Ukraine-Krieg: Wie baltische Staaten auf den totalen Sieg über Russland setzen

Seite 2: Führungsrolle der USA

Wie Joshua Shifrinson herausstellt, "haben sich der russische Nationalismus und Imperialismus nicht in einem Vakuum entwickelt". Vielmehr gab die Nato-Erweiterung den russischen Nationalisten einen Grund, sich hinter ihnen zu versammeln, da sie ihre Überzeugung bestärkte, dass die nationalen Interessen Moskaus auf dem Spiel stehen.

Die baltischen Ministerpräsidenten betonten außerdem, dass die Führungsrolle der USA nicht ersetzt werden könne. "Ich glaube nicht, dass es ohne die Führung der USA ein Happy End geben wird", erklärte Landsbergis.

Während die baltischen Länder mitmachen würden, indem sie die Zwei-Prozent-Marke bei Militärausgaben übertreffen, müssten die Vereinigten Staaten das "regelbasierte System" verteidigen, das von den USA nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen wurde.

Russland stelle aktiv eine "direkte Herausforderung für die Macht und Autorität der USA" dar, wie Außenminister Kariņš es ausdrückte. Der Krieg in der Ukraine sei also nicht nur ein regionales, sondern ein globales Problem. Weiterhin würde auch die Lebensweise in den Nato-Staaten, einschließlich der baltischen Staaten, unmittelbar bedroht.

Keine roten Linien für Nato

Trotz der technologischen und militärischen Überlegenheit der Nato gegenüber Russland befürchten die baltischen Außenminister, dass Putin erwarte, dass der Westen politisch unvorbereitet ist. Russlands Wirtschaft ist auf Krieg ausgerichtet, denn fast 40 Prozent seines Haushalts werden für die Verteidigung ausgegeben.

Auch die reguläre russische Armee wird vergrößert, was ein Zeichen dafür sei, dass Russland nicht daran denkt, die Kämpfe zu beenden, und man die Fähigkeit besitze, das Nato-Bündnis herauszufordern. Daher muss die Nato ihre Bemühungen verstärken und sich gegen die russische Bedrohung zusammenschließen.

Schließlich schlug der litauische Außenminister vor, dass sich die Nato-Mitglieder in Bezug auf die russische Rakete, die vor einiger Zeit kurz in den polnischen Luftraum eindrang, zurückhalten sollten. "Ich bin ein Befürworter davon, keine roten Linien für uns zu ziehen. Wenn wir ausdrücklich sagen, dass wir A, B und C nicht tun werden, und eine ganze Liste von Dingen aufstellen, die wir nicht machen wollen, klingt das wie eine Einladung an Putin, es zu versuchen", sagte Landsbergis.

Die Annahme einer aggressiven Strategie ist jedoch nicht der beste Weg für die Nato. Eine Ausweitung der Mitgliedsstaaten wird die Sicherheit der Mitglieder nicht erhöhen.

Ist aggressives Auftreten wirklich hilfreich?

Der Beitritt Finnlands und Schwedens zur Nato beendete die jahrzehntelange Neutralität, in deren Rahmen sich beide Länder zu wohlhabenden Demokratien entwickelten. Außerdem verlängerte sich dadurch die Grenze der Nato zu Russland um über 1.300 Kilometer. Die Aufnahme weiterer Staaten in das Bündnis, einschließlich der Ukraine, wird eher eine Belastung als ein Vorteil sein.

Ferner ist ein aggressives Auftreten der Nato unter Führung der Vereinigten Staaten nicht notwendig, um eine Eindämmungsstrategie gegenüber Russland zu verfolgen. Trotz der Fähigkeit, sich während des gesamten Krieges anzupassen, hat Russland sein maximalistisches Ziel, die Ukraine als Vasallenstaat zu unterwerfen, bei Weitem nicht erreicht.

Die Strategie der USA in Europa ist historisch gesehen gegen hegemoniale Bestrebungen gerichtet. Die gegenwärtigen Realitäten legen nahe, dass sich kein europäischer Staat als regionaler Hegemon etablieren kann. Daher hat Russland wenig bis gar keine Chance, die Nato mit konventionellen Mitteln zu besiegen.

Alternativen

Es gibt eine alternative Möglichkeit. Washington und Kiew sollten einen diplomatischen Weg einschlagen, um die Souveränität der Ukraine zu wahren und gleichzeitig einen Konflikt zwischen der Nato und Russland zu vermeiden.

Für Russland gibt es nach wie vor Gründe, an den Verhandlungstisch zu treten, da Moskau eine "entmilitarisierte Zone" einrichten möchte. Man will zugleich, dass der Westen die russische Kontrolle über die Krim und den Donbass de facto anerkennt und Moskau eine legitime Rolle in der europäischen Sicherheitsordnung spielen kann.

Kiew und seine Verbündeten sollten diesen Weg dringend einschlagen, da der Einfluss der Ukraine mit der Zeit unweigerlich abnehmen wird.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem US-Magazin Responsible Statecraft und findet sich dort im englischen Original. Übersetzung: David Goeßmann.