Täuschend echt designte Kriegsspiele: Missbrauch vorprogrammiert?

Seite 2: Computerspiele und der Krieg in der Ukraine

Der in der Ukraine seit zehn Monaten tobende Krieg hat teilweise archaisch anmutende Züge. Seit er sich zum Stellungskrieg mit traditionellen Schützengräben entwickelt hat, wird wieder auf Sicht geschossen wie in den beiden Weltkriegen. Aber insgesamt dominieren modernere Methoden mit weitreichenden Haubitzen, Raketen jeglicher Reichweite und immer mehr Drohnen.

Die letzteren sind entweder ferngesteuerte oder selbststeuernde fliegende Bomben, daneben spielt die Aufklärung und Zielerkennung eine immer entscheidendere Rolle. Das Ziel, gegnerische Panzer, Truppentransporter, Flugzeuge, Raketenabschussgeräte – und natürlich auch Soldaten – wird mit Hilfe eines Computers festgelegt und je nach Genauigkeit der Einstellungen und Präzision der Systeme auch vernichtet.

Der offenbar durch die Ortung von Mobiltelefonen ermöglichte Raketenschlag auf Mariivka am 31. Dezember tötete zwischen 89 und 400 russische Soldaten, die Opferzahlen schwanken je nach russischen und ukrainischen Angaben. Der Zwischenfall zeigt, wie technisch und emotional einfach das gegenseitige Töten in dieser Auseinandersetzung geworden ist.

Psychologen, Pädagogen und besorgte Eltern diskutieren seit Jahren kontrovers über den Einfluss von sogenannten Killerspielen auf Kinder und Jugendliche. Bisher sind diese Debatten weitgehend theoretisch geblieben, weil neben Mobbing und verstärkter Gewalt auf Schulhöfen und Straßen keine oder nicht ausreichende empirischen Daten über Zwischenfälle mit Todesfolge oder wirklich geplante Morde vorlagen.

Der Ukraine-Krieg liefert nun neue Aspekte der möglichen Zusammenhänge zwischen Computerspielen und Wirklichkeit. Die Spiele sind inzwischen so realitätsnah geworden, dass einzelne Szenen von Medien, Bloggern und Youtubern übernommen und als Dokumentation des Ukraine-Kriegs wahrgenommen werden.

Prof. Claire Wardle vom Information Futures Lab der Brown University hat diese neue Entwicklung untersucht und als gefährliche Quelle für Falschinformationen beschrieben. Computergenerierte Bilder und Filme sind an sich nichts Neues, die Filmindustrie arbeitet damit seit Jahrzehnten und zunehmend erfolgreich.

Aber die Technik ist inzwischen so weit fortgeschritten, dass die Unterschiede zur Realität kaum noch erkennbar sind. Und genau darin liegt die Gefahr, dass Informationen manipuliert werden, was ohnehin die traditionelle Aufgabe der Propaganda ist.

Die Erfolgsmeldungen der ukrainischen und der russischen Seite liegen faktisch meistens so weit auseinander, dass wir nicht wissen, was wir glauben sollen. Aber Bilder und Filme wirken so intensiv und direkt auf unsere Emotionen, dass der kritische Verstand leicht unterlaufen wird.

Erster Alarm in den Medien

In den ersten Januartagen berichtete die Nachrichtenagentur AFP, die selbst zahlreiche Videos produziert, wie Ausschnitte aus einem Video-Kriegsspiel in den letzten Monaten immer wieder in den offiziellen und sozialen Medien aufgetaucht sind. Das Thema wurde von zahlreichen Informationsmedien aufgenommen, die regelmäßig über den Krieg berichten.

Der Bericht der South China Morning Post (SCMP) vom 4. Januar enthält auch ein Video aus dem Original, dem Computerspiel "Arma 3" – einem "realism-based military tactical shooter video game" der tschechischen Firma Bohemia Interactive, das seit 2013 erfolgreich weiterentwickelt und mit immer neuen Varianten ergänzt wird.

Die virtuellen Waffensysteme können von den Spielern hinzugekauft werden und erzeugen offenbar beim Abschuss gegnerischer Kriegsgeräte und Soldaten die entsprechenden Erfolgs- und Belohnungsgefühle. Die Videos sind so realistisch, was durch eingeblendete Zusätze wie "live" oder "neueste Nachrichten" noch unterstrichen wird, dass viele Spieler sie für real halten und ihre eigenen erfolgreichen Aktionen im Spiel bei YouTube hochladen.

Der erwähnte SCMP-Artikel berichtet über einen YouTube-Nutzer, der so von der Authentizität eines Arma-3-Videos überzeugt war, dass er vorschlug, die Ukrainer sollten nach dem Krieg den Nato-Truppen zeigen, wie man erfolgreich kämpft.

Generell dürfte zu erwarten sein, dass Computertechnik und künstliche Intelligenz sowie die Ansätze der Metaverse-Idee den Unterschied zwischen Fiktion und Realität weiter verwischen. Die Gefahr des Missbrauchs zur Desinformation und Manipulation liegt damit auf der Hand und wird allein durch den wachsenden Umfang der Informationsflut kaum durch Faktenchecks einzudämmen sein.

Kürzlich kursierte bei Facebook eine Karikatur mit zahlreichen Gehirnen, die durch einen Schlauch mit einer Informationsquelle verbunden waren. Der Text dazu lautete: Wenn sie glauben, dass die Hände das am meisten gewaschene Körperteil sind, liegen sie falsch. Es ist das Gehirn.

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