Todesstrafe in den USA: "Fehlendes Gefühl für Anstand und Menschenwürde"
Bundesregierung interveniert bei US-Behörden wegen geplanter Hinrichtungen mit Cyanwasserstoff. Gas wurde von Nazis als Zyklon B verwendet. Auswärtige Amt plant keine weiteren Schritte
Die Bundesregierung hat geplante Hinrichtungen mit dem Giftgas Cyanwasserstoff im US-Bundesstaat Arizona verurteilt, plant nach eigenen Angaben aber keine weiteren Schritte, um die verantwortlichen US-Behörden von der Exekutionsmethode abzubringen. Das geht aus Antworten auf eine Anfrage aus dem Bundestag vor, die Telepolis vorlag. Cyanwasserstoff wurde in den Konzentrationslagern der Nazis – vor allem in Auschwitz – unter dem Markennamen Zyklon B für die Massenmorde in den Gaskammern verwendet.
Ende Mai hatte die israelische Tageszeitung Jerusalem Post berichtet, dass 76 Jahre nach dem Ende der Nazi-Diktatur und der Befreiung der Konzentrationslager sowie nach einem jahrzehntelangen Aussetzen dieser Methode in den USA wieder Menschen mit Cyanwasserstoff getötet werden sollen.
Die Behörden im US-Bundesstaat Arizona planen demnach, Häftlinge aus den sogenannten Todeszellen mit demselben Gas hinzurichten, das einst von dem hessischen Unternehmen Degesch m.b.H. für die Massenmorde in den Konzentrationslagern hergestellt worden war.
Nach Angaben des Blattes haben die Justizbehörden 2.000 US-Dollar für den Erwerb von chemischen Stoffen freigegeben, die erforderlich sind, um das tödliche Gas herzustellen. "Zugleich wurden Inspektionen durchgeführt, um sicherzustellen, dass die seit 22 Jahren ungenutzte Gaskammer betriebsbereit ist", heißt es in dem Bericht weiter.
Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte habe die Bundesregierung das Thema gegenüber der US-Regierung sowie der Regierung von Arizona angesprochen, heißt es nun in einer Antwort des Auswärtigen Amtes. "Hierbei hat sie ihre Besorgnis zum Ausdruck gebracht und um weitere Informationen gebeten", heißt es darin weiter. Man habe zudem die "grundsätzlich ablehnende Haltung zur Todesstrafe erneut unterstrichen".
Bislang hat es nicht den Anschein, dass sich die US-Behörden in Arizona von der diplomatischen Intervention hinter verschlossenen Türen beeindrucken lassen. Offenbar schon im vergangenen Jahr hatte das Gefängnis in Florence, südöstlich von Phoenix, mit der Wiederinstandsetzung der dortigen Gaskammer begonnen.
Klare Worte vom American Jewish Committee
Weniger verhalten als die Bundesregierung meldete sich das American Jewish Committee zu Wort: "Unabhängig davon, ob man die Todesstrafe grundsätzlich befürwortet oder nicht, gibt es in der amerikanischen Gesellschaft einen Konsens darüber, dass ein Gas, das als Pestizid erfunden und zur Ermordung von Juden verwendet worden ist, für den Vollzug von Strafen nicht mehr verwendet werden sollte."
Auf Telepolis-Nachfrage, welche Ergebnisse die Gespräche mit den USA gehabt haben und ob die Bundesregierung weitere Schritte erwäge, antwortet das Auswärtige Amt im Laufe dieser Woche trotz Nachfrage inhaltlich nicht. Man wiederholte in veränderter Formulierung die Antwort aus dem Bundestag, ergänzt durch den Hinweis, man würde "den Einsatz von 'Zyklon B' ausdrücklich missbilligen".
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International jedenfalls plädiert für die "Aufklärung der amerikanischen Bevölkerung" und "das Bewusstmachen der Grausamkeit". Dies habe schon Erfolg gehabt: "Seit 2000 haben elf Bundesstaaten die Todesstrafe abgeschafft, und die Zustimmung zur Todesstrafe sinkt in den USA beständig", sagte gegenüber Telepolis Sumit Bhattacharyya, USA-Experte von Amnesty International in Deutschland.
Bhattacharyya kritisierte auch die Exekutionsmethode. Die letzte Hinrichtung mit Giftgas habe 1999 ebenfalls in Arizona bei einem deutschen Staatsbürger, Walter LaGrand, stattgefunden, erinnerte der Menschenrechtler: "Er erstickte qualvoll in mehr als 15 Minuten, sein Tod war offensichtlich grausam und ungewöhnlich, was laut amerikanischer Verfassung nicht zulässig ist." Eigentlich sollte sich die Verwendung von Zyklon B aufgrund seiner Rolle im Holocaust von selbst verbieten, fügte Bhattacharyya an. Die Verantwortlichen für diese Hinrichtungspläne zeigten damit "ein vollkommen fehlendes Gefühl für Anstand und Menschenwürde".
Arizona wird von den Republikanern regiert. Seit im Jahr 2014 eine Hinrichtung mit einer Giftinjektion schiefgelaufen ist, wurden in dem südlichen US-Bundesstaat keine Exekutionen mehr durchgeführt. Die Initiative zur Herstellung von Cyanwasserstoff soll der Wiederaufnahme der Hinrichtungen durch Vergasung dienen.
Warum keine Einreisesperren?
Einer der ersten Häftlinge in der Todeszelle, der auf seine Hinrichtung wartet, ist der 65-jährige Frank Atwood. Der Mann war 1984 wegen der Ermordung eines Kindes verurteilt worden. Atwoods Verteidiger haben gegen die geplante Exekution Beschwerde eingelegt. Sie seien damit befasst, eine mögliche Unschuld ihres Mandanten zu belegen. Bei einer baldigen Hinrichtung des Mannes laufe der Staat Gefahr, einem Unschuldigen das Leben zu nehmen.
Die Anwälte des zu Tode Verurteilten kritisieren zudem, dass das von den Behörden erworbene Kaliumcyanid nicht den gesetzlichen Anforderungen entspricht. Laut den einschlägigen Bestimmungen dürfe nur Natriumcyanid verwendet werden. Ein wichtiges Detail, wie Rechtsanwalt Joseph Perkovich anmerkt:
Frank Atwood ist bereit zu sterben. Er ist ein Mann des griechisch-orthodoxen Glaubens und bereitet sich auf diesen Moment vor. Aber er will nicht gefoltert und einer misslungenen Hinrichtung unterzogen werden.
Rechtsanwalt Joseph Perkovich
Auch wenn Amnesty-Experte Bhattacharyya nicht glaubt, dass Sanktionen die Maschinerie der Todesstrafe stoppen können, hätte die Bundesregierung hier mehr Spielraum, als sie bislang zu nutzen bereit ist. So hatte sie nach dem Mord an dem saudi-arabischen Journalisten Jamal Khashoggi 18 saudische Staatsangehörige mit Einreisesperren belegt. Die Einreise verweigert wird auch Anhängern der islamistischen Terrormiliz Islamischer Staat. Warum also nicht verantwortlichen Vertretern der Justizbehörden aus Arizona?
Sie sei fassungslos angesichts der geplanten Hinrichtungen mit Zyklon B in Arizona, sagte gegenüber Telepolis die Bundestagsabgeordnete der Linken, Zaklin Nastic, die sich mit dem Thema an die Bundesregierung gewandt hat. Die "lapidare Antwort" der Bundesregierung auf ihre Frage nach Exportverboten, Reisewarnungen und der Verhängung von Einreisesperren sei "ein Hohn für die Millionen von Opfer deutscher Faschisten sowie der nicht selten sogar unschuldigen Todeskandidaten in Arizona", so Nastic weiter. Sie wolle nachhaken, was die Gespräche mit den USA ergeben haben.
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