Streumunition: Kriegseskalation und Strafanzeige gegen Steinmeier

Darf man den USA bei der Lieferung geächteter Streubomben an die Ukraine nicht in den Arm fallen? Oder muss man das sogar? Ein Interview über den Bundespräsidenten und eine Strafanzeige.

Die Ankündigung der US-Regierung, die Bestände der Ukraine an international geächteter Streumunition aufzustocken, ist wohl ein Eingeständnis, dass die milliardenschweren westlichen Waffenlieferung nicht ausreichten, um die russische Front groß zu schwächen. Und sie ist eine – verglichen mit einem Nato-Beitritt – kleine Stärkung der Ukrainischen Regierung, die alle russisch besetzten Gebiete zurückerobern will. Doch dagegen gibt es vielfältigen Widerstand.

Lese-Tipp: Verstoß gegen Kriegswaffenkontrolle: Strafanzeige gegen den Bundespräsidenten im Wortlaut

Herr Göhring, Sie haben Anfang dieser Woche gegen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Kontext der US-Lieferung von Streuwaffen an die Ukraine eine Strafanzeige gestellt. Warum?

Wolf Göhring: Es ist seine Äußerung im ZDF-Sommerinterview, wonach man den USA bei der Lieferung von Streuwaffen an die Ukraine "nicht in den Arm fallen" dürfe.

Welches deutsche Recht verletzt der Bundespräsident Ihrer Ansicht nach konkret?

Wolf Göhring: Der Bundespräsident verletzt aus meiner Sicht das Kriegswaffenkontrollgesetz. Durch das deutsche Ratifikationsgesetz des Osloer Abkommens wurden im Kriegswaffenkontrollgesetz Streuwaffen neben biologischen und chemischen Waffen sowie neben Anti-Personenminen als verbotene Waffen eingeführt. Hierdurch ist der Umgang mit diesen Waffen verboten und mit Haft bedroht.

Auch das Fördern des Umgangs ist verboten, wozu ein Unterlassen von Maßnahmen gehört, die den Umgang verhindern würden. Diese Strafandrohung kann nur der Gesetzgeber, nämlich der Bundestag, beschließen. Dazu reichte eine Unterschrift in Oslo nicht aus. Die USA möchten dem Munitionsmangel der Ukraine durch Lieferung der Streuwaffen abhelfen. Der kürzeste, aber durch das Kriegswaffenkontrollgesetz verbotene Weg zur Ukraine führt über Deutschland. Aus meiner Sicht versuchte Herr Steinmeier, diese Verbotstafel wegzuräumen.

In der Osloer "Übereinkommen über Streumunition" steht:

Artikel 1
Allgemeine Verpflichtungen und Anwendungsbereich
(1) Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, unter keinen Umständen jemals
a) Streumunition einzusetzen, [...]
c) irgendjemanden zu unterstützen , zu ermutigen oder zu veranlassen, Tätigkeiten vorzunehmen, die einem Vertragsstaat aufgrund dieses Übereinkommens verboten sind.

Deutschland hat ja als einer von rund 110 Staaten die Osloer Anti-Streubomben-Konvention ratifiziert. Welche Verpflichtungen ergeben sich hieraus für ukrainische Streubombeneinsätze?

Wolf Göhring: Neben Deutschland haben 110 weitere Staaten das Abkommen unterschrieben und (!) ratifiziert. Die angesprochenen gesetzlichen Bestimmungen gelten im Inland. Wenn aber aus Geschützen, die die deutsche Bundesregierung an die Ukraine lieferte, Streumunition verschossen werden sollte, dann "fördert" die Bundesregierung den verbotenen Einsatz, denn sie könnte entweder den Einsatz von Streumunition mit diesen Geschützen untersagen (und sich Garantien geben lassen) oder die Geschütze zurückbeordern.

Mit Streumunition kann kein Quadratmeter ukrainischen Bodens "verteidigt" werden, der Gegner wird mit solchen Waffen zurückschießen. Die Blindgänger, egal ob defensiv oder offensiv verschossen, machen das ausgedehnte Kampfgebiet auf Jahrzehnte zu einer No-go-area, wo sich nur noch Fuchs und Hase gute Nacht sagen.

Wäre denn eine Vertragsverletzung des Osloer Abkommens durch Deutschland justiziabel?

Wolf Göhring: Eine Verletzung des Osloer Abkommens erscheint mir wenig justiziabel, denn dann müsste man Deutschland vor ein internationales Gericht stellen. Das Abkommen ermöglicht das aus meiner Sicht nicht. Aber durch das Ratifikationsgesetz wurde aus dem Abkommen ein innerstaatliches Gesetz mit klaren Straftatsbeständen. Es ist unsere Sache als mündige Bürger, die Einhaltung eines solchen Gesetzes von jedermann, auch vom Bundespräsidenten, mit den Mitteln innerstaatlichen Rechts einzufordern.

Was ist ihre Motivation, welches politische Ziel verfolgen Sie mit Ihrer Anzeige?

Wolf Göhring: Ich möchte eine Debatte zu Steinmeiers Äußerung anstoßen. Die Verantwortlichen präsentieren sich als Hüter westlicher Werte, wozu ich solche Kriegswaffenverbote zähle. Wenn's ernst wird, sollen wir's nicht ernst nehmen und niemandem in den Arm fallen. Konkret geht es mir selbstverständlich darum, dass diese verbotenen Waffen auf keinem Weg in die Ukraine gelangen. Sollten sie doch auftauchen, dann müsste die Bundesregierung, um sich nicht selbst dem Vorwurf einer Straftat auszusetzen, die deutschen Geschütze zurückrufen. Das wäre peinlich, aber das Gesetz ist so.

Sind Sie Rechtsanwalt? Erhalten Sie juristische und politische Unterstützung?

Wolf Göhring: Ich bin Mathematiker. Dieses Fach kann man nicht betreiben, wenn man fünfe gerade sein lässt. Bei manchen Rechtsvorschriften mag es große Spielräume zur Interpretation geben. Aber hier erscheint mir die Sache so eindeutig zu sein, wie zwei mal zwei vier ergibt.

Welche Reaktion erwarten Sie von Steinmeier? Der Bundespräsident wird vermutlich erst reagieren, wenn ein gewisser öffentlicher Druck besteht. Und er wird mir wohl nicht recht geben wollen. Klarheit zu finden, ist jetzt Sache von Staatsanwälten und Gerichten. Es gab schon Gerichtsverfahren wegen kriegerischer Verwicklungen der Bundesrepublik, z.B. die Schadenersatzforderungen der Opfer des Bombardements der Brücke von Varvarin im Jahre 1999.

Oder die Klagen wegen des Massakers am Kundus im Jahr 2009. Oder Klagen von Opfern des amerikanischen, über Ramstein laufenden Drohnenkrieges. Diese Verfahren scheiterten. Hier erscheint es mir nicht so leicht, sich aus der Affäre ziehen.

Welche Reaktion erwarten Sie von der Bundesregierung?

Wolf Göhring: Die Bundesregierung wird lieber mir als den USA in den Arm fallen wollen. Das heißt, sie wird die Dinge am liebsten so weiter vorantreiben wie bisher. Wir müssen die Barbarei dieser Waffen, die Verseuchung weiter Gebiete der Ukraine mit Blindgängern, die Verstöße gegen Recht und Gesetz verdeutlichen.

Ob, wann und wie die Bundesregierung reagiert, kann ich nicht vorhersagen. Sie hat im Mai eine recht nüchterne Antwort auf eine Kleine Anfrage der Partei "Die Linke" zu Streuwaffen gegeben. Nachdem die USA die Waffen liefern wollen, wird die Bundesregierung keine Ablehnung äußern. Vielleicht übernahm Herr Steinmeier den Part, fürs Stillhalten zu sorgen, was dann wohl missglückt wäre.

Herr Göhring, wie kann man Ihre Aktion unterstützen?

Wolf Göhring: Man kann den Text der Anzeige kopieren oder geeignet abändern und mit eigenem Namen und eigener Unterschrift an die Bonner Staatsanwaltschaft oder eine andere schicken.

Oder Leserbriefe an Tageszeitungen schreiben oder sonst die Sache öffentlich ansprechen. Man sollte aufzeigen, dass immer mehr Waffen keinen Frieden schaffen, sondern immer tiefer in die Barbarei führen, aus der der Rückweg umso mühevoller wird.

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