Ukraine-Krieg: Diplomatie vs. "Atompazifismus"
Seite 2: Worum es Russland nach eigenem Bekunden geht
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Das sind im Wesentlichen die folgenden Eckpfeiler:
• Keine Nato-Militärmanöver nahe der russischen Grenze, keine russischen Militärmanöver nahe der Grenze zu Nato-Staaten.
• Keine Stationierung von atomwaffenfähigen Mittelstreckenraketen und Abschussrampen in Europa, also auch nicht im europäischen Teil Russlands.
• Keine Stationierung von Atomwaffen außerhalb des eigenen Landes (was sich auf die Atommächte, vor allem USA und Russland bezieht und dem Atomwaffensperrvertrag entspricht).
• Keine Flüge von Kampfjets und die gefährlichen Manöver von Kriegsschiffen so nahe an der Grenze des anderen patrouillieren lassen, dass ein Angriff möglich wäre.
• Keine Kriegsschiffe so dicht an die Grenze des anderen bringen, dass sie ihn mit Raketen angreifen könnten.
• Rückkehr zur Nato-Russland-Grundakte, die eine dauerhafte Stationierung von Nato-Truppen in Osteuropa verbietet.
Die zentralen Formulierungen des russischen Vertragsentwurfes zu diesen Eckpfeilern lauten:
Artikel 1: Die Teilnehmer lassen sich in ihren Beziehungen von den Prinzipien der Zusammenarbeit, der gleichen und unteilbaren Sicherheit leiten. Sie stärken ihre Sicherheit nicht individuell, im Rahmen einer internationalen Organisation, Militärallianz oder Koalition auf Kosten der Sicherheit anderer.
Die Teilnehmer verpflichten sich in ihren Beziehungen, alle internationalen Streitigkeiten friedlich beizulegen und auch jede Anwendung von Gewalt oder die Androhung ihrer Anwendung zu unterlassen, die in irgendeiner Weise mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbar ist. (…)
Artikel 2: Um Probleme und problematische Situationen zu lösen, nutzen die Teilnehmer die Mechanismen dringender Konsultationen auf bilateraler und multilateraler Basis, einschließlich des Russland-Nato-Rates. Die Teilnehmer tauschen regelmäßig auf freiwilliger Basis Einschätzungen zu aktuellen Bedrohungen und Herausforderungen für die Sicherheit aus, informieren sich gegenseitig über militärische Übungen und Manöver (…).
Artikel 3: Die Teilnehmer bestätigen, dass sie sich nicht als Gegner betrachten. Die Teilnehmer pflegen einen Dialog und interagieren. (...)
Artikel 4: Die Russische Föderation bzw. alle Teilnehmer, die am 27. Mai 1997 Mitgliedstaaten der Nordatlantikpakt-Organisation waren, setzen ihre Streitkräfte und Waffen nicht zusätzlich zu den stationierten Streitkräften auf dem Territorium aller anderen Staaten Europas ein.
Artikel 5: Die Teilnehmer schließen den Einsatz von bodengestützten Mittel- und Kurzstreckenraketen in Gebieten aus, von denen aus sie Ziele auf dem Hoheitsgebiet anderer Teilnehmer treffen können.
Artikel 6: Teilnehmer, die Mitgliedsstaaten der Nordatlantikpakt-Organisation sind, verpflichten sich, eine Erweiterung der Nato einschließlich des Beitritts der Ukraine sowie anderer Staaten auszuschließen.
Artikel 7: Um das Auftreten von Zwischenfällen zu vermeiden, führen die Russische Föderation und die Teilnehmer, die Mitgliedstaaten der Nordatlantikpakt-Organisation sind, keine Militärübungen und anderen militärischen Aktivitäten oberhalb der Brigadeebene in einem Streifen vereinbarter Breite und Konfiguration auf beiden Seiten der Grenzlinie der Russischen Föderation und der Staaten, die mit ihr in einem Militärbündnis stehen, sowie Teilnehmer, die Mitgliedsstaaten der Nordatlantikpakt-Organisation sind, durch.
Artikel 8: Dieses Abkommen berührt weder die primäre Verantwortung des UN-Sicherheitsrates für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit noch die Rechte und Pflichten der Mitglieder gemäß der UN-Charta und darf nicht so ausgelegt werden. (…)
Auf diese Forderung nach Sicherheitsgarantien antwortete die der Nato Ende Januar dieses Jahres: Der Militärpakt und die USA lehnten die von Russland geforderten Sicherheitsgarantien offiziell ab. Ein Abzug aus den östlichen Mitgliedsstaaten kam für sie nicht in Frage. Nato-Chef Stoltenberg sprach damals schon indirekt über einen Bündnisfall.
Die kurzfristig angesetzte Pressekonferenz von Nato-Chef Jens Stoltenberg begann eine halbe Stunde später. Die Stimmung war düster, Stoltenberg wirkte äußerst angespannt. Er verkündet, was die 30 Nato-Länder am Morgen beschlossen hatten: Die Allianz hat am Mittwoch schriftlich auf die Forderungen Moskaus nach "Sicherheitsgarantien" geantwortet und dabei keine größeren Zugeständnisse gemacht.
Die Welt, 27. Januar 2022
Kampf um Deutungshoheit mit Strafgesetzbuch unter dem Arm
Diese Entwicklung nachzuzeichnen und in Erinnerung zu rufen, stellt keine Unterstützung des Krieges in der Ukraine dar. Es ist allerdings eine notwendige Gegenaufklärung angesichts von Desinformation und Halbwahrheiten, die vom politischen Westen, der Nato und der Ampel-Bundesregierung verbreitet werden. Ihre Gesetzgebung gegen mutmaßliche Desinformation ist Heuchelei nach dem Prinzip des Räubers, der auf den Horizont zeigt und ruft: "Haltet den Dieb!"
Die Ampel-Regierung schafft mit der Neufassung des Paragraphen 130, der im Oktober – von der Öffentlichkeit fast unbemerkt – geändert wurde, eine Grauzone, in der auch zum Beispiel Gegner des Vorgehens der Nato ihre Argumente zurückhalten müssten, um nicht wegen Des-Information verfolgt zu werden, wie diese juristische Einordnung des neuen Paragraphen offenbart:
Es wird klargestellt, "dass nicht nur das öffentliche Billigen, Leugnen oder gröbliche Verharmlosen in Bezug auf nationalsozialistische Taten, sondern auch in Bezug auf andere Völkerrechtsverbrechen unter bestimmten Voraussetzungen strafbar ist".
Damit greift der geänderte Tatbestand deutlicher als die alte Fassung in das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und in historische Debatten sowie Diskussionen über die Angemessenheit historischer Vergleiche ein.
Die Frage, wo in diesem Zusammenhang eine strafbewehrte "Billigung" des von Russland ausgelösten Krieges gegen die Ukraine beginnt, rückt damit in eine für Interpretationen offene Grauzone, wie man an den Reaktionen auf Äußerungen von Gabriele Krone-Schmalz sieht.
Sie kritisierte den Krieg Russlands gegen die Ukraine in ihren einführenden Worten zu Beginn ihres Vortrages in der Volkshochschule Reutlingen unmissverständlich, verweigerte sich aber dem selektiven Blick des politischen Westens, der nur die Völkerrechtsverstöße Russlands ab dem 24. Februar 2022 zur Kenntnis gibt.
Zu ihrem Vortrag findet man folgende juristische Überlegung anlässlich der Neufassung des Paragraphen 130 StrGB:
Der Gesetzestext gibt keinen Aufschluss darüber, ob sich die Vorschrift nur auf gerichtlich festgestellte Verstöße gegen das Völkerrecht bezieht. Es stellt sich zudem die Frage, wie deutsche Strafgerichte zu ausländischen Ereignissen, die einer andauernden Dynamik unterliegen, beispielsweise dem Ukraine-Konflikt, ausreichende Tatsachenfeststellungen treffen sollen. Die nun von unbestimmten Rechtsbegriffen wie ‚gröblich verharmlost‘ gespickte Norm (…) führt zu Unsicherheiten und ist geeignet, eine offene Diskussion z.B. im Zusammenhang mit der Situation in der Ukraine zu behindern.
Daniel Hauser
Hier ist nicht nur die Meinungsfreiheit in Gefahr, sondern auch die Freiheit der Menschen, sich allumfassend zu informieren.
Unterdessen steigert die Strategie der Nato-Lobby das Risiko eines nuklearen Infernos nicht nur infolge der Gefahr einer militärischen Eskalation. Die Atomkraftwerke der Ukraine werden auch dadurch zur Gefahr, dass ihre Kühlung durch eine Unterbrechung der Wasserversorgung ausfällt.
Wer eine weitere Eskalation bewusst nicht vermeiden will, geht das Risiko einer Havarie ein, wie es aktuell der Historiker Sören Neitzel, der schon im März gegen Diplomatie argumentierte. Er forderte jetzt im Talk mit Markus Lanz: "Wir brauchen eine kriegsfähige Bundeswehr".
Seine Orientierung auf Krieg ist eine Orientierung auf das Ende der Zivilisation: Alleine in Europa stehen mit 104 Atomreaktoren fast ein Viertel der Nuklearreaktoren der Welt. Hier gilt das Gebot, das die Friedenstheologin Dorothee Sölle 1983 mit der Wortschöpfung "Atompazifismus" bedachte.