Ukraine-Krieg: Schwere Folgen durch Russlands Einsatz von Gleitbomben

FAB 500, die Russlands Militärtechniker zu einer Gleitbombe umbauen. Bild (2016): Vitaly V. Kuzmin / Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0

Luftangriffe stellen ukrainische Verteidigung vor große Probleme. Russische Armee intensiviert Angriffe. Welche Möglichkeiten haben die Ukraine und ihre Unterstützer? Eine Einschätzung.

Die russischen Luftstreitkräfte haben laut jüngsten Berichten stärkere Verluste erlitten – gleichzeitig intensivieren sie ihre Angriffe entlang der ganzen Kontaktlinie in der Ukraine. Wie ist das zu erklären?

Elf Kampfjets sollen von der Flugabwehr der ukrainischen Streitkräfte innerhalb von nur elf Tagen abgeschossen worden sein, so vermelden es ukrainische Regierungsorgane. Allerdings können nur zwei Abschüsse visuell bestätigt werden.

Erfolgsmeldungen über ukrainische Verteidigung

Die New York Times berichtet sogar von 15 abgeschossenen Flugzeugen in nur 15 Tagen. Diese Zahlen sind allerdings erfahrungsgemäß mit Vorsicht zu behandeln, denn die ukrainischen Streitkräfte brauchen im Krieg der Informationen dringend gute Nachrichten.

Dem steht entgegen, dass die russische Armee trotz der vermeldeten Abschusserfolge der ukrainischen Streitkräfte ihre Angriffe entlang der Front intensiviert – mit verheerenden Folgen für die ukrainischen Verteidiger.

KAB: Verheerende Wirkung

Waren die russischen Kampfflugzeuge noch in den ersten Monaten des Angriffes auf die Ukraine eher im Hintergrund des Geschehens geblieben, so scheinen die Luftstreitkräfte der Russischen Föderation (WWS) jetzt eine erfolgreiche Einsatztaktik entwickelt zu haben – mit einer tödlichen Waffe, die den Verlauf des Krieges ändern könnte.

Glaubt man etwa dem ukrainischen Soldaten Egor Sugar, der in Awdijiwka gekämpft hat und auf seinem X-Kanal berichtet, so hat sich schon einiges geändert. Er habe das Gefühl, dass auf Awdijiwka die größte Anzahl von Fliegerbomben "auf ein solches Stück Land im gesamten Zeitraum der Existenz der Menschheit" abgeworfen wurde, schreibt er.

Diese Bomben zerstören jede Stellung vollständig. Alle Gebäude und Strukturen verwandeln sich nach dem Eintreffen einer einzigen KAB einfach in eine Grube. Und sie werfen 60-80 Stück an einem Tag (!!) auf uns ab.

Stellen Sie sich nur einmal die Bedingungen vor, unter denen unsere Kämpfer heute hier kämpfen.

Egor Sugar

Der Einsatz der "kurskorrigierten Fliegerbombe"

KAB steht für "korrektirujemaja awiazionnaja bomba", oder "Kurskorrigierte Fliegerbombe". Diese von der WWS in Massen eingesetzten Bomben scheinen maßgeblich für den Erfolg der russischen Streitkräfte in Awdijiwka verantwortlich zu sein.

Das meint zum Beispiel die US-Waffenlobby-Organisation The Institute for the Study of War (ISW), die weitere russische Erfolge mit dieser Taktik befürchtet:

Verzögerungen bei der westlichen Sicherheitshilfe könnten zu weiteren erheblichen Einschränkungen der ukrainischen Luftabwehr führen, die es den russischen Streitkräften ermöglichen könnten, die enge Luftunterstützung, die die russischen Vorstöße in Avdiivka erleichtert hat, in der Ukraine in großem Umfang zu wiederholen.

ISW

Russland besitzt zwei Arten von KABs, also von Präzisions-Gleitbomben. Das ist zum einen die KAB-Serie, die in den 1970er-Jahren entwickelt und in den Dienst gestellt wurde. Dabei handelt es sich um originäre Gleitbomben.

Der Einsatz dieser KAB in der Ukraine ist jedoch nicht so häufig dokumentiert wie der des anderen Gleitbombentyps, der russischen FAB. FAB steht für "Fugasnaja Awiazionnaja Bomba" (Spreng-Fliegerbombe) und ist eine Freifall-Fliegerbombe, die mit dem Gleitrüstsatz UMPK zu Präzisions-Gleitbomben konvertiert werden können.

Ist der Einsatz der 500er-Version der Bombe hinlänglich bekannt, hat die russische Verteidigungsindustrie jetzt angeblich mit der Massenproduktion der 1500er-Version begonnen, wobei die Zahlen jeweils für das Gesamtgewicht der Bomben stehen, also die Zahl 1500 steht für 1500 Kilogramm.

Was kann die KAB?

Die Bomben sollen mindestens 70 Kilometer gleiten können, wenn sie aus einer entsprechenden Höhe abgeworfen werden. Bei Aufschlag verursachen sie eine Explosion, die in der vertikalen Ausdehnung etwa die Höhe eines 20-stöckigen Hochhauses erreichen kann. Auf folgendem Video ist der Einschlag der Gleitbombe zu sehen.

Die FAB-1500 soll eine Treffergenauigkeit von fünf Metern haben und einen Explosionskrater mit einem Durchmesser von 15 Metern erzeugen. Die Wirkungszone soll eine Größe von rund zwei Quadratkilometer abdecken können. Die Nato besitzt hingegen keine Gleitbombe in der Zerstörungsklasse der FAB-1500.

Zerstörung der Städte als Kriegsziel?

Die Frankfurter Rundschau berichtet, die FAB-1500 hätte "die Zerstörung von ukrainischen Städten als Ziel".

Das wäre militärisch aber wenig sinnvoll, denn zum einen stärkt Terror gegen die Zivilbevölkerung den Widerstandswillen, wie alle Kriege gezeigt haben, und zum anderen gehen die russischen Luftstreitkräfte bei jeder Flug-Mission das Risiko ein, wertvolle Flugzeuge zu verlieren.

Eine Luftkampagne mit dem Ziel, Städte zu zerstören, würde dieses Risiko aber nicht rechtfertigen. Zudem sind keine visuellen Belege bekannt, auf denen der Einsatz von russischen Gleitbomben gegen Städte zu sehen ist, die nicht direkt an der Front liegen.

Vielmehr, so zeigt ein genauerer Blick, werden mit diesen gewaltigen Waffen die Verteidigungslinien der Ukraine systematisch zerstört.

Die Verteidigung: Der Einsatz von Patriots

Das Problem für die ukrainischen Streitkräfte liegt nämlich darin, dass es gegen die Bomben, einmal abgeworfen, keine Verteidigungsmöglichkeiten gibt. So beschränken sich die Verteidigungsbemühungen deshalb einzig und alleine darauf, das Trägerflugzeug abzuschießen.

Da die Bomben eine Reichweite von mindestens 70 Kilometern haben, müssen dazu Langstrecken-Flugabwehrsysteme wie die US-Patriot, die eine Reichweite von bis zu 160 Kilometern aufweist, zur Bekämpfung der Trägerflugzeuge sehr nahe an die Front gebracht werden.

Offenbar haben die ukrainischen Streitkräfte genau dies versucht und, wie weiter oben berichtet, mindestens zwei Kampfflugzeuge erfolgreich abschießen können.