieber neigt dagegen zu der Auffassung, dass sich die Macher von Dotcomtod die Nachrichten ihrer Zulieferer zu eigen machen. Schließlich prüfen Lanu und ihr engster Mitarbeiterkreis, wie Sentinels gegenüber Telepolis bestätigten, die für die Site bestimmten Botschaften, ordnen sie in verschiedene Kategorien ein, verteilen "Credits" und schalten sie schließlich einzeln frei. Die echten Insider-Postings werden dabei gelb markiert, was sie als "nicht bestätigte Informationen" ausweisen soll. Doch die Farbdramaturgie erschließt sich auf die Schnelle nur den die Spielregeln kennenden News-Lieferanten, nicht uneingeweihten Besuchern.
Anbieter müssen nicht auf der Lauer liegen
Präzedenzentscheidungen in ähnlich gelagerten Fällen gibt es bislang nicht. Teilweise Entwarnung gibt Frauke Gersdorf allerdings für alle Medienangebote, die wie Telepolis oder heise online Leserforen mit automatischer Freischaltung von Beiträgen anbieten. Es sei keine Frage, "dass eine besondere Pflicht des Plattform-Betreibers, seinen Dienst auf die von Dritten abgespeicherten Inhalte regelmäßig zu überprüfen, nicht besteht". Er müsse also nicht ständig "auf der Lauer liegen". Nichtsdestoweniger bestehe aber die Möglichkeit, den Anbieter nachträglich von etwaigen rechtswidrigen Inhalten in Kenntnis zu setzen. Das habe die Folge, dass er fortan "bösgläubig" sei und hafte.
Lanu und ihre Helfer gehen trotz der wackeligen Rechtslage davon aus, "dass diese neue Art der Informationsbeschaffung nicht aufgehalten werden kann". Es wäre "verheerend", warnt auch Andy Müller-Maguhn, Sprecher des Chaos Computer Clubs (CCC), wenn "aufgrund merkwürdiger Rahmenbedingungen die Informationsfreiheit bedroht würde." Sei es doch gerade ein hervorragendes Merkmal des Internet, dass sich die Teilnehmer die Realität abseits der Massenmedien "in persönlichen Kleinberichten" erfahrbar machen.
Überlagert ist bei Dotcomtod momentan die Angst vor weiteren Klagen durch die Freude über den neuen PR-Coup: Nachdem Spiegel Online die verkappten Systemkritiker ins Licht der Netzwelt gestellt hatte, gingen die Klickzahlen derart sprunghaft nach oben, dass Puretec aufgrund des vertraglich nicht abgedeckten Serveransturms die Datenbank zunächst offline stellte. 80.000 bis 100.000 Seitenabrufe in 20 Minuten waren dem Provider auf die Schnelle einfach zu viel.
Inzwischen ist der Krisenmarktplatz wieder online. "Wir prüfen gerade Angebote", berichtet Lanu mit den lieben Kleinen auf dem Schoss und einem nicht mit einem Heiligenschein zu verwechselnden weihnachtlichen Mistelzweig über dem Kopf, "die uns netterweise bezüglich des Serverhostings gemacht wurden."