The Paradise Institute

Die Hölle, das sind die anderen

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Um es gleich vorneweg zu sagen: das so genannte Paradise Institute ist die Hölle. Denn das, was man am Kino vermutlich am meisten hasst, gehört in der Kino-Installation der Kanadier Janet Cardiff und George Burges Miller zum Programm: schmatzende Sitznachbarn, raschelnde Zuspätkommer, endlos quasselnde Freundinnen, Handygeklingel und dergleichen Störgeräusche mehr.

Klingt nicht sehr unterhaltsam, und dennoch warten im Schnitt fünfzig Leute auf Einlass ins Paradise Institute. Schließlich handelt es sich um den offiziellen Beitrag Kanadas zur 49. Biennale in Venedig, die noch bis zum 4. November läuft. Und spätestens seit die Jury die Installation mit dem Special Award ausgezeichnet und ihre Entscheidung damit begründet hat, dass die Zuschauer in eine neuartige Kinoerfahrung verwickelt werden, wollen alle hören und sehen, was es mit dem künstlichen Paradies auf sich hat.

Tatsächlich klingt die offizielle Begründung der Jury recht vielversprechend: "For involving the audience in a new cinematic experience where fiction and reality, technology and the body converge into multiple and shifting journeys through space and time." Übersetzt heißt das in etwa: "Für die Einbeziehung der Zuschauer in ein neuartiges Kinoerlebnis, bei dem Fiktion und Realität, Technologie und Körper zu vielfältigen und changierenden Reisen durch Raum und Zeit ineinanderfließen." Ob hier wirklich das Kino neu erfunden wird, soll der Praxistest zeigen.

Zunächst mal muss man vor dem kanadischen Holzpavillon warten, weil immer nur 17 Leute in das Miniaturkino passen. Damit man nicht den Überblick verliert, haben die Betreiber des kanadischen Pavillons freundlicherweise 17 Stühle in einem Halbkreis aufgestellt, auf denen die jeweils nächste Zuschauerrunde Platz nimmt. Wer etwas geschickt im Kopfrechnen ist, kann recht schnell ausrechnen, wie lange er warten muss, wenn vor ihm eine dreißigköpfige Schulklasse ansteht: Der Film selbst dauert zwar nur 13 Minuten, aber man wartet mindestens 20 Minuten bis zur nächsten Vorstellung.

Zu den etwa sieben Minuten Zeitverschwendung kommt es folgendermaßen: Zunächst müssen die Besucher am Eingang sämtliche Taschen, also auch Handtaschen, abgeben und sich als nächstes eine kleine Einführung auf englisch und italienisch anhören, die darauf hinausläuft, dass 9 Leute durch die eine, 8 Leute durch die andere Tür gehen und sich drin auf einen der Sessel setzen sollen. Unter dem Sessel befinde sich, so die Anweisung, ein Kopfhörer, den man sich über die Ohren ziehen möge. Hinterher müssen alle wieder zu denselben Türchen raus und an die Garderobe, so dass die nächste Runde immer erst dann reinkann, wenn auch die letzte Omi ihre Handtasche wieder eingeräumt hat.

Drinnen im Kino sitzt man dicht gedrängt und blickt über eine Art Balkongeländer und das Modell eines feudalen Zuschauersaals hinweg auf eine kleine Leinwand. Abgesehen von der gähnenden Leere im Parkett sind die Perspektiven ganz glaubwürdig. Etwas unangenehm dagegen ist die eisige Luft, die man die ganze Zeit über ins Gesicht geblasen bekommt, aber vielleicht gehört das im kanadischen Winter zum Kinoalltag.

Der Film selbst ist grauenhaft. Die Geschichte ist wirr, die Bilder sind banal und die Schauspieler kann man auch vergessen. Am schlimmsten ist das mit Kratern übersäte Mondgesicht von Volker Spengler, das ständig auf der Leinwand auftaucht (Spengler gehörte in den 70er Jahren zum festen Stamm in den Filmen von Rainer Werner Fassbinder und spielte beispielsweise die Hauptrolle in "Ein Jahr mit 13 Monden") und ein blechernes Englisch absondert. Auch die restlichen Schauspieler fallen durch ihren starken, meist deutschen Akzent auf. Das klingt für ein kanadisches Projekt zunächst sonderbar, allerdings scheint es dortzulande ein Faible für deutsches Autorenkino zu geben, jedenfalls räumen die deutschen Produktionen auf dem Filmfestival in Montreal regelmäßig alle Preise ab.

Augen schließen und sich ganz auf den Ton konzentrieren rettet die Veranstaltung also auch nicht, zumal die eingangs erwähnten Störgeräusche, die dem Ganzen das besondere Flair verleihen sollen, im Verhältnis zum Filmton unglaubwürdig laut sind. Abgesehen davon, dass die meisten Besucher inzwischen wissen, was sie erwartet, dürften nur ausgewählte Besucher die englische Frauenstimme an ihrem rechten Ohr für die eigene Freundin halten und auf die Simulation reinfallen.

Jedenfalls wäre es ein sehr großer Zufall, wenn jeder der rund 221.000 Besucher aus aller Welt, die bislang auf der Biennale waren, so eine paranoide Freundin hätte, die ständig - auf englisch - was faselt von: "Habe ich den Herd ausgemacht? Bist Du Dir sicher, dass ich den Herd ausgemacht habe? Der Herd lässt mir keine Ruhe, ich glaube ich gehe besser..." Genau: Hau ab! Geh heim zu deinem blöden Herd. Nicht umsonst stehen die drei Ks der ach so unterdrückten Frau für "Kirche Kinder Küche" und nicht "Kirche Kino Küche".

Ein gequälter Zuschauer meinte hinterher:

Kunst definiert sich leider noch immer dadurch, dass der berechtigte Anspruch des Publikums auf Unterhaltung gnadenlos verweigert wird. Mit anderen Worten: Kunst darf nicht unterhaltsam sein. Das Ergebnis sind solche freudlosen Installationen wie diese hier.

Wohl wahr. Dabei hätte es so schön sein können. Schließlich experimentieren Janet Cardiff und George Burges Miller seit nunmehr fünfzehn Jahren mit audiovisuellen Installationen.

Insgesamt fällt an der so genannten "neuartigen Kinoerfahrung" auf, dass sowohl die Künstler als auch die Betreiber des kanadischen Pavillons beim Großteil der Biennale-Besucher keinerlei Kino-Erfahrung voraussetzen: welcher Kinogänger hat nicht schon mal erlebt, dass die Sitznachbarn rascheln, husten, schmatzen, quatschen? Am Ende bestätigt das Möchtegern-Kinoerlebnis im "Paradise Institute" vor allem ein altes Vorurteil: Die Hölle, das sind die anderen.