Ukraine-Konflikt und deutsche Leitmedien: Vielfalt und Ausgewogenheit in der Kriegsberichterstattung?

Große Medien-Studie deutet auf eine gewisse leitmediale Einseitigkeit. ARD-Tagesschau erscheint eher als meinungsstarker "Flak-Kreuzer", denn als "Nachrichten-Flaggschiff".

Die aktuelle Kriegs-Krise ist nach Flüchtlingskrise und Corona-Krise bereits das dritte große gesellschaftliche Thema innerhalb der vergangenen Jahre seit 2015, bei dem sich vor allem etablierte journalistische Medien auch in Deutschland massiver Kritik ausgesetzt sehen.

Kürzlich wurde hierzulande, unterstützt von der IG-Metall-nahen Otto-Brenner-Stiftung, eine erste umfassendere empirische Studie als kommunikationswissenschaftlicher Forschungs-Zwischenbericht veröffentlicht zur Frage, welche Qualität die massenmediale Berichterstattung wichtiger etablierter deutscher Redaktionen über den Krieg in der Ukraine in der Zeit vom 24. Februar bis 31. Mai 2022 aufgewiesen habe.

Das Studien-Team um Marcus Maurer ist zu verorten an den großen Medien-Instituten der Universitäten in Mainz und München. Im Zentrum der Analyse habe die Frage gestanden (S.3), "wie vielfältig und ausgewogen deutsche Nachrichtenmedien über den Krieg und unterschiedliche Positionen zum Krieg berichtet haben und ob sich dies im Verlauf der ersten drei Kriegsmonate verändert" habe.

Diese Forschungsfrage ist bemerkenswert formuliert, weil sie praktisch eine Vielfalt voraussetzt und dass es unter dieser Annahme nun darum gehe, das Ausmaß dieser Vielfalt und Ausgewogenheit zu messen. Dass dieses Ausmaß (zumindest theoretisch) auch "gegen Null" gehen könnte, hatten die Autor:innen anscheinend eher nicht "auf dem Schirm".

Die Studie untersuchte nach eigenen Angaben mittels quantitativer Inhaltsanalyse bestimmte Bereiche der Berichterstattung über den Ukraine-Krieg in jenen Wochen im angegebenen Zeitraum. Gegenstand seien knapp 4.300 Beiträge gewesen – und zwar informationsbetonte wie auch Kommentare, sofern sie sich in mindestens einem ganzen Absatz mit dem Thema "Krieg" befassten.

Die Auswahl der Medien

Ausgewählt wurden acht klassische deutsche Leitmedien aus den Bereichen Print und TV. In der Studie werden sie bundesweite "Meinungsführermedien" genannt: FAZ, Süddeutsche Zeitung, Bild, Spiegel, Zeit, ARD-Tagesschau (20 Uhr), ZDF-Heute (19 Uhr) und RTL-Aktuell (18:45). Es fällt auf, dass unter diesen Medien sicher einige sind, die als "rechts orientiert" gelesen werden (können), aber kein Medium, dass sich ernsthaft "links" labeln ließe.

Die Perspektiven

Im untersuchten Zeitraum hat laut Studie die Menge der Berichterstattung fast beständig abgenommen. Der Krieg sei dabei "überwiegend aus der Perspektive Deutschlands" dargestellt worden – was auch immer dies sein mag: die Sichtweise und Interessenlage z.B. der Bundesregierung, der deutschen Großkonzerne, der deutschen Rüstungsindustrie oder aber der Mehrheit der in Deutschland lebenden Menschen? Jedenfalls (S.4) habe insgesamt "die Perspektive Deutschlands" vorgeherrscht (42 Prozent).

Relativ häufig sei auch die Perspektive der Ukraine eingenommen worden (28 Prozent). Die Perspektive Russlands habe dagegen sogar deutlich seltener gemessen werden können (10 Prozent) als die Perspektive weiterer Länder, z.B. anderer Nachbarstaaten Russlands (20 Prozent).

Mit Blick auf die festgestellten Akteure wird deutlich, dass es Medien und Studie offenbar vor allem um Vertreterinnen und Vertreter der Regierungspolitik ging (80 Prozent aller in den Beiträgen Agierenden, S.5).

Dabei sei die Bundesregierungs-Seite wiederum insgesamt etwa viermal präsenter gewesen als die gesamte (parlamentarische) Opposition. In Zahlen übersetzt: Rund 80 Auftritten von Regierungspersonen dürften ca. 20 Auftritte von Menschen des Nicht-Regierungslagers gegenübergestanden haben.

Über-Repräsentanz der Regierungs-Parteien

Das ist angesichts der Stimmenverhältnisse im Bundestag bemerkenswert, da dort die Ampel-Koalition von SPD, Grünen und FDP derzeit maximal auf etwa 56 Prozent der Stimmen kommt. Hier ist also eine im Vergleich zu Nicht-Kriegszeiten besonders deutliche Über-Repräsentanz der Regierungs-Parteien erkennbar, mit Blick auf die untersuchten Leitmedien (S.5).

Die Studie hält fest: Die Union mit ihrem deutlichen Pro-Waffenlieferungen-Kurs erreichte immerhin 17 Prozent der Polit-Präsenz, Linkspartei und AfD hingegen hatten auch dieser Studie zufolge in der leitmedialen Kriegsberichterstattung praktisch keine Präsenz.

Das erscheint bedenklich, mit Blick auf die Artikulationsaufgabe journalistischer Medien bezüglich aller gesellschaftlich wichtigen Strömungen gerade in Fragen von Krieg und Frieden.

Bewertungen

Wenig überraschend, dass die Ukraine und Präsident Selenskyj in der Berichterstattung weit überwiegend positiv dargestellt wurden (S.6f.), Russland und Präsident Putin hingegen fast ausschließlich negativ.

Bemerkenswert an der Stelle wiederum: Noch positiver als die Ukraine wurde nur die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnisgrüne) dargestellt – einsame Spitze mit 68 Prozent positiver Bewertungen.

Das erscheint auch deshalb interessant, weil den Forschenden zufolge die gesamte Bundesregierung und gerade Kanzler Olaf Scholz in jenen gut drei Monaten unterm Strich tendenziell negativ bewertet wurden in diesen acht Medien – zunächst eher noch positiv in Zeiten von des Kanzlers "Zeitenwende"-Rede, doch dann ziemlich deutlich negativ.

Nicht zuletzt, weil Scholz angeblich zu "zögernd" war, was z.B. die Lieferung von (schweren) Waffen an die ukrainische Kriegspartei betraf.

Kritik

Fragwürdig gerade hier wieder die Position und Perspektive der Forschenden: Es habe sich nicht gezeigt, "dass die von uns untersuchten Medien gegenüber der Bundesregierung insgesamt besonders kritiklos waren. Vielmehr bewerteten sie nur die grünen Minister Baerbock und Habeck (19 Prozent) deutlich positiv, während sie die übrigen Regierungsmitglieder überwiegend kritisierten".

Aber wer hätte ernsthaft behauptet, dass wichtige Medien beim Thema "Krieg in der Ukraine" gegenüber der Bundesregierung "insgesamt besonders kritiklos" gewesen wären?

Dass leitmediale Kritik an den Regierenden außer Baerbock und Habeck sehr weitgehend auf "mehr (schwere) Waffen!" abzielte und daher im Unterschied zur Kritik vieler Bürger:innen an der Regierungspolitik ziemlich einseitig war und ist, wird auch in dieser Studie leider kaum thematisiert.

Als Kriegsverursacher stellten die untersuchten Medien laut Studie fast ausnahmslos und allein Russland/Putin dar (93 Prozent für die Ausprägung "alleinige Verantwortung"). Eine (Mit-)Verantwortung durch die Ukraine (2 Prozent) oder "den Westen" (Nato, USA usw. – 4 Prozent) wurde relativ selten auch nur thematisiert, geschweige denn ernsthaft behauptet und diskutiert (S.10).

Die Studie fasst zusammen, dass von verschiedenen möglichen Maßnahmen "zur Beendigung des Krieges" (deutlich treffender wäre hier meines Erachtens: "Maßnahmen, um den Krieg zu beeinflussen", nicht zuletzt im Lichte der Linie von Außenministerin Baerbock vom 25.2.2022, der zufolge es ja darum gehe, Russland zu "ruinieren") in den acht untersuchten Medien lediglich "humanitäre Maßnahmen" so gut wie ausnahmslos als sinnvoll dargestellt worden seien, was kaum überrascht.

Als "weit überwiegend sinnvoll" habe man durch die Redaktionen insbesondere ab April auch die militärische Unterstützung der Ukraine (74 Prozent Pro) und, etwas weniger eindeutig positiv, die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine (66 Prozent Pro) sowie die Verhängung von Wirtschaftssanktionen gegen Russland (64 Prozent Pro) bewertet.

Diplomatische Bemühungen seien dagegen lediglich in 43 Prozent der Fälle auch nur als "sinnvoll", zu schweigen von möglich oder gar nötig, dargestellt worden. Bemerkenswerte Ausnahme hierbei: Der Spiegel habe diplomatische Maßnahmen insgesamt knapp als sinnvoller bewertet denn die Lieferung schwerer Waffen, bei sämtlichen anderen untersuchten Medien sei es deutlich umgekehrt gewesen (S. 11f).

Einheitliche Position der Medien?

Eine zentrale Frage der öffentlichen Diskussion sei gewesen, inwiefern "die Medien" in der Frage des Vorschlagens und Bewertens offizieller deutscher Maßnahmen "eine einheitliche Position" vermittelten.

Unter anderem dieser Aspekt mutmaßlicher Einheitlichkeit und Einseitigkeit vieler etablierter Medien in wichtigen sowie von Bürger:innen kontrovers diskutierten Bereichen der Gesellschaft (wie der jüngsten und aktuellen großen Krisenlagen) ist ja auch einer der Kritik von Richard David Precht und Harald Welzer in ihrem Buch Die vierte Gewalt.

Moniert wurde an der Kritik der beiden u.a., diese sei nicht empirisch belegt sei und sie vor allem "Bauchgefühl" ventiliere. Allerdings dürften auch manche dieser Precht und Welzer Kritisierenden kaum an einem zentralen Ergebnis der Studie vorbeikommen.

Die Analyse, so deren Autoren, zeige, dass vor allem die – damals bei vielen Menschen hierzulande sehr umstrittene – Frage der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine (Ende April 2022 hatten sich laut ARD-Deutschlandtrend jeweils genau 45 Prozent der Befragten für bzw. gegen die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine ausgesprochen) von allen untersuchten Medien – mit Ausnahme des Spiegel – deutlich überwiegend befürwortet wurde.

Nicht zuletzt, weil dies, also die Lieferung schwerer Waffen, sicher kein unwesentlicher Aspekt möglicher oder auch realer Politik in Kriegs-Zeiten ist, kann die aktuelle Medien-Studie kaum als "Widerlegung" (so u.a. Dorothée Krämer vom Volksverpetzer) von Precht und Welzer gelten.

"Meinungs-Flakschiff" ARD-Tagesschau

Als ein außerordentlich bemerkenswerter empirischer Mosaikstein der Studie sei hingegen Folgendes erwähnt: Die ARD-Tagesschau als das reichweitenstärkste öffentlich-rechtliche Nachrichtenformat liegt laut der Studie in zwei Hinsichten vorne im Vergleich aller untersuchten Medien (noch vor einem Medium wie Bild).

Diese beiden Aspekte können als zwei Seiten derselben Medaille verstanden werden: 1.) Beim Befürworten des Lieferns von schweren Waffen an die Ukraine und 2.) bei der Ablehnung diplomatischer Bemühungen.

Das ist doppelt fragwürdig: Für ein öffentlich-rechtliches Medium überhaupt, gerade wegen des Gebotes des Binnenpluralismus per Programmauftrag, aber insbesondere für dessen strikt informationsbetont sein sollendes "Nachrichten-Flaggschiff". Angesichts solcher Studien-Befunde ließe sich hier wohl leider eher ironisch von einem "Meinungs-Flakschiff" reden.

Fazit: Überraschende Deutlichkeit

Das Fazit der empirischen Studie selbst ist laut den Autoren "durchaus differenziert" und damit jedenfalls auch in deren Wahrnehmung kein Persilschein für Vielfalt und Ausgewogenheit der untersuchten Medien.

In einigen Hinsichten hätten die ausgewählten Redaktionen "tatsächlich sehr einheitlich über den Krieg berichtet". Das betreffe insbesondere die Zuschreibung der Kriegsverantwortung an Russland und die Bewertung der beiden Kriegsparteien.

Dass die militärische Unterstützung der Ukraine im Allgemeinen und die Lieferung schwerer Waffen im Besonderen in den meisten der untersuchten Medien als deutlich überwiegend sinnvoll und auch als sinnvoller als diplomatische Maßnahmen dargestellt wurden, sei angesichts der schrecklichen Bilder aus der Ukraine "verständlich", überrasche "in dieser Deutlichkeit aber dennoch und ist in früheren vergleichbaren Fällen vermutlich (hierzu liegen allerdings keine empirischen Daten vor) anders ausgefallen."

Umso bemerkenswerter finden es die Forschenden, dass der Spiegel als einziges der acht untersuchten Leitmedien "zumindest über die Lieferung schwerer Waffen sehr abwägend berichtete und eine diplomatische Lösung als sinnvoller darstellte". Die untersuchten Medien hätten also nicht "vollkommen einheitlich" berichtet – aber wiederum: Wer bitte hätte das ernstzunehmend behauptet?

"Alles in allem" deutet laut Studie "vieles darauf hin, dass die Medienberichterstattung – ähnlich wie in der Corona-Pandemie – nicht regierungsnah war, sondern die Regierung eher für ihre zögerliche Haltung kritisierte".

Ob das aber, selbst wenn es als wahr (an-)genommen wird, insgesamt als hinreichender empirischer Beleg für "Vielfalt und Ausgewogenheit" gelten kann?

Ich denke, diese abschließende Eigen-Bewertung der Analyse muss man nicht für den stärksten Teil jenes Zwischenberichtes aus der Medienforschung halten, um in dieser Studie etliche wichtige Anknüpfungspunkte zu finden, für Medienkritik und für bessere journalistische Praxen.