Telefonische Krankschreibung: Steht Deutschland vor dem Praxenkollaps?
Mit leichten Erkältungssymptomen ist es gut, nicht im Wartezimmer zu sitzen. Es gibt jedoch ein allgemeines Überlastungsproblem. Zahlen und Hintergründe.
Seit Donnerstag sind wieder telefonische Krankschreibungen möglich. Für bis zu fünf Tage können sich Patientinnen und Patienten krankschreiben lassen, ohne in die Praxis gehen zu müssen. Die während der Corona-Infektionswellen ab 2020 erprobte Regelung soll nun dauerhaft und unabhängig vom Infektionsgeschehen gelten – auch um die Praxen zu entlasten.
Der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten, Krankenkassen und Kliniken war im Sommer per Gesetz von der Ampel-Koalition beauftragt worden, entsprechende Regelungen festzulegen.
Sie gelten nun für Patientinnen und Patienten, die in der jeweiligen Praxis bekannt sind und keine schweren Symptome haben. Voraussetzung ist zudem, dass keine Videosprechstunde möglich ist.
Der Hausärzteverband hat die Regelung begrüßt, da die Praxen wegen der aktuellen Erkältungs- und Corona-Welle "am Limit" seien, wie der Verbandsvorsitzende Markus Beier im Deutschlandfunk sagte.
Die Lage der Praxen ist auch nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) dramatisch schlecht. Laut Ergebnis einer Online-Befragung denken mehr als 60 Prozent der Vertreterinnen und Vertreter der niedergelassenen Ärzte- und Psychotherapeutenschaft darüber nach, vorzeitig aus der Patientenversorgung auszusteigen.
"Mehr als ein Alarmsignal"
Dabei erachten fast 100 Prozent ihre Arbeit als sinnvoll und nützlich, wie die Befragung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in Zusammenarbeit mit der KBV ergeben hat.
"Das ist mehr als ein Alarmsignal", befand an diesem Freitagmorgen der KBV-Vorstandsvorsitzende Dr. Andreas Gassen. Fazit der KBV: Deutschland stehe vor dem Praxenkollaps, wenn die Politik nicht umgehend gegensteuere.
"Diese Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache. Vereinfacht gesagt: Ärzte und Psychotherapeuten wollen schlichtweg ihren Job machen – und das so gut wie möglich. Aber miserable Rahmenbedingungen bremsen sie an allen Ecken und Enden aus", so die Vorsitzende der KBV-Vertreterversammlung, Dr. Petra Reis-Berkowicz.
Tragfähige Finanzierung gefordert
Sie verwies auf sieben Kernforderungen, die von der KBV bereits im August an Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gestellt wurden, um Abhilfe zu schaffen – darunter eine tragfähige Finanzierung und die Abschaffung der Budgetierung, "damit auch Praxen endlich für alle Leistungen bezahlt werden, die sie tagtäglich erbringen".
KBV-Vorstandsmitglied Dr. Sibylle Steiner betonte zudem, dass sich laut der Befragung rund 62 Prozent der ärztlichen und psychotherapeutischen Kolleginnen und Kollegen ausgebrannt fühlten: "Es führt kein Weg daran vorbei: Die flächendeckende, wohnortnahe und qualitativ hochwertige ambulante Versorgung braucht gute und vernünftige Rahmenbedingungen", forderte Steiner.
An der Online-Befragung der KBV in Kooperation mit dem Zi haben knapp 32.000 Vertragsärztinnen und -ärzte sowie -psychotherapeutinnen und -psychotherapeuten vom 19. Oktober bis 4. Dezember teilgenommen. Es war die größte Ärztebefragung seit über zehn Jahren.