Türkei: Straffreiheit für Vergewaltiger
Die AKP zieht den 2016 gescheiterten Gesetzentwurf, wonach Vergewaltiger straffrei ausgehen, wenn sie ihr minderjähriges Opfer heiraten, erneut aus der Schublade
Nun soll also auch in der Türkei ein "Marry-your-rapist-Gesetz" eingeführt werden. Das passt zu dem Weg in den Islamismus, den die Türkei eingeschlagen hat, denn diese Gesetze finden hauptsächlich in arabischen Ländern Anwendung. 2016 wurde der Gesetzentwurf des damaligen Justizministers Bekir Bozdag nach landesweiten Protesten wieder auf Eis gelegt.
Nach einer Meldung der türkischen Zeitung Birgün verkündete Präsident Recep Tayyip Erdogan persönlich, dass die Vorbereitungen für einen neuen Anlauf abgeschlossen seien. In den nächsten Tagen schon soll im türkischen Parlament ein Gesetzesentwurf diskutiert werden. Er sieht Straffreiheit für Männer vor, die Sex mit Minderjährigen haben, wenn sie das Mädchen heiraten. Dabei ist Voraussetzung, dass die Ehe einvernehmlich geschlossen wird.
Bereits inhaftierte Vergewaltiger können freigelassen werden, wenn sie sich bereit erklären, ihre Opfer zu heiraten, wenn die Mädchen mindestens 12 Jahre alt sind. Bislang liegt die Mindeststrafe für sexuellen Missbrauch von Minderjährigen unter 15 Jahren bei drei Jahren Haft.
Der Plan zur Einführung des "Marry-your-rapist-Gesetzes" sorgte nicht nur bei türkischen Frauenorganisationen, sondern weltweit für Empörung. Dieses Gesetz würde die Täter, also die Vergewaltiger, schützen und nicht die Opfer. Selbst die Vereinten Nationen warnten davor, ein solches Gesetz könne Kindesmissbrauch legitimieren. Der Druck auf die minderjährigen Opfer durch die Vergewaltiger könne durch dieses Gesetz noch mehr steigen, Kinderehen würde dadurch der Weg geebnet.
Die Patriarchen
Wer sich mit den Themen Kindesmissbrauch, Zwangsverheiratung, Vergewaltigung und Kinderehen in der Türkei beschäftigt weiß, dass es kein wirkliches Einvernehmen geben kann, da vor allem im ländlichen Raum und in stark religiösen Familien die Frau nicht gleichberechtigt ist. Ehen werden oft nicht auf der Basis freier Partnerwahl geschlossen, sondern es sind ökonomische oder machtpolitische Bündnisse der Patriarchen.
Mädchen werden oft schon im Kleinkindalter von der Großfamilie einem Cousin versprochen. Die Mädchen und jungen Frauen verlassen mit der Verheiratung die elterliche Familie und kommen in den Haushalt des Ehemanns. Dort müssen sie sich den Gegebenheiten unterordnen, was oft mit Gewalt erzwungen wird, da sich die Ehepartner zum Teil bis kurz vor der Hochzeit nicht kennen. In vielen Fällen geht die Heirat mit Schulabbrüchen der Mädchen einher.
2015 erregte ein Imam in der Türkei die Gemüter, weil er sich nicht nur für Eheschließungen mit Jugendlichen, sondern sogar mit Kindern ausgesprochen hat. Seine Meinung rechtfertigte er mit dem Koran. Die New York Post berichtete, dass der Imam Nurreddin Yildiz der Meinung sei, dass Kinder auch schon vor der Pubertät heiraten könnten. "Es gäbe kein Hindernis dafür, dass ein 7-jähriges Mädchen einen 25-jährigen Mann heiratet oder ein 7-jähriger Junge eine 25-jährige Frau", so Yildiz Meinung. Denn, so seine Ansicht, "Jeder Muslim, der an den Koran glaubt, kennt kein Mindestalter für eine Hochzeit."
Türkei annulliert Missbrauchsgesetz
In der Türkei haben Kinder keine Rechte. Sie haben sich, wie die Frauen, dem Patriarchen unterzuordnen und sich wohl zu verhalten. Mütter können ihre Töchter daher meistens nicht vor Missbrauch schützen, ohne selbst häuslicher Gewalt ausgesetzt zu sein.
Frauen als Besitztümer
Nach Meinung des Leiters des kriminologischen Instituts an der Universität Istanbul, Adem Sözüer, legitimiert dieses Gesetz die Mentalität, dass Frauen Besitztümer sind und nur für die sexuelle Befriedigung des Mannes existieren.
Der Stern berichtet von einer offiziellen Statistik der türkischen Regierung aus dem Jahr 2018, woraus hervorgehen soll, dass in den letzten zehn Jahren mehr als 480.000 Mädchen unter 18 Jahren verheiratet wurden. Was in den allermeisten Fällen eine Zwangsverheiratung bedeutet.
Die Frauenrechtlerin Suad Abu-Dayyeh sagt im Gespräch mit dem Independent, der Schutz für Mädchen würde mit der Annahme dieses Gesetzes entfallen. Aykan Erdemir, Türkei-Direktor des US-Think Tanks Foundation for Defense of Democracies (FDD), erläutert in der Welt:
Das ist ein seit Langem bestehender Streit zwischen dem säkularen und dem islamistischen Lager der Türkei, da letzteres der Ansicht ist, dass die gesetzlichen Beschränkungen gegen die Heirat von Minderjährigen gegen das Scharia-Gesetz verstoßen.
Aykan Erdemir
Vergewaltigung und Zwangsverheiratung auch in Deutschland Thema
Sehr eindrücklich schilderte der diese Woche im ARD ausgestrahlte Film "Nur eine Frau" die Problematik der Zwangsverheiratung anhand des Ehrenmordes an Hatun Sürücü 2005 in Berlin. Hatun war eines von acht Kindern einer kurdisch-sunnitischen Familie und wurde mit 15 Jahren in der Türkei zwangsverheiratet. Sie flieht hochschwanger vor ihrem gewalttätigen Ehemann zurück nach Berlin.
Dort versucht sie mit Hilfe des Jugendamtes ein eigenes, unabhängiges Leben aufzubauen, aber ihre streng islamische Familie fühlt sich in der "Ehre der Familie" verletzt. Die Mutter steht ihr nicht zur Seite, sondern behandelt sie wie Hatuns Brüder - als Dienerin. In der Moschee, die ihre Brüder und Vater besuchen, predigt der Iman von der Abgrenzung zu Ungläubigen und der Unterwerfung der Frauen.
Hatun wird wenige Jahre später von ihrem jüngsten Bruder erschossen. 2017 gründete sich als Konsequenz des Ehrenmordes an Hatun der "Berliner Arbeitskreis gegen Zwangsverheiratung". Er dokumentierte für 2017 nur in Berlin 570 Fälle erfolgter bzw. versuchter Zwangsverheiratung. Im selben Jahr registrierte die Internetseite Ehrenmord.de bundesweit 51 versuchte bzw. vollendete Ehrenmorde.
Sexualisierte Gewalt als Kriegsmittel
In letzter Zeit sind in der Türkei, besonders in den kurdischen Gebieten, vermehrt Fälle von Vergewaltigungen durch Soldaten, Polizisten und Dorfschützer aufgetreten. Frauenorganisationen versuchen die physische, sexualisierte und psychische Gewalt gegen Frauen als Teil einer systematischen und geplanten Politik des Staates öffentlich zu machen. Staatliche Stellen versuchen dagegen, die öffentlich gewordenen Fälle als Einzelfälle darzustellen.