Ukraine-Krieg: Weitere Waffenlieferungen aus dem Westen
Die USA versprechen ein neues "Hilfspaket", Kanzler Scholz verkündet Lieferungen "von Monat zu Monat". Wie sieht der politische und strategische Plan dazu aus?
Am heutigen Unabhängigkeitstag der Ukraine wird eine Erklärung der US-Regierung über "neues Sicherheitshilfspaket" an das Land in Höhe von drei Milliarden US-Dollar erwartet. Es geht um Waffenlieferungen.
Wie die Nachrichtenagentur Reuters präzisiert, stellt das Paket Mittel aus einer vom Kongress bewilligten Initiative zur Unterstützung der Sicherheit in der Ukraine (USAI) zur Verfügung, "um der Regierung Biden die Möglichkeit zu geben, Waffen von der Industrie zu beschaffen, anstatt sie aus den vorhandenen US-Waffenbeständen zu entnehmen".
Es könnte Monate dauern, bis die im Rahmen der USAI produzierten Waffen, Munition und Ausstattung von der US-Rüstungsindustrie nach Europa geliefert werden. Menge und Mischung der Waffen könnten sich ändern, so eine ungenannte Quelle, "official", der Nachrichtenagentur.
Dessen Aussagen zur Art der Lieferung geben nur vage Hinweise: Anscheinend seien im Paket der neuen Waffenlieferungen keine neuen Waffentypen inkludiert, "die dem ukrainischen Militär zuvor nicht zur Verfügung gestellt worden waren". Der Schwerpunkt liege "auf Munition und eher mittelfristigen Zielen wie Verteidigungssystemen".
Zuletzt hieß es im Zusammenhang mit einem vorgängigen Sicherheitshilfspaket ("security assistance package") vom 8. August aus dem US-Verteidigungsministerium, dass Munition für Himars, Howitzers, Aufklärungsdrohnen des Typs ScanEagle, TOWs und Javelins sowie gepanzerte Fahrzeuge des Typs MRAP-Vehicle ("Minen widerstehende und Hinterhalt-geschützte Fahrzeuge") und Humvees an die Ukraine geliefert würden.
Als Preisschild der Lieferungen werden 775 Millionen US-Dollar angegeben.
Bislang habe die Regierung Biden der ukrainischen Regierung von Präsident Wolodymyr Selenskyj "seit dem 24. Februar 10,6 Milliarden US-Dollar an Militärhilfe zur Verfügung gestellt", hat Reuters ausgerechnet.
Scholz: "Wir werden weiter Waffen liefern
Auch der deutsche Bundeskanzler Scholz versicherte zum Unabhängigkeitstag der Ukraine: "Wir werden weiter Waffen liefern, von der Panzerhaubitze bis zum Flugabwehrsystem, Monat für Monat."
Eine genaue Auflistung der deutschen Waffenlieferungen mit dem altdeutsch-turnerischen Etikett "Ertüchtigungshilfe" findet sich auf der Seite der Bundesregierung. Angeführt wird die Liste aktuell von 15 Flakpanzer Gepard.
Laut Erfahrungen des Blogs "Augen geradeaus!", das sich auf verteidigungs- und militärpolitische Themen spezialisiert hat, veröffentlicht die Bundesregierung "etwa im Wochenrhythmus eine Liste der bereits gelieferten militärischen Ausrüstung sowie der geplanten Lieferungen". Der letzte Eintrag auf der Regierungsseite stammt vom vergangenen Mittwoch, den 17. August.
Gestern wurde vom deutschen Verteidigungsministerium die Unterzeichnung einer Absichtserklärung zu einem Ringtausch zwischen Deutschland und der Slowakei gemeldet.
15 Kampfpanzer des Typs Leopard 2 A4 aus Beständen der Rüstungsindustrie – inklusive eines Munitions-, Ausbildungs- und Logistikpakets – werden an die slowakischen Streitkräfte geliefert. Die ersten Leopard-Panzer sollen bereits in diesem Jahr übergeben werden. Dafür wird die Slowakei Schützenpanzer sowjetischer Bauart an die Ukraine abgeben, die aufgrund der Erfahrung der ukrainischen Truppen mit dem Gerät unverzüglich im Verteidigungskampf eingesetzt werden können.
Bundesverteidigungsministerium
Auffallend ist hier der Begriff "Verteidigungskampf". Auch die Formulierung des oben genannten anonymen US-Vertreters, den Reuters zitiert, achtet auf das Wort "Verteidigung". Daran, dass man ein Land, das militärisch angegriffen wird und damit einem Krieg ausgesetzt wird, mit Waffen unterstützt, ist nichts auszusetzen. Das ist eine selbstverständliche Hilfe.
Worin liegt das Ziel der Unterstützung?
Allerdings gibt es im Fall der Waffenlieferungen an die Ukraine ein Feld der Unbestimmtheit: Worin liegt das Ziel der Unterstützung, was ist der genaue Plan? Wie bestimmt sich die Verteidigung genau? Gehört dazu auch die Rückeroberung der Krim, was der ukrainische Präsident Selenskyj wiederholt als militärisches Ziel ausgegeben hat?
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sprach am heutigen Unabhängigkeitstag davon, dass sich die Ukraine durchsetzen müsse, "und die Ukraine wird sich durchsetzen", so übersetzt die Tagesschau Stoltenbergs Aussage: "Ukraine must prevail. And Ukraine will prevail."
Auch der polnische Präsident Duda wird bei seinem Besuch am gestrigen Dienstag in Kiew bei Selenskji vom öffentlich-rechtlichen Sender TVP auf Englisch so zitiert "Ukraine will prevail". Im Text wird dann präzisiert, dass damit nicht nur verteidigen gemeint ist, sondern siegen ("Ukraine will not only defend itself but also win.").
Ob der militärische Sieg der Ukraine auch bei der Wortwahl des Nato-Generalsekretärs mitgemeint ist, bleibt so unklar, wie es die genaue Beschreibung der Ziele der militärischen Unterstützung der Ukraine durch die westlichen Staaten und die Nato generell ist.
Angesichts dessen, welchen Preis ein Krieg kostet, an Menschenleben, schwersten Verletzungen, Trauma und wirtschaftlichen Schäden, wäre es elementar wichtig, dass die Öffentlichkeit weiß, woran sie ist. In der Ukraine wie im Westen. Bei jeder Ausweitung der Waffenlieferungen wächst die Gefahr einer Eskalation.
Wie es augenblicklich aussieht, dominiert derzeit die "militärische Lösung" plus die politische Kommunikation dazu ("Herzen und Köpfe gewinnen"; "Unter die Fahne gehen") - von Verhandlungen ist schon lange nicht mehr die Rede. Der Krieg kann noch lange dauern, wie die Lage von Militärexperten derzeit eingeschätzt wird.
Umso wichtiger wird, dass die Öffentlichkeit klarer darüber informiert wird, welches Ziel mit den Waffenlieferungen genau verfolgt wird: Geht es dem Westen und der Ukraine darum, Russland zur Einstellung der kriegerischen Handlungen zu bringen, bei der die Positionen der Kriegsgegner so aussehen, dass die Ukraine nicht zu einem "Erniedrigungsfrieden" gezwungen wird?
Oder will man, wie es auch die deutsche Außenministerin schon formuliert hat, auf jeden Fall eine Schwächung Russlands? Damit die Konzessionen, die bei Verhandlungen zu machen sind, so schmerzlos wie möglich für die Ukraine ausfallen? Im Interesse des Westens wäre aber auch, dass es keinen Gesichtsverlust der russischen Seite gibt, der in dem Land zu politischem Chaos führt oder internationale Spannungen aufheizt.
Oder will man, wie es in manchen Berichten als Wunsch durchscheint: Einen militärischer Sieg über Russland, der so ausfällt, dass die Ukraine die Krim zurückerobert und Gebiete im Osten behält, ohne irgendeine Konzession machen zu müssen?
Auf die Frage, ob die Ukraine den Krieg gewinnen könnte, ist auf der Seite des österreichischen Bundesheers eine interessante Einschätzung von Oberst Markus Reisner zu lesen:
Wenn der Westen nicht in den kommenden Wochen gesteigerte Stückzahlen hochmoderner Waffen (darunter vor allem Artillerie und Mehrfachraketenwerfer, aber auch weitreichende Fliegerabwehr) in die Ukraine liefert, kann die Ukraine diesen Konflikt nicht für sich entscheiden. Es liegt daher in der Hand des Westens, wie dieser Krieg weiterverlaufen wird.
Oberst Markus Reisner
Dementsprechend sind die weiteren Waffenlieferungen die klarste Antwort darauf, wie die Kriegsziele des Westens aussehen.