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Syrien und Jemen: Die Schwarz-Weiß-Logik des Kalten Kriegs

Angeblich nach einem saudischen Luftangriff zerstörter Freizeitpark in Sanaa am 12. Februar.

Während der Westen Russlands Luftangriffe in Syrien geißelt, ist der saudische Luftkrieg im Jemen kein Thema, der türkische Krieg gegen die Kurden wird hochgefährlich

Putin und Obama haben gestern miteinander telefoniert und dabei angeblich betont [1], dass wie in der Syrischen Unterstützergruppe (ISSG) in München möglichst schnell ein humanitärer Zugang zu abgeriegelten Gebieten und ein landesweiter Waffenstillstand geschaffen werden müsse. Putin stellte [2] die Notwendigkeit einer gemeinsamen Front gegen den Terrorismus heraus und kritisierte zweifache Maßstäbe. Die fallen derzeit vor allem gegenüber der Türkei auf, die massiv gegen die eigene kurdische Bevölkerung vorgegangen ist und ähnliche Zerstörungen in den Städten anrichtete, wie sie in Syrien zu sehen sind, und gegenüber Saudi-Arabien, das seit einem Jahr einen Krieg gegen jemenitische Aufständische führt und dabei Zivilisten ebenfalls nicht schon.

Während die beiden Alliierten massive Kriegseinsätze auch gegen die Zivilbevölkerung führen, ist man sich auch auf der Sicherheitskonferenz einig gewesen, alleine Russland eines angeblichen "Flächenbombardements" zu beschuldigen. Dafür gibt es zwar keine Beweise, zumal dort, wo die russische Flugwaffe bombardiert, sich auch Stellungen etwa des Islamischen Staats oder von al-Nusra befinden. Aber die Logik Freund-Feind ist derzeit mit den entsprechenden Scheuklappen wieder hart zementiert.

Trotz des versöhnlichen Tons der beiden Präsidenten sind die Unterschiede kaum zu überbrücken, zumal die Regionalmächte hinter den beiden Großmächten nicht willens sind, ihre geopolitischen Interessen zurückzustecken. Es ist aber auch nicht abzusehen, dass Russland die Luftunterstützung der Offensive der syrischen Truppen in der Provinz Aleppo einstellen wird, so lange die "Rebellen" nicht entscheidend geschwächt wurden oder die USA bereit sind, mit Russland an einer Friedenlösung zu arbeiten. Putin weiß, dass die USA unter Obama keinen offenen Krieg in Syrien wollen, auch wenn manche US-Politiker wie der Senator John McCain darauf drängen, aber dem US-Präsidenten auch die Macht fehlt, die Alliierten, allen voran Saudi-Arabien und die Türkei, zu zügeln. Washington versicherte der Türkei Solidarität und forderte die Regierung auf, Zurückhaltung zu zeigen (Welt am Rande des Weltkrieges? [3]).

Das bekümmerte Ankara keineswegs, wo man weiß, dass die EU und vor allem Deutschland praktisch rückhaltlos die Türkei stärken, um den Flüchtlingsstrom zu begrenzen - der Konflikt mit den Kurden, der das Potenzial hat, die ganze Region zu spalten, rutscht dabei weit in den Hintergrund. Auch am Sonntag feuerten [4] die türkischen Streitkräfte auf kurdische Kämpfer, die sich der syrischen Grenzstadt Azaz nähern - und dadurch nicht nur der USA in den Rücken fallen und provozieren, dass die Nato die Türkei militärisch unterstützen müsste, sondern auch Zivilisten gefährden und die Fluchtwelle verstärken, während die Türkei weiterhin die Grenze für die syrischen Flüchtlinge geschlossen hält.

Interessant ist derzeit vor allem die Rolle des Saudi-Arabiens, das sich nun offensiver in den Syrien-Konflikt auf der Seite der Türkei einschalten will. Saudi-Arabien hat angekündigt, weitere Kampfflugzeuge auf den türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik zu verlegen [5], zudem wolle man Bodentruppen senden. Das sei ein endgültiger Beschluss, aber es soll [6] im Rahmen der von der USA geführten Koalition geschehen. Der saudische Außenminister Adel ab-Dschubeir hat in einem Interview mit der Süddeutschen zur Sicherheitskonferenz ("Assad wird es in Zukunft nicht mehr geben") erklärt, dass die US-Koalition für die Luftangriffe in Syrien, die streng genommen völkerrechtswidrig sind, "eine Rechtsgrundlage" habe: "Ich würde annehmen, dass der Einsatz von Bodentruppen gegen den IS davon auch gedeckt ist." Nachgefragt haben die Journalisten allerdings nicht, obgleich sie auf dem Hintergrund fragten, dass Syrer und Russen saudische Bodentruppen als Invasion betrachten würden.

Angeblich Flüchtlinge aus Afrin nach dem Beschuss durch die Türkei.

Die überstürzte Eile, nun mit türkischen oder saudischen Bodentruppen zu drohen, muss man trotz der gerade getroffenen Verabredung auf einen Waffenstillstand in München in Verbindung mit dem Vormarsch der syrischen Truppen und der kurdischen YPG- bzw. SFD-Verbände im Norden von Aleppo sehen. Die von Saudi-Arabien und den Golfstaaten ebenso wie von der Türkei, aber auch von den USA unterstützten "Rebellen" drohen ihre Versorgungswege von der Türkei zu verlieren. Das dürfte ihr Ende einleiten. Der syrische Präsident Assad hat dieses Ziel auch in einem Interview [7] vom 12. Februar herausgestellt, dass das Nahziel die Unterbrechung der Route zwischen der türkischen Grenze und Aleppo sei. Vermutlich haben es nun alle Kriegsparteien eilig, noch schnell vor einem möglichen, wenn kaum absehbaren Waffenstillstand ihr Territorium zu sichern bzw. auszuweiten. Assad hat denn auch betont, dass er nicht gewillt ist, einen Teil von Syrien aufzugeben, die Lage sei aber schwierig, weil der IS und andere bewaffnete Gruppen nicht nur über die Türkei, sondern über den Irak und Jordanien mit Nachschub versorgt werden.

Gleichzeitig mit der syrisch-russischen Offensive rücken die Kurden, so behaupten sie zumindest, auch in den vom Islamischen Staat gehaltenen Korridor vor und versuchen, Jarabalus zu erobern. Gelingt der kurdische Zangengriff im Verein mit dem von der russischen Luftwaffe sekundierten Vormarsch der syrischen Truppen südlich von Aleppo, dann könnten die Kurden die letzte Lücke zwischen Rojava und Afrin schließen und hätten damit ein zusammenhängendes Gebiet entlang der türkischen Grenze. Damit würden dem IS, aber auch al-Nusra und anderen mehr aber wohl eher weniger moderaten bewaffneten Gruppen die Luft ausgehen, wenn die Kämpfe nicht schnell enden oder eine Flugverbotszone eben da eingerichtet wird, wo dies die Türkei schon seit Jahren fordert und wodurch die "gemäßigten" Gruppen geschützt würden. Zu den gemäßigten Gruppen, davon wird in den westlichen Medien, geschweige denn von den verantwortlichen Politikern kaum mehr gesprochen, gehören neben al-Nusra auch die ideologisch und praktisch von al-Qaida kaum unterscheidbaren salafistischen Gruppen.

Westen schweigt über den saudischen Krieg im Jemen

Der Bürgerkrieg in Syrien überdeckt nicht nur den Ukraine-Konflikt, der auf der Sicherheitskonferenz fast nur noch als Drohkulisse für Drohgebärden der Nato gegenüber Russland diente, sondern vor allem auch den Krieg im Jemen, in dem sich ebenso wie in Syrien schiitische und sunnitische Regionalmächte gegenüberstehen und der bislang mindestens 6000 Menschen das Leben gekostet hat. In dem schon erwähnten Gespräch erklärte der saudische Außenminister dreist, einzig Iran, der nichts im Irak, in Syrien, im Jemen, im Libanon oder in Bahrain verloren habe (Saudi-Arabien aber offensichtlich schon), sei für die regionalen Konflikte verantwortlich, die der Außenminister als religiösen Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten deutet.

Saudi-Arabien hingegen habe "keine Ambitionen jenseits unserer Grenzen". Man sei immer "reaktiv" gewesen. Im Jemen habe man nur "aus blanker Notwendigkeit" eingegriffen, weil die Huthi-Miliz "kurz vor der Übernahme des Landes" gestanden habe. Man habe keine andere Wahl gehabt, man sei auch von der legitimen Regierung gebeten worden. Darauf hingewiesen, dass Russland in Syrien ähnlich argumentiert, sagte al-Dschubeir, das könne man nicht vergleichen. Assad sei rigoros gegen Kinder vorgegangen, zudem habe er den IS gewähren lassen.

Nachdem schiitische Huthis zusammen mit Sicherheitskräften, die dem früheren Präsidenten Saleh loyal blieben, Ende 2014 die Kontrolle über die Hauptstadt Sanaa und große Teile des Nordens übernommen hatten, begann eine von Saudi-Arabien geführte Koalition - nach dem Vorbild der US-Anti-IS-Koalition im Irak und in Syrien - im März 2015 mit Luftangriffen, die seitdem auch vielen Zivilisten das Leben kosteten und zivile Ziele beschädigten. Ziel der saudischen Intervention ist die Wiederherstellung der Macht der Regierung und des Präsidenten, der vorübergehend nach Saudi-Arabien fliehen musste.

Angeblich nach einem saudischen Luftangriff zerstörtes Haus in Sanaa am 11. Februar.

Auffällig ist hier, dass Saudi-Arabien die Huthis bombardiert und Söldner als Bodentruppen ins Land schickt, aber al-Qaida und den mittlerweile auch im Jemen angekommenen IS verschont. Al-Qaida wird von der weiteren Kriegspartei, nämlich von den USA, gelegentlich durch bewaffnete Drohnen unter Beschuss genommen. Das wäre dann eine Art Arbeitsteilung, die aber mit al-Qaida im Jemen (AQAP) ähnlich schonend umgeht wie mit al-Qaida in Syrien (al-Nusra).

Und noch etwas fällt bei diesem Krieg auf, der zwar auch zu Flüchtlingen führt, die aber noch nicht Europa erreichen, weil Jemen schlicht zu weit entfernt ist, die Menschen dort ärmer als in Syrien sind und es bis vor kurzem selbst ein Land war, in dem Flüchtlinge vor allem aus Äthiopien und Somalia Zuflucht gefunden haben. OCHA [8] ging Ende 2015 davon aus, dass in Jemen 2,5 Millionen Menschen zu internen Flüchtlingen wurden. Nach dem saudischen Außenminister sollen 700.000 nach Saudi-Arabien geflohen sein: "Keiner lebt in einem Zelt", behauptet er. Dort aber gibt es praktisch keine Anerkennung von Flüchtlingen oder einen Asylanspruch. 21 Millionen Menschen, mehr als 80 Prozent der Bevölkerung, sollen angewiesen auf humanitäre Hilfe sein.

Ein vom Guardian zitierter UN-Bericht [9], der an den Sicherheitsrat ging, aber noch nicht veröffentlicht wurde, wirft der saudischen Regierung "weite und systematische" Angriffe auf zivile Ziele vor. 119 Luftangriffe wurden dokumentiert, die gegen das internationale humanitäre Recht verstoßen hätten, darunter Angriffe auf Flüchtlingslager, Hochzeiten, Busse, Wohngebiete, Krankenhäuser, Moscheen oder Märkte sowie wichtige Infrastruktur. 60 Prozent der getöteten und verletzten Zivilisten werden auf Luftangriffe zurückgeführt.

In einem gestern veröffentlichten Bericht [10] der Menschenrechtsorganisation HRW wird Saudi-Arabien erneut vorgeworfen, Streubomben einzusetzen. Riad hat die Mitarbeiter des Roten Kreuzes aufgefordert, die von den Huthis kontrollierten Gebiete zu verlassen, das Rote Kreuz lehnte [11] dies am Freitag ab und verlangte Sicherheitsgarantien.

Man muss sich allerdings fragen, ob sich Saudi-Arabien tatsächlich in einen neuen Krieg in Syrien hineinziehen lassen will, auch wenn die von den Saudis unterstützten Truppen Teile der Hauptstadt von Sanaa oder in Taiz eingenommen haben sollen. Schließlich gewinnen im Jemen nicht nur al-Qaida und der IS an Boden, sondern der Krieg weitet [12] sich allmählich auch auf Saudi-Arabien aus. Mehrmals wurden bereits Scud-Raketen aus dem Jemen nach Saudi-Arabien abgefeuert, die dort von Patriot-Systemen abgeschossen worden sein sollen, die letzte am Samstag, immerhin hundert km von der Grenze entfernt. Nach anderen Berichten [13] sollen saudische Militärstützpunkte von Raketen getroffen worden sein. An der Grenze mussten bereits wegen der Kämpfe mehrere Dörfer in Saudi-Arabien geräumt [14] werden.


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https://www.heise.de/-3378317

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.whitehouse.gov/the-press-office/2016/02/14/readout-presidents-call-president-vladimir-putin-russia
[2] http://en.kremlin.ru/events/president/news/51312
[3] https://www.heise.de/tp/features/Welt-am-Rande-des-Weltkrieges-3378305.html
[4] http://www.hurriyetdailynews.com/pyd-should-withdraw-turkish-pm-tells-us-as-shelling-continues.aspx?pageID=238&nID=95144&NewsCatID=352
[5] http://www.almasdarnews.com/article/saudi-arabia-deploys-more-jets-to-turkey/
[6] http://saudigazette.com.sa/saudi-arabia/saudi-troop-deployment-in-syria-up-to-us-led-coalition/
[7] http://www.presidentassad.net/index.php?option=com_content&view=article&id=1510:president-bashar-al-assad-s-afp-interview-february-12-2016&catid=322&Itemid=468
[8] http://www.unocha.org/yemen
[9] http://www.theguardian.com/world/2016/jan/27/un-report-into-saudi-led-strikes-in-yemen-raises-questions-over-uk-role
[10] https://www.hrw.org/news/2016/02/14/yemen-cluster-munitions-wounding-civilians
[11] http://www.al-monitor.com/pulse/contents/afp/2016/02/yemen-conflict-saudi-un-aid-icrc.html
[12] http://www.almasdarnews.com/article/saudi-arabia-deploys-more-jets-to-turkey/
[13] https://www.almasdarnews.com/article/28018/
[14] http://uk.reuters.com/article/uk-yemen-security-saudi-idUKKCN0VA36H