Ukraine im Visier: Warum der Nato-Gipfel falsche Signale sendet

Seite 2: Der Elefant im Raum

Sowenig eine Nato-Mitgliedschaft und die ständigen Versprechen darauf, die Ukraine sicherer machen wird, im Gegenteil, so sehr ist die Ankündigung, das Land auf unbestimmte Zeit mit immer schwereren und fortgeschritteneren Waffen auszustatten – während ein schneller Sieg für Kiew sich trotz dieser nicht realisiert –, geeignet, die Lage für die Ukrainer:innen, aber auch für Europa insgesamt zu verschärfen.

Da die Ukraine allein mit mehr Waffen eine Wende auf dem Schlachtfeld nicht erzwingen kann, worauf Militärexperten in den USA verweisen, könnte Kiew vielmehr versucht sein, sie zunehmend für Angriffe auf russisches Territorium zu nutzen. Das könnte Russland dazu bringen, Versorgungslinien der Nato von Polen und Rumänien mit Langstreckenraketen als Vergeltung zu attackieren, was bisher noch nicht geschehen ist. Die Nato könnte sich wiederum gezwungen sehen, darauf zu reagieren – um nicht ihren Ruf zu ruinieren.

Ein eingefrorener Konflikt und "ewiger Krieg" könnte Russland zudem langfristig radikalisieren und zu asymmetrischer Kriegführung gegen Europa verleiten, um die Europäer dafür "bezahlen" zu lassen.

Der Nahe Osten mit dem Konfliktherd Israel und Iran zeigt, was an Sicherheit aus der militärischen Aufrüstung und bedingungsloser Unterstützung seit Jahrzehnten resultiert: permanente Verunsicherung einer ganzen Region und ihrer Bevölkerungen sowie die Erosion diplomatischer Lösungen.

Im Fall von Russland hat man es dabei mit einem Gegner zu tun, der eine regionale Großmacht ist und über Atomwaffen verfügt – im Hintergrund die ökonomische Macht China, die zunehmend in die geopolitische Blockkonfrontation einbezogen wird, siehe den Streit um die Inselrepublik Taiwan.

Die Europäer schauen dabei eher zu, ohne einen eigenständigen, von den USA unabhängigen Kurs zu verfolgen, während sie teures und schmutziges LNG als Ersatz für russisches Gas aus den USA importieren und ihnen ein Wirtschaftskrieg mit China droht.

Wie Robert E. Hunter auf Responsible Statecraft argumentiert, sollten die EU-Mitgliedsstaaten beim Nato-Gipfel endlich beginnen, über den "Elefanten im Raum" zu sprechen: die Rolle Russlands für die europäische Sicherheitszone. Das sei letztlich wichtiger, so der ehemalige US-Botschafter bei der Nato, als irgendeine verschlungene Nato-Beitritts-Kompromiss-Formulierung, die ausgehandelt werde, um Selenskyj zu beruhigen.

Der Gipfel in Vilnius wird nichts am Krieg in der Ukraine und der Konfliktlage ändern, sondern den bedrohlichen Zustand förmlich in Beton gießen. Das ist keine gute Nachricht.

Die Signale, die vom Treffen ausgehen, das zeigen schon die Wortmeldungen im Vorfeld, werden den Krieg verlängern, mit allen damit verbundenen potenziellen Eskalationsspiralen.

Doch es gibt auch etwas Positives zu vermelden, das mehr im Hintergrund, im Stillen und nicht auf der großen politischen Bühne abläuft. So berichtete NBC vor einigen Tagen, dass eine Gruppe ehemaliger US-Regierungsbeamter geheime Gespräche mit "prominenten Russen" in den Vereinigten Staaten geführt habe, um "die Grundlagen für mögliche Verhandlungen zur Beendigung des Krieges in der Ukraine" zu schaffen.

Zu der Gruppe gehörte unter anderem der ehemalige Diplomat und scheidende Präsident des Council on Foreign Relations, Richard Haass, sowie ehemalige US-Regierungsbeamte. Die Gruppe soll sich laut Medienangaben im April mehrere Stunden lang mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow in New York getroffen haben.

Das ist alles weit entfernt von Verhandlungen, sicherlich. Aber bevor an Verhandlungen überhaupt gedacht werden kann, müssen die Fühler ausgestreckt sowie Ideen und Konzepte getestet werden.

Daher kann ein solches Treffen Hoffnung verbreiten. Der Nato-Gipfel hingegen bietet lediglich mehr vom schlechten Gleichen.