Türkei: Polizei besetzt Redaktionsgebäude regierungskritischer Medien

Kurz vor der Wahl agiert die auf Präsident Erdogan fixierte AKP-Regierung immer unberechenbarer

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Kurz vor den Wahlen geht es immer wirrer und gefährlicher in der Türkei zu. Gerade hatten die USA die kurdischen YPG-Milizen erwählt, um sie aufzurüsten und als Bodentruppen zusammen mit einigen arabischen Gruppen gegen den Islamischen Staat zu schicken, wurden diese erstmals von der Türkei bombardiert. Für die türkische AKP-Regierung ist die YPG ebenso wie die PKK, die ebenfalls seit kurzem wieder bekämpft wird, eine Terrorgruppe. Die AKP hat Sorge, wegen der prokurdischen Partei HDP erneut nicht die absolute Mehrheit zu erreichen und die von Erdogan angestrebte Präsidialdemokratie umsetzen zu können.

Auf Anhänger der HPD waren zwei schreckliche Anschläge verübt worden, gegen die Partei wurde massiv vorgegangen (Erdogans mörderischer Kampf gegen seinen politischen Untergang). Der Anschlag am 10. Oktober in Ankara, durch den mehr als 100 Menschen, meist Kurden, starben, wird von der Regierung irgendwie sowohl dem Islamischen Staat, dem syrischen Geheimdienst und der PKK zu geordnet (Türkei versinkt vor den Wahlen im Misstrauen). Zweck sei es gewesen, so heute die Staatsanwaltschaft, die Wahl zu verzögern. Der Anschlag wird von ihr dem IS zugeschrieben.

Gerade wird berichtet, dass zwei Jugendliche im Alter von 12 und 13 Jahren in der Provinz Diyarbakır am 1. Mai festgenommen worden waren, denen vorgeworfen wird, die türkischen Präsidenten beleidigt zu haben. Sie hatten Plakate mit einem Foto von Erdogan abgerissen. Angeblich, so sagte einer der beiden, hätten sie diese einem Altpapierhänder verkaufen wollen, es sei ihnen egal gewesen, was darauf gedruckt war. Am 8. Dezember wird, gestattet vom Justizminister, der Prozess stattfinden. Sie müssen mit einer Gefängnisstrafe von bis zu 2 Jahren und vier Monaten wegen des "Vergehens" rechnen, für das in der Türkei reihenweise Menschen bestraft werden (Türkei: Liken als Straftat).

Anfang September hatten bereits AKP-Anhänger versucht, das Redaktionsgebäude der Zeitung "Hürriyet" zu stürmen, deren Berichterstattung der Regierungspartei nicht gefällt. Dahinter stand vermutlich der AKP-Abgeordnete Abdurrahim Boynukalın, der vor wenigen Tagen die Aktion noch einmal auf einer Veranstaltung mit der AKP-Jugend pries. Der Angriff habe die "Immunität" der Zeitung aufgehoben, AKP-Mitglieder sollten öfter mal auf die Straße gehen und mehr Selbstvertaruen zeigen, forderte er. Die Mitarbeiter der Zeitung dachten", so der AKP-Abgeordnete, "dass sie die islamischen Werte dieses Landes und aller anderen schmähen können, ohne dass es jemand wagt, sie zu berühren." Seit Jahren werden Medien und Journalisten bedroht und eingeschüchtert , die Berichterstattung eingeschränkt und Zensur ausgeübt(Türkei: Bürgerrechte ade).

Aufnahme aus YouTube-Video über die Erstürmung

Gestern wurde die Polizei vorgeschickt, um kurz vor der Wahl zwei kritische Fernsehsender buchstäblich auszuschalten. Mit Wasserwerfern, Tränengas und Kettensägen griffen die Polizisten das Gebäude des Medienkonzerns Koza-Ipek in Istanbul an, drangen in es ein und besetzten die Regieräume der Fernsehsender Kanaltürk und Bugün und die Redaktionsräume der Zeitungen Bugün und Millet. Sie werden nun von Zwangsverwaltern kontrolliert. Insgesamt wurden 22 Subunternehmen beschlagnahmt. Ein Journalist wurde beim brutalen Vorgehen der Polizei verletzt.

Der Medienkonzern steht dem islamischen Prediger Gülan nahe, der als Gegenspieler zu Erdogan gilt, nachdem sich diese überworfen hatten. Den Fernsehsendern wird von der Staatsanwaltschaft "Terrorfinanzierung" und "Propaganda" sowie der Verstrickung in "Aktivitäten der Fethullahist-Terrororganisation" vorgeworfen. Die Zeitungen und Sender des Konzerns sind bekannt für ihre kritische Haltung gegenüber der AKP-Regierung und sollen mit dem Schritt zumindest bis zur Wahl zum Schweigen gebracht werden.

Der AKP-Abgeordnete Aydın Ünal, ein früherer Berater von Erdogan, drohte kritischen Medien nach der Wahl an, sie würden zur Rechenschaft gezogen werden. Sie würden Hassverbrechen und Diskriminierung begehen. Jetzt könne die Regierung nicht wirklich gegen sie vorgehen, da man "nicht in einer wirklich angenehmen Situation" sei.

Vorsichtig äußerte sich der Sprecher des US-Außenministeriums John Kirby. Die USA würden die türkischen Behörden auffordern, bei ihren Aktionen die universellen demokratischen Werte zu beachten". Dazu würden auch die Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit gehören.