USA unter Trump: Zurück zu Pinochet?
US-Bundespolizisten üben sich im "Verschwindenlassen" von Demonstranten in Portland, Oregon
Wer wird diesmal verschwinden? Abends, nach Sonnenuntergang, breitet sich die große Unsicherheit aus in Portland, Oregon: Großraumlimousinen folgen Demonstranten, die an den anhaltenden Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt in der westamerikanischen Stadt teilgenommen haben. Plötzlich steigen aus dem Wagen in militärischen Kampfuniformen gekleidete und vermummte Männer aus, die - ohne ein Wort mit den überrumpelten Demonstranten zu wechseln - einzelne Protestteilnehmer herausgreifen, in ihr Auto zerren und mit ihnen wegfahren.
Was sich wie eine fiebrige Machtfantasie rechtsextremer Polizisten anhört, die in ihren mit "NSU 2.0" unterschriebenen Drohmails schon mal das Abschlachten von Kindern ankündigen, ist in den Vereinigten Staaten bereits bittere Realität.
US-Medien berichten derzeit über Sondereinheiten der US-Bundesregierung, die in der Stadt im Einsatz seien - und Protestteilnehmer angreifen und verhaften würden. Die Trump-Administration hat diese Polizeiverbände, unter denen sich Anti-Terror-Einheiten und Grenzschutztruppen befinden, vorgeblich nach Portland entsandt, um Bundeseinrichtungen in der seit Monaten umkämpften Stadt zu sichern. Die Auseinandersetzungen zwischen Protestteilnehmern und Sicherheitskräften sind in Portland nicht mehr abgeflaut seit dem Beginn des Aufstandes gegen Polizeigewalt und Rassismus Ende Mai.
Allabendlich demonstrieren Menschen im Zentrum der Stadt, wobei es fast immer zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizeikräften kommt. Portland gilt zwar als linke Bastion im Westen der USA, bildet aber keine absolute Ausnahme. Die Demonstrationen und Aktionen gehen in vielen Städten der USA weiter.
Die Bewegung wird zwar von den Massenmedien inzwischen weitgehend ignoriert, sie ist aber weiterhin aktiv. Es finden nahezu täglich auch explizit antikapitalistische Demonstrationen, Aktionen und Protestkundgebungen statt, die es aber nur in Ausnahmefällen in die Schlagzeilen schaffen: Etwa, wenn panische Millionäre Demonstranten mit Maschinengewehren bedrohen, wenn Rechte mit ihren Autos mal wieder in Demonstrationen hineinrasen, oder wenn Guillotinen vor dem Anwesen des Amazon-Oligarchen Jeff Bezos aufgestellt werden.
Vor ungefähr zwei Wochen verlegte die Trump-Administration ihre Bundestruppen nach Portland, um die anhaltenden Proteste in dieser Stadt - die auch als ein landesweites progressives Symbol gilt - endlich zu brechen. In der Stadt herrsche ein Kreislauf von Protesten, Polizeirepression und weiterer Empörung, die zu neuen Demonstrationen führe, erklärten Aktivisten gegenüber Medienvertretern. Jede Nacht sei ein "Protest gegen die Polizeiaktionen der vorhergehenden Nacht". Inzwischen sind sogar demokratische Politiker, wie etwa die Gouverneurin von Oregon, Kate Brown, dazu übergegangen, die harte und aggressive Linie der Polizei zu kritisieren, die seit nahezu zwei Monaten bemüht ist, die Proteste mit Gewalt zu beenden.
Mit Angst soll der Widerstandswillen der Bevölkerung gebrochen werden
Der Einsatz der Bundespolizeikräfte gilt als der Versuch, diese staatliche Repression zu intensivieren. Viele Aktivisten vor Ort sehen das Vorgehen gegen die Bewegung in Portland zudem als eine Blaupause für eine landesweite Repressionskampagne. Der Einsatz der martialisch auftretenden Bundespolizeikräfte hätte bislang aber nur dazu geführt, dass die "Spannungen weiter angefacht" worden seien, heißt es in Medieneinschätzungen - insbesondere, nachdem ein Demonstrant durch ein Bundespolizeigeschoss schwer verletzt worden ist. Auch Demo-Sanitäter, die einem Verletzten helfen wollen, werden zusammengeschlagen.
Die nun eingeschlagene Taktik der Einübung des "Verschwindenlassens" von Demonstranten gilt als ein weiterer Eskalationsschritt, der mittels Einschüchterung den Widerstandswillen der Bevölkerung brechen solle - und Erinnerungen an die Diktatur des Generals Augusto Pinochets in Chile wachriefe, warnten US-Medien in ersten Einschätzungen dieser neuen Polizeitaktik. Menschenrechtsaktivisten bezeichneten diese Methoden als "Entführungen" und das "Kidnapping von Menschen auf den Straßen".
Inzwischen fordern demokratische Politiker die Trump-Administration öffentlich auf, ihre Polizei-Truppen aus Oregon und Portland abzuziehen, da hier nur "politisches Theater" veranstaltet werde, damit Trump sich im Wahlkampf ein "Law and Order"-Image verschaffen könne. Der Präsident wolle aus der Eskalation politisches Kapital schlagen, warnte Gouverneurin Brown laut dem Nachrichtenmagazin Neewsweek.
Der Esquire bemerkte überdies, dass die von Chad Wolf, Chef des Ministeriums für Innere Sicherheit ("Homeland Security"), befehligten Polizeitruppen in ihren eigenen Berichten kaum Beweise für die linken Gewaltexzesse liefen können, die als Rechtfertigung für den Einsatz der Spezialtruppen der Bundesregierung in der Stadt dienen. Wolf sprach von "Gewalt, die durch Anarchisten verübt" werde, wobei sein Ministerium selber als Beweise hierfür hauptsächlich "gewalttätige Graffiti" auflistete, die auf Bundesgebäude gesprüht worden seien. Noch "zwei weitere schmutzige Wörter auf Gebäuden" und Wolf werde "Luftschläge anfordern", kommentierte The Esquire.
Wahltaktische Gründe der Repression
Die zunehmende Repression gegen die Protestbewegung in den Vereinigten Staaten dürfte aber auch handfeste strategische Gründe haben. Die Bewegung soll offenbar erstickt werden, bevor die Krise in den USA vollends sozioökonomisch durchschlägt und die hauptsächlich gegen Rassismus und Polizeigewalt gerichtete Bewegung sich verstärkt mit sozial motivierten Protesten anreichert - und folglich weiter an Dynamik gewinnt.
Die Trump-Administration kämpft somit bei ihrer Instrumentalisierung der Bundespolizeikräfte zur Protestbekämpfung gegen die immer knapper werdende Zeit: Bis zu den Wahlen will Washington wieder Ruhe eingekehrt sehen, da die soziale Lage in der abgetakelten westlichen Hegemonialmacht sich massiv verschlechtern wird.
Die US-Wirtschaft ist im zweiten Quartal dieses Jahres um schwindelerregende 37 Prozent eingebrochen, was neuesten Prognosen zufolge eine Kontraktion des Bruttoinlandsprodukts von 6,6 Prozent in diesem Jahr zur Folge haben wird. Die offizielle, stark geschönte Arbeitslosenquote betrug im Mai 13,3 Prozent, wobei das wahre Ausmaß der Krise der amerikanischen Arbeitsgesellschaft erst beim Blick auf die Beschäftigungsquote der arbeitsfähigen Bevölkerung der Vereinigten Staaten sichtbar wird. Diese sei von 61,2 Prozent im Januar auf 52,8 Prozent im Mai dieses Jahres gefallen, wie der Sender CNBC Ende Juni auf seiner Webpräsenz ausführte. Nahezu die Hälfte der US-Bevölkerung habe keinen Job, warnte der CNBC-Bericht.
Die bei Krisenausbruch beschlossenen Übergangsregelungen, die eine totale Verelendung breiter Bevölkerungsschichten zumindest etwas verzögerten, laufen überdies demnächst aus: 25 Millionen US-Bürger werden bald ihre zeitlich begrenzte Arbeitslosenunterstützung verlieren, die Moratorien für Räumungen von Mietwohnungen laufen in vielen Bundesstaaten bald aus, sodass zehntausende mittelloser Menschen sich bald auf der Straße wiederfinden dürften, während die Pandemie in dem durch einen privatisierten Gesundheitssektor weitgehend ruinierten Land nahezu ungehindert wütet und immer neue Rekorde an Neuinfektionen einstellt.
Immer mehr Menschen in der Vereinigten Staaten haben somit immer mehr Gründe, um auf die Straße zu gehen - und kaum noch etwas zu verlieren.