Ukraine-Krieg: Nordkorea verstärkt Russlands Panzerflotte

Waldimir Putin und Kim Jong-un bei einem Treffen in Pjöngjang

Waldimir Putin und Kim Jong-un, Treffen in Pjöngjang, Juni 2024. Foto: Kremlin.de / CC BY 3.0 deed

Nato vor neuen Herausforderungen: Pjöngjang liefert den Panzerjäger Bulsae-4 und unterstreicht damit die militärische Zusammenarbeit mit Moskau.

Nordkorea hat erste gepanzerte Fahrzeuge an Russland geliefert, berichtet das Fachmagazin Army Recognition. Bei dem Fahrzeug handelt es sich um einen Panzerjäger vom Typ Bulsae-4, auch M-2018 genannt.

Der Panzerjäger ist anscheinend zuerst von Betreibern oder Informanten des proukrainischen Telegram-Kanals KUPua01 gesichtet worden. Dort kann man auf einem Video-Standbild das Fahrzeug relativ gut erkennen.

Überraschende Entdeckung

Die Entdeckung, über die auch das US-Magazin Forbes berichtet, kann als eine große Überraschung angesehen werden, da Nordkorea den russischen Streitkräften bisher nur Munition und Raketen geliefert hat, nicht aber gepanzerte Fahrzeuge, wenn man von den Startfahrzeugen der gelieferten Raketen absieht.

Bei dem Bulsae-4 handelt es sich um einen amphibischen Radschützenpanzer vom nordkoreanischen Typ M-2010 in einer verkürzten 6x6-Ausführung. Das Fahrzeug ist eine nordkoreanische Variante des sowjetischen BTR-80A-Schützenpanzers.

Das Panzerfahrzeug ist mit einem Achtfach-Raketenwerfer ausgestattet, der in einem rotierenden Turm untergebracht ist. Dort ist Platz für acht Panzerabwehrraketen.

Mutmaßungen über die Raketen

Über diese Raketen ist wenig bekannt, anhand des Startbehälters könnte man allerdings auf Parallelen mit der chinesischen AFT-10-Rakete schließen. China ist historisch ein wichtiger Lieferant von Militärtechnik für Nordkorea, sodass es naheliegend wäre, wenn diese neue Waffe mithilfe Pekings entwickelt worden wäre.

Das erste Mal ist diese relativ neue nordkoreanische Rakete, von der es auch eine helikoptergestützte Variante gibt, am 1. Juni 2018 im nordkoreanischen Staatsfernsehen aufgetaucht.

Sie verfolgt angeblich eine nicht-ballistische Flugbahn oder, anders ausgedrückt, sie fliegt nach Regeln der Aerodynamik und nutzt für den Aufrieb kleine Flügel. Falls tatsächlich die chinesische AFT-10 als Grundlage der Entwicklung gedient haben sollte, dann würde die Rakete optisch an die bekannte russische Lancet-Drohne mit ihrem X-Flügel-Layout erinnern. Bei einem aerodynamischen Flug sind Flügel oder größere Flossen notwendig, um den Aufrieb sicherzustellen.

Reichweite zwischen zehn und 25 Kilometern

Das Fachportal Globalsecurity gibt eine Flughöhe von rund 100 bis 300 Metern an.

Es handelt sich im übertragenen Sinne um einen gelenkten Mini-Ultra-Kurzstrecken-Marschflugkörper, dessen Reichweite je nach Quelle zwischen zehn und 25 Kilometern angegeben wird.

Damit handelt es sich um eine sogenannte NLOS ATGM (Non-line-of-sight anti-tank guided missile), oder "Nicht-Sichtverbindungs-Panzerabwehrlenkwaffe", was bedeutet, dass die Rakete auf Ziele abgefeuert werden kann, die sich nicht in Sichtverbindung mit dem Waffen-Operator befinden.

Drahtgelenkte Raketen

Die Besonderheit der Bulsae-4-Rakete ist, dass sie per Glasfaser-Kabel ferngesteuert wird. Sie gehört damit zur Klasse der drahtgelenkten Raketen. Die weltweit ersten drahtgelenkten Gleitbomben wurden von den Deutschen gegen Ende des Zweiten Weltkrieges mit der Fritz X und der Hs 293 entwickelt.

Das Bulsae-4-System spult ein im Fahrzeug untergebrachtes Glasfaser-Kabel ab, mit dem die Rakete während der ganzen Flugzeit verbunden bleibt.

Drahtgelenkte Raketen werden immer noch hergestellt. Die oben erwähnte chinesische AFT-10, deren Existenz seit 2014 bekannt ist, gilt mit einem Zehn-Kilometer-Kabel als die reichweitenstärkste drahtgelenkten Rakete weltweit.

Nachteil: Beschränkung der Reichweite

Falls die Bursae-4 tatsächlich bis zu 25 Kilometer weit kommen sollte, dann wäre das entweder mit einer erstaunlichen Kabellänge zu erklären oder die Rakete kann über eine gewisse Kilometerzahl hinaus das Kabel ausklinken und dann etwa über Funk oder Laser gesteuert werden, wie die israelische Spike NLOS.

Darüber ist aber nichts bekannt. Die Informationslage bei nordkoreanischen Rüstungsprojekten kann generell als schlecht bezeichnet werden, weil diese dort der Geheimhaltung unterliegen.

Eigentlich haben drahtgelenkte Raketen natürlich den gravierenden Nachteil, dass die Reichweite auf die Länge des Drahtes beschränkt ist oder die Verbindung zur Rakete abbricht, wenn die Kabelverbindung unterbrochen wird.

Vorteil der Technologie

Doch in der Ukraine zeigt sich der entscheidende Vorteil dieser Technologie: Anders als etwa funkgesteuerte Raketen kann eine Drahtsteuerung nicht durch Mittel der elektronischen Kriegsführung gestört werden.

Elektronische Kriegsführung hat besonders bei den Waffen zur Unterstützung der Ukraine aus Nato-Staaten zu weitflächigen Ausfällen und sogar zum Abzug von Kriegsgerät aus dem Kampfgebiet in der Ukraine geführt. Eine Kabellösung kann dieses Problem auf eine bewährte Methode völlig umgehen.

Die nordkoreanische Rakete ist mit einem elektro-optischen Suchkopf ausgestattet, was nichts anderes heißt, als dass eine Videokamera in der Raketenspitze verbaut ist.

Durch das Glasfaser-Kabel ist ein Operator in der Lage, Ziele aufzuschalten und diese sogar während des Fluges zu ändern. Die Zielaufklärung kann zuvor etwa durch eine Aufklärungsdrohne erfolgt sein.

Anders als die US-Javelin, die nur eine Höchstreichweite von nur vier Kilometern hat, braucht das System also keinen direkten Sichtkontakt mit einem potentiellen Ziel, sondern kann über die Sichtlinie hinweg eingesetzt werden.

Eine derartige NLOS-Panzerabwehrlekwaffe wie die Bulsae-4 lässt sich überraschenderweise nicht in den russischen Arsenalen finden. Mit der Lancet-Drohne haben die russischen Streitkräfte allerdings einen überaus erfolgreichen Ersatz gefunden.

Bulsae-4 im Waffentest

Das Bulsae-4 ist ein modernes System. Für die Streitkräfte Nordkoreas bedeutet der Einsatz durch die russische Armee in der Ukraine auch einen willkommenen Waffentest, um die Fähigkeiten des Systems zu evaluieren.

Anti-Panzerwaffen wie die Kornet werden im Ukraine-Krieg auf russischer Seite auch immer wieder gegen Bunker oder Infanterie-Gruppen eingesetzt. Das Gleiche ist von einem Einsatz des Bulsae-4-Systems zu erwarten.

Es gibt den Bodentruppen effektiv eine kleine Kurzstrecken-Rakete zur Verfügung, die nicht aus der Luft gestartet werden muss wie etwa die ebenfalls sehr erfolgreiche russische LMUR-Rakete.

Welche Bedeutung die Lieferung hat

Die Lieferung ist symbolisch von großer Bedeutung, zeigt sie doch die Fähigkeit der russischen Armee, sich gepanzerte Fahrzeuge im befreundeten Ausland zu beschaffen.

Wenig bekannt ist, dass bereits China mit dem "Tiger" im Juni vergangenen Jahres einen gepanzerten Mannschaftstransportwagen an Russland geliefert hat, der aber lediglich ein Maschinengewehr als Bewaffnung aufnehmen kann. Das Bulsae-4-System hat im Vergleich dazu einen hohen Kampfwert für die russischen Streitkräfte.

Es wäre denkbar, dass Nordkorea bei Bedarf weitere Panzerfahrzeuge an die russischen Streitkräfte liefert, wie das an dieser Stelle bereits analysiert und vorhergesagt wurde.

Laut der Website Globalfirepower verfügt Nordkorea mit fast 6.000 Panzern nach Russland über die zweitgrößte Panzerarmee der Welt. Die nordkoreanischen Panzer sind entweder sowjetische Entwürfe oder auf sowjetischen Panzern basierende Eigenentwicklungen.

Alle Panzer dürften mit russischer Technologie kompatibel sein, was die Reparatur und Logistik für Russland einfach gestalten würde.

Eine Knappheit an gepanzerten Fahrzeugen, wie das viele Kommentatoren bereits im kommenden Jahr für die russischen Streitkräfte vorhersehen, ist demnach nicht zu erwarten. Die träumerische Vorstellung, Russland würde in naher Zukunft die Kampffahrzeuge ausgehen, dürfte damit geplatzt sein.

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Redaktionelle Anmerkung: Ursprünglich hieß es im Beitrag, dass die "weltweit ersten drahtgelenkten Raketen" von den Deutschen gegen Ende des Zweiten Weltkrieges "mit der Fritz X und der Hs 293 zum Einsatz gebracht" wurden. Dies ist nicht richtig, da es sich nicht um Raketen handelte und die Drahtlenkung in der Erprobung war. Die Stelle wurde verbessert.