"Tag der Arbeit" im Zeichen von Krieg, Krise und Eigentumsfrage
Die unterschiedlichsten linken Spektren haben am 1. Mai in Berlin Mobilisierungsfähigkeit bewiesen. Die Frage ist nur, ob sie auch Alltagswiderstand und Streiks organisieren können
Es ist schon selten, dass nach einem 1. Mai in Berlin fast alle Seiten zufrieden sind. Die Berliner Polizeipräsidentin sprach von einem weitgehend friedlichen Verlauf. Diese Einschätzung dürfte sich auch nicht wesentlich dadurch ändern, dass es am späteren Sonntagabend noch einige Rangeleien, Flaschenwürfe und Festnahmen gab.
Auch das Organisationsteam der „Revolutionären 1.-Mai-Demonstration“ zeigte sich im Anschluss sehr zufrieden. „Wir waren viele, sehr viele“, hieß es auf Twitter. In einer Pressemitteilung sprechen die Veranstalter von 20.000 Teilnehmern. Die Polizei schätzte die Teilnehmerzahl zunächst auf 14.000. Viele von ihnen hatten wohl selbst nicht erwartet, dass sie weitgehend ohne Zwischenfälle den Abschlussort am Oranienplatz erreichen würden.
Dort gab es dann kein Programm mehr, sodass erst mal Leerlauf angesagt war. Vielleicht sollte man sich das nächste Mal um eine Band zum Abschluss kümmern. Im Verlauf der Route gab es viele Redebeiträge, die sich unter gegen die geplante, aber umstrittene Polizeiwache am Kottbuser Tor richteten. Ein zentrales Thema war die Verschärfung der sozialen Krise, der sich unter anderem in der steigenden Inflationsrate ausdrückt. Aber auch auf den Krieg in der Ukraine wurde in vielen Reden sowie auf Transparenten und selbstgemalten Schildern Bezug genommen.
"Wir zahlen nicht für eure Kriege"
„Weder Putin noch Nato“, war die hegemoniale Position zum russischen Angriffskrieg einerseits und zur westlichen Interessenpolitik in Sachen Ukraine und dem aktuellen Aufrüstungskurs andererseits. Betont, dass es sich um einen innerkapitalistischen Konflikt handle. Dieser werde auf dem Rücken der Mehrheit der Menschen ausgetragen, die mit nationalistischen Mythen darauf eingeschworen würden, für Staat und Nation zu sterben. Von der „Nato-Linken“ in Deutschland, die sich in den ersten Wochen nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine auch in linken Medien stark zu Wort meldete, war am 1. Mai wenig zu hören und zu sehen.
Der Krieg in der Ukraine war am 1. Mai am Vormittag auch auf der zentralen Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Thema gewesen. Auf Transparenten und Schildern wurde vor einem Kriegskurs gewarnt. Eine ältere Gewerkschafterin hatte „Stoppt die Ostlandritter nicht erst vor Stalingrad“ auf ihr Schild geschrieben.
Wenn man die deutsche Medienberichterstattung über den Ukraine-Krieg verfolgt, kann der Eindruck entstehen, da wolle jemand für Stalingrad 1943 und Berlin 1945 Revanche üben. Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann bekam wenig Applaus, dafür aber einige Zwischenrufe für seine lauwarme Kritik am Aufrüstungskurs nach Nato-Vorgaben. Man solle das Geld lieber in den Green New Deal stecken und die sozial-ökologische Modernisierung voranbringen – diese Maßnahmen sind in Hoffmanns Augen auch der beste Schutz vor Rechtspopulisten und Autokraten.
Lauter wurde es auf der Kundgebung, als die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey das Wort ergriff. Ihre Einladung hatte auch gewerkschaftsintern für starke Kritik gesorgt. Auch am 1. Mai hielt sich die Zahl ihrer Unterstützer in Grenzen. Dafür wuchs der Protestpegel, als Giffey sich ausdrücklich noch einmal bei der Polizei bedankte. Zu den Giffey-Kritikern gehörten auch Aktivisten der Initiative Deutsche Wohnen und Co. enteignen. Giffey hat wiederholt deutlich gemacht, dass sie das erfolgreiche Volksbegehren am liebsten ignorieren würde.
Von der Krise zur Enteignung
„Volksbegehren umsetzen“, gehörte denn auch zu der beliebtesten Parole auf der Kundgebung. „Von der Krise zur Enteignung“ stand auf einem Banner der linken Stadtteilinitiative „Hände weg vom Wedding“. Unter diesem Motto war am Nachmittag des 30. April eine Demonstration von rund 1000 Menschen durch den Stadtteil Wedding organisiert worden.
„Hände weg vom Wedding“ hatte sich vor einigen Monaten mit der Berliner Aktion gegen Arbeitgeberunrecht (BAGA) vereinigt, die seit Jahren außerbetriebliche Unterstützung für Arbeitskämpfe organisiert und dabei auch manchen DGB-Funktionären mächtig Dampf machte.
Im letzten Jahr, als der DGB wegen der Corona-Pandemie alle Demonstrationen und Kundgebungen zum 1. Mai abgesagt hatte, mobilisierte die BAGA mehrere Tausend Menschen zu einem Protestzug durch Berlin-Mitte. In diesem Jahr hatte der DGB erstmals seit zwei Jahren wieder eine eigene Demonstration angemeldet – und die BAGA rief dort zur Beteiligung am „klassenkämpferischen Block“ auf.
Dort waren viele der Slogans zu sehen, die dann auch bei Giffeys Rede rund um die Bühne laut wurden. Hier konnte der Unmut und Protest gegen Giffeys Politik und auch gegen Teile der DGB-Führung gebündelt und der Beginn eines Organisierungsprozesses sichtbar werden.
Das war nicht nur in Berlin so. Die Positionierung zur Aufrüstung sorgte auch in anderen Städten im Vorfeld des 1. Mai für Diskussionen. In Bremen wurde dem langjährigen Daimler-Betriebsrat und Unterstützer des „Roten Blocks“, Gerhard Kupfer, vom Vorstand untersagt, am 1. Mai im Block des DGB mitzulaufen.
Der „Rote Block“ hatte im Vorfeld kritisiert, dass auf der Abschlusskundgebung von einen Redner weitere Waffenlieferungen der Nato an die Ukraine gefordert würden. Die Kritiker konnten allerdings der DGB-Demonstration vorangehen und fanden damit viel Aufmerksamkeit.
Den Krieg bestreiken?
Zufrieden waren in Berlin auch die hedonistischen Linken, die wie in den vergangenen Jahren auch in diesem Jahr einen politischen Fahrradausflug in den Grunewald unternahmen, um in dem Viertel der Reichen etwas Klassenkampf-Feeling aufkommen zu lassen.
Nach zwei Jahren pandemiebedingten Einschränkungen zeigten sich die unterschiedlichen Protestszenen in Berlin sehr motiviert. Zu den unterschiedlichen Veranstaltungen kamen zahlreiche Menschen – und vor allem die Demonstration am Abend war deutlich politischer als in den Jahren vor Corona. Das kann auch daran liegen, dass ein Teil des Eventpublikums, die in der Demonstration nur eine Fortsetzung des „Myfestes“ sah, wegfiel.
Denn dieses Myfest war abgesagt worden. Nach den diesjährigen Erfahrungen ist das eine Bereicherung der Protestkultur. Ein Manko blieb aber. In keiner der unterschiedlichen linken Spektren wurde darüber gesprochen, ob nicht Arbeitsverweigerung und Streik ein adäquates Mittel wäre, um die Kriegsvorbereitungen zu behindern. Dabei hat ein transnationales Bündnis zu einem Streik gegen den Krieg aufgerufen.
Allerdings wurde auch der Streiktag auf den 1. Mai gelegt, was in Deutschland wegen des Feiertags schwierig ist. Aber man könnte den Aufruf zum Anlass nehmen, um gezielt in Streiks gegen Kriegsvorbereitungen auf allen Seiten aufrufen. In Deutschland ständen beispielsweise Eisenbahnarbeiter im Fokus. In den vergangenen Wochen gab es in Italien, Griechenland, aber auch in Belorussland Streiks und Sabotageaktionen von Arbeitern gegen Waffentransporte und Kriegsvorbereitungen.
Es wäre wünschenswert, wenn sich auch in Deutschland mehr Menschen darüber bewusst wären, dass man einen Krieg nicht durch Kaufentscheidungen und Gasboykotte, wohl aber durch einen Streik an der richtigen Stelle behindern kann. Das würde aber voraussetzen, dass sich die Mehrheit der Lohnabhängigen ihrer Stärke in der Produktion bewusst wird, statt sich auf die Mythen der angeblichen Konsumentendemokratie einzulassen.
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