Überraschende Wende in Corona-Politik: Lauterbach gegen "Einsperrmaßnahmen"
Gesundheitsminister Lauterbach erklärt in einer Talkshow die Lockdownstrategie überraschend für gescheitert. Es war nicht die erste Kehrtwende des SPD-Politikers
Wiederholt haben Vertreter von Regierung, Parteien und Medien in den vergangenen Wochen vor einer Verschärfung der Pandemie und damit einhergehend der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus und seiner Varianten gewarnt. Zu der Debatte hatte maßgeblich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) beigetragen, indem er vor kurzem noch vor einer neuen "Killervariante" im Herbst warnte und auf Pandemiemaßnahmen drängte.
Auf das Hü folgte nur das Hott: Lauterbach ging – erneut in einer Talkshow – seinen eigenen Warnungen auf Distanz: Lockdowns, sozusagen die Bazooka der Pandemiemaßnahmen, werde es auch eine Zuspitzung nicht geben, sie seien sinnlos. Angesichts von massiver Kritik der Ärzteschaft ist von der Killer-Virus-Warnung indes nichts mehr zu hören.
Dabei ist Lauterbachs neueste Neupositionierung im Grunde genommen nachvollziehbar. Der Minister bezog sich in der ARD-Sendung Maischberger auf die chinesische Null-Covid-Strategie und erklärte sie für gescheitert. Dieses Urteil, so fügte er an, müsse man auch mit Blick auf entsprechende Maßnahmen in Deutschland fällen.
Ausbleibende oder sogar negative Resultate durch Ausgehverbote sieht Lauterbach mit Bezug auf China in der dort niedrigen Impfquote begründet. Das betreffe vor allem ältere Menschen, die von dem Coronavirus und seinen Varianten vorrangig gefährdet sind.
Der Minister argumentierte: Bei plötzlichen Öffnungen sehe man dann "eine katastrophale Entwicklung" und "es würden Millionen Menschen sterben".
Als Moderatorin Sandra Maischberger nachhakte und fragte, ob dieses zunächst auf China bezogene Urteil auch auf Deutschland zutreffe, bestätigte Lauterbach dies mit Verweis auf eine epidemiologische Zwangslage:
Jetzt ist es so, dass man in der Klemme steckt, denn die Strategie ist ja nie richtig aufgegangen, weil damit schiebe ich das Problem ja eigentlich nur nach vorne. Irgendwann komme eine Corona-Variante, die sich sehr schnell verbreite, und das ist jetzt bei der Omikron-Variante ja so, dass ich mit diesen Einsperrmaßnahmen, Lockdown-Maßnahmen, damit kaum etwas erreichen kann.
Und selbst wenn das jetzt überwunden würde, sagen wir, China käme mit der Maßnahme jetzt durch: Die nächste Welle, die kommt, also BA.4, BA.5, was Sie jetzt in Südafrika sehen, ist schon wieder etwas ansteckender. Das heißt, das ist ein Rennen, das nicht gewonnen werden kann. Die Strategie ist ein Fehler gewesen und das wird jetzt zu keinem guten Ende führen.
Auf der anderen Seite muss auch einräumen, bei der geringen Impfquote und den schlechten Impfstoffen, die verwendet worden sind, würden wir in China jetzt eine katastrophale Entwicklung sehen, wenn man plötzlich also öffnen würde.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am 10.05.2022
Sinn der Lockdown-Politik schon länger fragwürdig
Tatsächlich war die in China besonders repressiv umgesetzte Lockdown-Politik von Beobachtern schon länger hinterfragt worden. Dazu trugen unmittelbar die Zahlen zum Infektionsgeschehen bei, nachdem schon im Januar in Shanghai erste Eindämmungsmaßnahmen durchgesetzt worden waren. Telepolis schrieb dazu Mitte März:
In Hongkong mit seinen rund 7,4 Millionen Einwohner liegt die Zahl der mit dem Virus in Verbindung stehenden Sterbefälle seit Anfang März zwischen 250 und nicht ganz 300 täglich, also etwas höher als hierzulande.
Die South China Morning Post berichtet an anderer Stelle von rund 300.000 Menschen, die derzeit erkrankt sind und sich in häuslicher Quarantäne befinden.
Ausgangssperren in China, Telepolis, 14.03.2022
Das Urteil erstaunte. Noch Ende vergangenen Jahres hatte Lauterbach die Bund-Länder-Beschlüsse zur Einhegung des Coronavirus vehement auch gegen Kritiker der besonders emotional diskutierten Lockdownpolitik verteidigt und noch kurz vor den Weihnachtsfeiertagen restriktivere staatliche Maßnahmen nicht ausgeschlossen, das wiederholte er im Januar.
Damals zeigte er sich vor der Pandemiepolitik überzeugt, die auch auf Einschränkung der Freizügigkeit setzte. Er sagte aber auch:
Wir schließen nichts aus. Also wenn tatsächlich die Fallzahlen sich so entwickeln würden, dass auch ein harter Lockdown diskutiert werden muss, dann gibt es da keine roten Linien.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am 22.12,2021