Ukraine-Krieg: Verhandeln, bevor Europa in Flammen steht

Biden. Selenskyj: Wir Frieden verhandelbar sein? Bild: Gints Ivuskans, Shutterstock.com

Der Krieg in der Ukraine eskaliert. Die USA erwägen Lieferung weitreichender Waffen. Droht nun eine nukleare Konfrontation?

Seit dem 24. Februar 2022 wehrt sich die Ukraine mit allen zur Verfügung stehenden militärischen Mitteln gegen den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands, um die Souveränität ihres Territoriums wiederherzustellen.

Das Recht auf Selbstverteidigung beruht auf Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen. Die Ukraine wehrt sich mit westlicher Unterstützung gegen eine russische Armee, die im Osten des Landes unter hohen Verlusten langsam vorrückt und Geländegewinne erzielt.

Die Ukraine versucht mit allen zur Verfügung stehenden Waffen ihr Territorium zu verteidigen. Im Raum Kursk ist es ihr sogar gelungen, auf russisches Territorium vorzustoßen.

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Die russische Armee greift aus der Luft mit gelenkten Bomben und Drohnen unter permanenter Verletzung des Kriegsvölkerrechts die lebenswichtige Infrastruktur – insbesondere die Energie- und Trinkwasserversorgung sowie Logistikzentren – des Landes an. Ziel ist es, die ukrainische Bevölkerung zu treffen, die erneut vor einem harten Winter ohne Strom und Heizung zermürbt werden soll.

Schätzungen zufolge sind in diesem Krieg bisher auf beiden Seiten mindestens 200.000 Soldaten und weit über 30.000 Zivilisten ums Leben gekommen.

In dieser Situation bittet der ukrainische Präsident die USA um die Erlaubnis, weitreichende Raketensysteme einzusetzen, um die russische Armee im Aufmarsch und die Luftwaffe am Boden auf russischem Territorium bekämpfen zu können.

Die Briten sollen Presseberichten zufolge bereits grünes Licht für ihre Systeme gegeben haben. "Wir werden nachjustieren, wir werden uns anpassen, wenn es notwendig ist, auch im Hinblick auf die Mittel, die der Ukraine zur Verfügung stehen. Wir wollen, dass die Ukraine gewinnt. Und wir sind fest entschlossen, ihr die Hilfe zu geben, die sie braucht, damit ihre tapferen Soldaten und Bürger genau das erreichen können", sagte US-Außenminister Antony Blinken.

Aus militärischer Sicht mag die Bitte der Ukraine Sinn machen. Durch den Einsatz weitreichender Raketensysteme könnten Depots und Nachschubwege russischer Bodentruppen sowie Militärflugzeuge am Boden auf russischem Territorium bekämpft und zerstört werden.

Damit würde die Gefahr einer Eskalation des Krieges erheblich steigen. Eine russische Reaktion mit einer taktischen Nuklearwaffe - auch auf dem Territorium eines angrenzenden Nato-Staates - kann nicht ausgeschlossen werden.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Ziele die USA in diesem Krieg verfolgen, an dem sie bisher nur indirekt beteiligt sind.

Bisher scheint die Strategie der USA sehr erfolgreich zu sein: Die Nato ist im Kampf gegen Russland wieder geeint. Die Wirtschaft und die Rüstungsindustrie der USA boomen. Die Auftragsbücher sind voll mit Bestellungen aus NATO-Staaten. Nord-Stream 2 wurde gestoppt und die Lieferungen von amerikanischem Fracking-Gas laufen auf Hochtouren.

Das Risiko, das die USA in diesem Regionalkrieg eingehen, ist noch als relativ gering einzuschätzen. Waffenlieferungen befeuern zwar den Krieg, schließen aber die unmittelbare Gefahr einer militärischen Konfrontation mit Russland weitgehend aus. Der Einsatz taktischer Nuklearwaffen wäre auf Europa beschränkt und würde Menschen in der Ukraine, in den europäischen Nachbarstaaten und in Russland treffen.

Trotz Waffenlieferungen aus den USA kann die Ukraine den Krieg nicht gewinnen!

Es wäre notwendig, das bestehende Kräfteverhältnis und die erdrückende militärische Überlegenheit Russlands anzuerkennen und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen: Die Ukraine kann den Krieg gegen die Atommacht Russland nicht gewinnen. Die Wirtschaft ist inzwischen auf Kriegswirtschaft umgestellt. Russland kann über zwei Millionen Reservisten mobilisieren. Das kann die Ukraine trotz besserer Kampfmoral auf Dauer nicht kompensieren.

Der Krieg darf nicht eskalieren

Damit der Krieg nicht eskaliert, müssen die USA ihre Strategie ändern. Ein möglicher Atomkrieg in Europa würde nicht nur Millionen von Toten fordern, sondern auch große Teile Europas langfristig unbewohnbar machen", so die Studiengruppe "Europäische Sicherheit und Frieden" der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) e.V.

Den USA kämen eine besondere Rolle und Verantwortung zu, auf eine Beendigung der Kriegshandlungen durch Russland hinzuwirken. "Der Schlüssel für eine Lösung des Krieges liegt in Washington und in Moskau", so Brigadegeneral a.D. Erich Vad, ehemaliger militärpolitischer Berater von Angela Merkel.

Russland als gleichwertigen "Global Player" anerkennen

Um eine Eskalation des Krieges zu verhindern, müssen die USA ihre Strategie grundlegend ändern. Dazu gehört vor allem die Bereitschaft, Russland als gleichwertigen "Global Player" anzuerkennen. Nur auf dieser Basis eröffnen sich Perspektiven für ernsthafte Verhandlungen über eine Konfliktlösung - unter Einbeziehung der Ukraine.

Präsident Biden sollte Russland Verhandlungsoptionen anbieten, die als Türöffner für ein Treffen und weitere Gespräche dienen können. Dazu gehört auch, Kiew von der Notwendigkeit von Verhandlungen zu überzeugen, ohne vorher den bedingungslosen Abzug der russischen Truppen zu fordern.

Es liegt an Präsident Biden, noch in seiner Amtszeit eine Friedensinitiative zu starten, die eine Wende im Krieg einleiten könnte: Alle diplomatischen Möglichkeiten für einen Waffenstillstand auszuschöpfen.

Es geht darum, das Leben Hunderttausender Soldaten auf beiden Seiten und der Zivilbevölkerung in der Ukraine zu retten!

Selenskyj will Friedensplan mit Biden besprechen

Zu dieser Einsicht scheint nun auch Präsident Wolodymyr Selenskyj gekommen zu sein. Er will im September nach Washington reisen, um mit US-Präsident Joe Biden über einen Friedensplan zu sprechen. Sein Ziel sei es, "den Krieg in Richtung Frieden zu lenken". Darüber will er auch vertrauliche Gespräche mit Kamala Harris und Donald Trump führen.

Selenskyj wird auch an der Generalversammlung der Vereinten Nationen teilnehmen, die anlässlich des UN-Zukunftsgipfels am 24. September 2024 in New York stattfindet.

Rolf Bader, geb. 1950, Diplom-Pädagoge, ehemaliger Offizier der Bundeswehr, ehem. Geschäftsführer der Deutschen Sektion der Internationalen Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte*innen in sozialer Verantwortung Verantwortung e.V. (IPPNW)