Transatlantische Reflexe
- Transatlantische Reflexe
- "Irans Vorstoß ist gefährlich, es ist ein Spiel mit dem Feuer."
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Trotz Trump sind die Medien immer noch Gewehr bei Fuß, wenn es darum geht, die "Schurken" zu brandmarken
Es kommt selten vor, dass sich die Welt so einig ist wie im Juli 2015: Nach 13 Jahren zäher Verhandlungen verkündeten die fünf Veto-Mächte der UNO zusammen mit Deutschland und dem Iran eine Einigung im Streit um die Atom-Politik des Iran.
Das Abkommen von Wien (Joint Comprehensive Plan of Action, kurz JCPoA) bedeutete für den Iran unter anderem, zwei Drittel der Zentrifugen zur Anreicherung von Uran abzubauen, den Vorrat an angereichertem Uran nahezu vollständig nach Russland ausführen, für 15 Jahre Uran nicht auf einen Grad von über 3,67% anzureichern und zu keinem Zeitpunkt mehr als 300 kg angereichertes Urans im Land zu lagern. Der Bau einer Atombombe sollte so unmöglich gemacht werden.
Die Bundesregierung glaubte so sehr an diesen Deal, dass sie tatsächlich den Mut aufbrachte, die Bedenken der israelischen Regierung und anderer Skeptiker zu ignorieren. "Eine Vereinbarung, die der Welt mehr Sicherheit bringt" titelte die FAZ und zitierte lobende Worte von US-Präsident Obama, UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, Frank-Walter Steinmeier, François Hollande und sogar Wladimir Putin.
Ein rares Indiz, dass Vernunft möglich ist
Die Einhaltung des Abkommens sollte kontrolliert werden durch die IAEO, die Atom-Energie-Behörde der Vereinten Nationen. Und tatsächlich, diese bestätigte immer wieder, dass sich der Iran an die Regeln des JCPoA-Vertrages hielt, sodass im Januar 2016 die wirtschaftlichen und finanziellen Sanktionen gegen den Iran aufgehoben wurden. Das Atomabkommen mit dem Iran: ein rares Indiz dafür, dass Vernunft möglich ist.
Doch dann kam Trump. Anfang Mai 2018 kündigte er den vermeintlich "desaströsen Deal" mit dem Iran auf, weil dieser angeblich gelogen habe und weiterhin an der Bombe bauen würde. Alle Bedenken gegen diese Aufkündigung - von der EU, Russland und China - blieben ohne Konsequenz. Wer auf einen Aufschrei Deutschlands oder Frankreichs gehofft hatte, wurde enttäuscht. Bis jetzt gab es nur halbherzige Versuche, sich dem amerikanischen Kurs entgegen zu stellen und die neuen, ungerechtfertigten Wirtschaftssanktionen zu kompensieren.
Laut JCPoA -Abkommen sind die Vertragspartner nicht mehr an den Deal gebunden, sobald eine Partei diesen aufkündigt, so wie es die USA getan haben. Dementsprechend hat der Iran die Vereinbarungen seinerseits (quasi rechtmäßig) wiederholt verletzt, sodass das Atom-Abkommen zum jetzigen Zeitpunkt verloren zu sein scheint.
Wer eskaliert den Streit?
In Anbetracht der Tatsache, dass es der US-Präsident gewesen ist, der ohne nachvollziehbaren Grund vertragsbrüchig wurde und eine Chance auf Frieden und Stabilität verspielte, sollte man denken, dass der Schuldige in dieser Sache feststeht. Auch in den Medien.
Doch so sehr Trump bisher in der Presse auch abgewatscht wurde, den Iran betreffend scheint das weitgehend vergessen. Denn schaut man sich einige Berichte zu den aktuellen Entwicklungen im Atomstreit an, dann entsteht der Eindruck, als sei es das Mullah-Regime, welches an dem aktuellen Drama schuld ist.
Die Tagesschau vom 4. November stellte in ihrem Bericht zur jüngsten Verletzung des Atom-Abkommens durch den Iran den Symbolcharakter dieses Datums in den Mittelpunkt:
Brisant ist der Zeitpunkt der Ankündigung: Vor genau 40 Jahren hatten radikale Studenten die US-Botschaft in Teheran erstürmt. Auslöser der noch immer währenden Feindschaft beider Länder.
Tagesschau
Hoppla, denkt sich der aufgeweckte Zuschauer, war da nicht noch etwas anderes? Lange vor jenem Geiseldrama? Wie zum Beispiel dem Regime-Change im Iran gegen Mohammed Mossadegh von 1953, an dem die USA auch nach offiziellen Informationen beteiligt waren. Gewiss hat auch die Tatsache, dass Washington anschließend ein Vierteljahrhundert lang den feudalistischen Schah von Persien unterstützte, nicht gerade zur Verständigung zwischen Amerika und dem Iran beigetragen. Doch kein Wort dazu in der ARD.
Immerhin räumt die Tagesschau ein, dass Trumps Verhalten "jegliches Vertrauen erstickt" habe und die "Hardliner dadurch Aufwind bekommen" hätten. Zu Wort kommt außerdem ein anonymer Demonstrant, der es - so ganz nebenbei - auf den Punkt bringt: "Das Atom-Abkommen hat gezeigt, dass die USA keine guten Absichten haben. Die Amerikaner verfolgen ihre eigenen Vorteile."
Ein ganz ähnliches Bild ergibt sich beim heute journal vom selben Tag: Claus Kleber spricht in seiner Anmoderation vom "vermeintlich Schwächeren", der "den Streit eskaliert". Da der Iran gewiss unter den Sanktionen zu leiden hat, gleichzeitig aber über kein Mittel verfügt, um den USA ähnlichen Schaden zuzufügen, kann man sehr wohl davon ausgehen, dass der Iran in diesem Konflikt der Schwächere ist.
Und obwohl sich objektiv feststellen lässt, wer in diesem Fall mit der Eskalation begann, warten die Zuschauer auf einen entsprechenden Hinweis vergeblich.