Türkei setzt erneut Wasser als Waffe in Nordostsyrien ein
Seite 2: Syrische Zentralregierung kritisiert Wasserpolitik der Türkei
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Allein vom Euphrat hängen 60 Millionen Menschen in Syrien und dem Irak ab, berichtete der Spiegel im Herbst 2020, als die Türkei schon einmal Nordsyrien das Wasser abdrehte. Der syrische Minister für Wasserressourcen, Tamam Raad, wandte sich an befreundete Länder und Organisationen, sie mögen die Türkei unter Druck setzen, damit sie diese Wasserpolitik beendet.
Raad erörterte die Wasserproblematik in einer Videokonferenz mit seinem irakischen Amtskollegen Mahdi Rashid al-Hamdani. Beide Minister kamen überein, gemeinsame Bemühungen zu ergreifen, um die Türkei zur Einhaltung des internationalen Wasserabkommens von 1987 zu zwingen.
Der Irak ist ebenfalls von der Wassersperrung des Euphrat und Tigris betroffen. Auch dort geben Landwirte aufgrund der Dürre ihre Felder auf und ziehen in die Stadt. Bashir Yousif, ein Bauer aus der Provinz Kerbala berichtet: "Die Dürre hat die gesamte Region getroffen. Deshalb hat eine Massenabwanderung aus den Dörfern in die städtischen Gebiete begonnen und die Zahl der Bauern ist zurückgegangen."
Nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums sind in den Provinzen Dhi Qar, Maysan, Kerbala, Najaf und Basra große Gebiete der landwirtschaftlichen Nutzfläche unfruchtbar geworden. Neben dem Klimawandel machen die Beamten auch die Türkei dafür verantwortlich. Auch der Pegel des Tigris in Bagdad ist merklich gesunken, nach Angaben des Wasserministeriums seit 2003 um 47 Prozent.
Dies hänge zwar auch mit dem Klimawandel zusammen, aber die Probleme hätten sich verschärft, seit die Türkei an der türkisch-syrischen Grenze nicht mehr die vertraglich vereinbarte Wassermenge freigäbe (Anm.: Der Tigris ist im Norden des Irak der Grenzfluss zwischen Nordirak und Nordsyrien), berichtet Aoun Diab, ein Sprecher des Ministeriums. Vor 2003 waren es 500 Kubikmeter Wasser, die aus der Türkei in irakisches Land flossen. Dies wurde nun auf nur noch 320 Kubikmeter reduziert. "Das ist weder nach internationalen Normen noch nach humanitären Gesichtspunkten akzeptabel", sagte Diab.
Ein Sprecher des irakischen Ministeriums für Wasserressourcen berichtete über offizielle Gespräche mit der Türkei, Syrien und dem Iran über die reduzierte Wassermenge des Tigris durch die Türkei. Der Irak hängt hauptsächlich vom Tigris und seinen Nebenflüssen ab, mehr als vom Euphrat, der von der Türkei, Syrien und dem Irak geteilt wird. Auf dem Treffen wurde kritisiert, dass die Türkei für ihre Ziele in der Region Wasser als Waffe einsetze.
Wassersperrung der Türkei befeuert Corona-Pandemie
Das UN-Kinderhilfswerk (UNICEF) und seine Partner in Syrien befürchten eine Verschärfung der Corona-Pandemie durch die türkische Unterbrechung der Wasserversorgung, berichtet die kurdische Nachrichtenagentur ANF.
"Die Unterbrechung der Wasserversorgung während der derzeitigen Bemühungen, die Ausbreitung der Coronavirus-Krankheit einzudämmen, setzt Kinder und Familien einem inakzeptablen Risiko aus. Das Händewaschen mit Seife ist im Kampf gegen das Coronavirus von entscheidender Bedeutung", sagte Syriens UNICEF-Vertreter Fran Equiza schon im März nach der wiederholten Sperrung des Wasserwerks bei Elok. Über eine halbe Million Menschen im Großraum Hasakah haben mitten in der Covid-19-Pandemie keinen Zugang zu Wasser.
"UNICEF und seine Partner unterstützen Familien in der Stadt Hasakah (kurd.: Hesekê) und in Lagern für Vertriebene mit Wassertransporten, aber das deckt kaum den Mindestbedarf", berichtete Equiza. "Kein Kind sollte auch nur einen Tag ohne sicheres Wasser leben müssen. Sauberes Wasser und Händewaschen retten Leben. Wasser und Wasserwerke dürfen nicht für militärische oder politische Zwecke genutzt werden ‒ wenn dies getan wird, sind die Kinder diejenigen, die als Erstes und am meisten leiden", mahnte Equiza.
Fazit
Wasser wird in der Region immer knapper und bedroht das Leben in Syrien und im Irak fundamental. Eine ökologische, soziale und wirtschaftliche Katastrophe bahnt sich dort an. Umso wichtiger ist es, gemeinsam länderübergreifend zu einem sparsamen, nachhaltigen Wassernutzungssystem zu finden.
Der Westen muss in nachhaltige Projekte wie z.B. ein Regenwassermanagement investieren, um angesichts des Klimawandels die Versorgung der Bevölkerung in Nordsyrien und Nordirak mit Agrarprodukten zu gewährleisten, und um weitere Massenmigrationen zu verhindern. Die Türkei muss in ihre Schranken gewiesen werden, um lebensnotwendige Ressourcen wie Wasser nicht als Kriegswaffe einzusetzen.
Europa muss den Weg für NGOs ebnen, Projekte in Nordsyrien gemeinsam mit der demokratischen Selbstverwaltung durchzuführen, so wie dies im Nordirak auch möglich ist. Der Verweis auf das Embargo gegen das Assad-Regime darf hierbei nicht als Argument herangezogen werden, denn die Selbstverwaltung Nordsyriens arbeitet unabhängig von der syrischen Regierung.