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Teil 2: Chinas Uiguren – wie umgehen mit Terror?

Uwe Kerkow

Eine blutige Anschlagsserie, die Rolle der "Islamischen Partei Turkestans" und geopolitische Interessen westlicher Staaten.

Im ersten Teil dieses Artikels [1] wurde untersucht, welche Anhaltspunkte zwei sogenannte Leaks aus der westchinesischen Provinz Xinjiang für schwere Menschenrechtsverletzungen Pekings gegen ethnische Uiguren tatsächlich liefern.

Nun soll gefragt werden, wie es so weit kommen konnte, dass chinesische Behörden meinen, auf offensichtlich sehr weitreichenden Maßnahmen in Xinjiang zurückgreifen zu müssen? Und welche Bedingungen erfüllt eigentlich der Westen, damit Terrorbekämpfung möglich wird, ohne die Menschenrechte völlig über Bord werfen zu müssen?

Der Terror ist real: Timeline Xinjiang

Die nun folgende Aufzählung ist bestimmt nicht vollständig. Sie ist jedoch geeignet einen Eindruck davon zu vermitteln, welche Rolle Terror in Xinjiang in den letzten 15 Jahren gespielt hat:

Wer sich daran erinnert, wie ĂĽberzeugt wir alle 2015 wochenlang "Charlie" waren [12], braucht nur wenig Fantasie, um zu ermessen, wie schwierig es fĂĽr eine Gesellschaft ist, angemessen auf solchen Terror zu reagieren.

Die Aufgabe, Terror erfolgreich zu bekämpfen und dabei die Menschenrechte zu wahren wird umso komplizierter, als Terrorist:innen nur allzu oft von der interessierten jeweils gegnerischen Seite unterstützt werden.

Geopolitische Interessen

Dass Xinjiang Spielball geopolitischer Interessen ist und im Westen interessierte Kreise mit den unlauteren Methoden klassischer Propaganda arbeiten, darf nicht zu dem Umkehrschluss fĂĽhren, dass es keine Umerziehungslager in Xinjiang gibt.

Dennoch ist davon auszugehen, dass die Unruheprovinz Teil der Konflikte bleiben wird, die der Westen Peking gerne ans Bein binden wĂĽrde. Auch zu diesem Themenkomplex ist schon einmal ein gut informierter Bericht [13] in Telepolis erschienen. Hongkong und aktuell vor allem die Provinz Taiwan sind weitere Beispiele.

Uigurische Organisationen genießen im Westen nach wie vor erhebliche Unterstützung – auch und gerade in Deutschland. In München ist das Hauptbüro des "Weltkongresses der Uiguren [14]" beheimatet; Ableger gibt es noch in Berlin und London.

Die Gruppe ist eng mit VOC verbunden und strebt ein unabhängiges "Ost-Turkestan" an [15]. Von den chinesischen Behörden wird der uigurische "Weltkongress" daher als Terrororganisationen eingestuft.

Trotz der Aktivitäten der Exil-Uiguren ist mittlerweile zumindest der Vorwurf des "Völkermordes" aus der öffentlichen Debatte verschwunden. Der wäre auch völlig haltlos angesichts der gegenteiligen Minderheitenpolitik Pekings: Zwischen 1964 und 2020 verdreifachte sich die ethnisch-uigurische Bevölkerung in China [16].

Das war nur möglich, weil sie – wie alle ethnischen Minderheiten im Reich der Mitte – nicht der Ein-Kind-Politik unterworfen wurde. Die Gesamtbevölkerung Chinas [17] verdoppelte sich im gleichen Zeitraum bloß.

Die Uiguren müssen – wie alle in China lebenden Minderheiten – Mandarin lernen, dürfen aber ihre lokalen Sprachen weiter benutzen. Mehr noch: Sie dürfen Verwaltungsangelegenheiten und Gerichtsprozesse in ihren Sprachen abwickeln und genießen regionale Teilautonomie [18]. Das sind Grundfreiheiten, die etwa die baltischen Republiken oder die Ukraine ihren russischsprachigen Bürger:innen nicht gewähren.

Der Westen schneidet gar nicht so gut ab

Und auch in anderen Menschenrechtsfragen schneiden westliche Länder im Vergleich zu China keineswegs so gut ab, wie immer suggeriert wird. Jahrelange Inhaftierungen ohne Gerichtsverfahren? Guantanamo macht's möglich, denn die extraterritoriale Inhaftierung der Betroffenen entbindet die USA formaljuristisch von den rechtsstaatlich absolut gebotenen (fairen) Gerichtsverhandlungen. Und der Rassismus in der US-Judikative und Exekutive [19] sowie das Zwangsarbeitssystem im US-Strafvollzug [20] oder das Trauerspiel um Julian Assange sollen hier nur der Solidarität willen und der Vollständigkeit halber erwähnt werden.

Und wenn man gar nicht mehr weiter weiß, kann man vermeintliche oder tatsächliche Terrorist:innen auch einfach ermorden [21] und das dann "Gerechtigkeit" nennen. An der Legitimität solcher Drohneneinsätze äußert übrigens sogar die Tagesschau vorsichtige Zweifel [22].

Solche Morde an vermeintlichen oder tatsächlichen Terrorist:innen durch ausländische Agent:innen geschehen auch in Deutschland. Ein solcher Vorfall war der Tiergartenmord [23], der die Behörden und die deutsche Öffentlichkeit zu Recht aufgebracht und zu einem harten Urteil für den Täter geführt hat.

Dieser Vorfall zeigt, dass es auch den westlich orientierten Industrienationen es gut zu Gesicht stehen würde, Menschenrechtsfragen gewissenhaft zu bearbeiten. Aktivist:innen dürfen nicht für eigene (geo)politische und wirtschaftliche Zielsetzungen instrumentalisiert oder gar militärisch ausgebildet werden.

Zudem ist es höchste Zeit, Einmischungen in die inneren Angelegenheiten anderer Länder, um Unruhen zu provozieren, sie zu destabilisieren oder gar ihre Regierungen zu stürzen, endgültig aus dem Repertoire des außenpolitischen Instrumentenkastens zu verbannen.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7236972

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/Teil-1-Chinas-Uiguren-wie-umgehen-mit-Terror-7236966.html
[2] https://www.nytimes.com/2008/03/27/world/asia/27iht-china.1.11467307.html
[3] https://www.scmp.com/news/china/society/article/2057745/five-killed-terrorist-attack-chinas-western-xinjiang-region
[4] https://en.wikipedia.org/wiki/July_2009_%C3%9Cr%C3%BCmqi_riots
[5] https://en.wikipedia.org/wiki/2010_Aksu_bombing
[6] https://www.scmp.com/news/china/policies-politics/article/2057928/chinas-xinjiang-region-plagued-violent-attacks-beijing
[7] https://www.dailymail.co.uk/news/article-2570996/At-27-dead-109-injured-gang-knife-wielding-men-attack-train-station-China.html
[8] https://thediplomat.com/2014/03/turkestan-islamic-party-expresses-support-for-kunming-attack/
[9] https://www.foxnews.com/world/at-least-31-killed-90-injured-in-attack-on-market-in-volatile-western-china-region
[10] https://www.rfa.org/english/news/uyghur/attack-09222015150820.html
[11] https://www.scmp.com/news/china/society/article/2070868/eight-killed-xinjiang-knife-attack
[12] https://de.wikipedia.org/wiki/Anschlag_auf_Charlie_Hebdo
[13] https://www.heise.de/tp/features/Die-islamistischen-Hilfstruppen-der-USA-6178012.html
[14] https://www.uyghurcongress.org/en/
[15] https://en.wikipedia.org/wiki/World_Uyghur_Congress#Objectives
[16] http://www.scio.gov.cn/zfbps/32832/Document/1713594/1713594.htm
[17] https://de.wikipedia.org/wiki/Demografie_der_Volksrepublik_China
[18] https://www.mfa.gov.cn/ce/cegv/eng/bjzl/t176942.htm
[19] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1124600/umfrage/inhaftierte-in-den-usa-nach-ethnie/
[20] https://news.uchicago.edu/story/us-prison-labor-programs-violate-fundamental-human-rights-new-report-finds
[21] https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/usa-drohnen-staatlicher-mord-al-qaida-aiman-al-sawahiri-bin-laden-afghanistan-voelkerrecht/
[22] https://www.tagesschau.de/inland/al-kaida-voelkerrecht-101.html
[23] https://de.wikipedia.org/wiki/Mordfall_Selimchan_Changoschwili