US-Supreme Court: Fünfzehn statt neun Richter?
Mit einer Vergrößerung des Supreme Court könnten die Demokraten die republikanische Mehrheit nivellieren. Doch dafür müsste einiges zusammen kommen
Plötzlich geht es in der heißen Phase des amerikanischen Wahlkampfs nicht mehr um Massenproteste, Massenarbeitslosigkeit, Billionen Dollar-Haushaltsdefizite oder um eine Heilung einer gespaltenen amerikanischen Gesellschaft und ihrer extrem polarisierenden Volksvertreter, es geht um die progressiven Errungenschaften der letzten Jahrzehnte, die eine mehrheitlich von republikanischen Präsidenten ernannte Richterschaft des Supreme Court rückgängig machen kann, wenn US-Präsident Donald Trump die Nachfolge von Ruth Bader Ginsburg im Geiste der republikanischen Agenda bestimmt.
Selbst prinzipientreue Hardliner wie Lindsey Graham werden weich bei dem Gedanken an eine konservative Mehrheit im Supreme Court, die auf viele Jahre die Werte guter öffentlicher Politik und Grundsatzentscheidungen rechts-konservativ prägen könnte. Als Obama im Wahljahr 2016 die Nachfolge von Antonin Scalia nominierte, sagte Graham: "Ich möchte, dass Sie meine Worte gegen mich verwenden. Selbst wenn im letzten Jahr der ersten Amtszeit eines republikanischen Präsidenten ein Richteramt frei wird, kann man sagen, dass Lindsey Graham sagte: 'Lassen wir den nächsten Präsidenten, wer auch immer es sein mag, diese Nominierung vornehmen.'" Am Samstag korrigierte er die von der Parteilinie abweichende Haltung.
Die Republikaner haben mit ihrem Präsidenten und der Mehrheit im Senat alles in der Hand. Eine sechs-zu-drei-Mehrheit republikanischer Richter unter einem ebenfalls zur republikanischen Agenda tendierenden Vorsitzenden John Roberts kann die Demokratische Partei nicht abwenden. Die Machtlosigkeit erinnert sie an ihre anhaltende Unterlegenheit im Obersten Bundesgericht. Denn trotz der Tatsache, dass Demokraten etwa so oft wie Republikaner die Präsidentschaft gewonnen haben, gab es das letzte Mal 1953 einen von einem demokratischen Präsidenten ernannten Obersten Richter. In den letzten fünfzig Jahren konnten die Republikaner 13 Richter ernennen, während die Demokraten nur vier Richter ins Amt hoben.
Pack the Court?
Der ideologische Tenor des Gerichts habe sich nicht so sehr verändert wie erwartet, schrieb der Politikwissenschaftler Bartels in der Washington Post 2018. Tatsächlich habe das Gericht in der heutigen Zeit in seinen bekanntesten Fällen mehr liberalere Urteile erlassen als konservative Urteile, wie Entscheidungen zur Wahrung der Verfassungsmäßigkeit des Affordable Care Act, die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe und Einschränkungen der Todesstrafe. Doch welche wird das Supreme Court mit der Besetzung der Nachfolge von Ruth Bader Ginsburg nicht anfassen?
Eine Idee, die in den letzten Jahren dann auftrat, wenn die Demokraten die Neutralität der Zusammensetzung des Supreme Court gefährdet sahen, ist seine Vergrößerung. Auch während des Wahlkampfs um die demokratische Präsidentschaftskandidatur äußerten sich mehrere Kandidaten offen dafür, dem Obersten Gerichtshof der USA mehr Richter zur Seite zu stellen. Elf demokratische Präsidentschaftskandidaten sagten, sie seien offen für eine Erweiterung der Zahl der Sitze im Obersten Gerichtshof, was "Court-Packing" genannt wird. Nun werden Stimmen laut, die diese Idee aufgegriffen sehen wollen, wie etwa in der New York Times oder der Washington Post.
Dies wäre nicht neu. "Der Kongress kann die Größe des Gerichts nach seinen politischen Wünschen gestalten", sagt Mark Tushnet von der Harvard Law School. "Im Jahr 1866, als sich der Kongress im permanenten Krieg mit Präsident Andrew Johnson befand, verabschiedete er den 'Judicial Circuits Ac'", der die Größe des Gerichts von neun auf sieben reduzierte und Johnson davon abhielt, neue Richter zu ernennen. Nachdem Ulysses Grant 1868 zum Präsidenten gewählt worden war, wurde die Zahl wieder auf neun erhöht." Dabei ist es bis heute geblieben. Sollte sich das nach über 150 Jahren ändern?
Zuletzt scheiterte einer der historisch wichtigsten und beliebtesten Figuren der amerikanischen Politik an diesem Unterfangen: Franklin Delano Roosevelt - FDR. Nach seiner Wiederwahl im Jahr 1936 schlug er vor, für jeden Richter, der das 70. Lebensjahr vollendet hatte, das Gericht um einen Richter zu erweitern, und zwar bis zu einer Gesamtzahl von 15. Angesichts der zunehmenden Politisierung des Obersten Gerichtshofs könnte das "Court-packing" für Abhilfe schaffen, so Tushnet.
Doch die Hürden für das Court-Packing sind kaum zu überwinden groß. Um die Anzahl der Sitze im Supreme Court zu ändern, werden Mehrheiten in beiden Kammern des Kongresses benötigt als auch die Kontrolle über das Amt des Präsidenten. Das Repräsentantenhaus ist derzeit mehrheitlich demokratisch besetzt, der Senat republikanisch. Bei den diesjährigen Wahlen am 3. November werden jedoch alle 435 Sitze im Repräsentantenhaus als auch 35 der 100 Sitze im Senat gewählt. Und natürlich der des Präsidenten.
Die Wunschvorstellung der Demokraten, die Politico beschreibt, sieht logischerweise so aus: Biden siegt, die Demokraten gewinnen die Mehrheit im Haus und im Senat. Der demokratische Mehrheitsführer Chuck Schumer kündigt zu Jahresbeginn seine Absicht an, ein Gesetz zu verabschieden, das den Obersten Gerichtshof von neun auf 13 Mitglieder erweitern würde, um "die Wunde zu reparieren, die unserer Verfassung durch die Weigerung der Republikaner, den Willen der Wähler anzuerkennen, zugefügt wurde". Der Senat und das Repräsentantenhaus verabschieden das Gesetz und Präsident Joe Biden unterzeichnet es am Tag der Amtseinführung. Womöglich ein besserer Ausgang der aktuellen amerikanischen Geschichte als ein Bürgerkrieg.
Dem Szenario einer Vergrößerung des Gerichts steht allerdings einer im Weg: Joe Biden - sollte er wie die Grahams der US-Politik sein Wort nicht brechen. Im Juli 2019 sagte er: "Wir werden diesen Tag noch bereuen", wenn das Gericht erweitert würde. In einer Debatte sagte er, dies würde zu einer Erweiterung nach der anderen führen, und das Gericht würde "jede Glaubwürdigkeit verlieren".
Das Gericht verkäme zu einem weiteren Akteur in der Politik, statt als unparteiischer Verteidiger verfassungsmäßiger Rechte zu dienen. Die Frage lautet wohl, ob es das auch ohne Vergrößerung gewährleistet wird.