Ukraine im Zangengriff von Ultranationalisten und Pressezensur
Kiewer Schriftstellerin erhält Drohungen nach Kritik an neuem Sprachengesetz. Fall ist symptomatisch für zunehmende Einschüchterung Andersdenkender in der Ukraine
Wer am Mittwoch in der Ukraine einen der drei oppositionellen Fernsehsender einschaltete, sah nur ein Testbild. Auf Anweisung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenski waren in der Nacht auf Mittwoch die Fernseh-Kanäle 112, NewsOne und ZIK abgeschaltet worden. Die Entscheidung des Präsidenten stützte sich auf eine Erklärung des Ukrainischen Sicherheitsrates, der Finanzsanktionen gegen Taras Kosak, den Besitzer zahlreicher ukrainischer Fernsehkanäle, gefordert hatte. Kosak ist auch Abgeordneter der russlandfreundlichen Partei "Oppositionsplattform – Für das Leben".
Kein Gericht hat die Abschaltung der drei Fernsehkanäle legitimiert. Die Sender, die nicht wie die Mehrheit der TV-Stationen in der Ukraine antirussisch ausgerichtet sind, kann man jetzt nur noch über Youtube sehen.
Präsident Selenski erklärte über den Kurznachrichtendienst Telegram die drei Fernsehkanäle hätten "offene und manipulative Propaganda" betrieben: "Allen Bedrohungen der nationalen Sicherheit der Ukraine wird effektiv und auf Basis des Gesetzes begegnet."
Der Leiter des ukrainischen Geheimdienstes SBU, Iwan Bakanow, nannte die Abschaltung der drei Fernsehkanäle einen "folgerichtigen Schritt der ukrainischen Regierung im Kampf gegen die russische hybride Aggression."
Angriffe auf oppositionelle Fernsehkanäle schon seit 2016
Radikale Maßnahmen gegen oppositionelle Fernsehsender in der Ukraine sind nicht neu. 2019 wurde der Kanal 112 von ukrainischen Nationalisten mit Granaten beschossen (Kiewer Fernsehsender 112 mit Granaten beschossen).
2016 wurde in der Redaktion des Fernsehkanals Inter ein Brand gelegt. Die Sender Inter und NewsOne wurde 2016 und 2017 tagelang von ukrainischen Nationalisten belagert. Die großen deutschen Medien berichteten über diese Vorfälle nicht.
Kiewer Professorin wegen Kritik am Sprachengesetz bedroht
Die Unterdrückungsmaßnahmen gegen Andersdenkende reißen seit dem Maidan 2014 nicht ab. Wer die antisoziale Politik der Regierung kritisiert und Sympathie für Russland äußert, muss sich auf schlimme Drohungen gefasst machen. Die Kiewer Professorin und Schriftstellerin Jewgenija Biltschenko etwa wandte sich unlängst in einem Video an Präsident Selenski, um das neue ukrainische Sprachengesetz zu kritisieren. Biltschenko unterrichtet an der Kiewer Dragomanow-Universität Kulturwissenschaften. Sie spricht sowohl Ukrainisch als auch Russisch.
Selenski hatte in seiner Neujahrsansprache erklärt, alle Ukrainer - aus welcher Region sie auch stammen und welcher politischen Überzeugung sie auch anhängen - seien Bürger der Ukrainer mit gleichen Rechten.
Doch – so fragt Biltschenko in ihrem Video – wie ist es mit den gleichen Rechten für alle Ukrainer vereinbar, wenn man nach dem am 16. Januar 2021 eingeführten Sprachengesetz im Dienstleistungssektor nur noch Ukrainisch sprechen darf, obwohl Russisch in großen Teilen der Ukraine - auch in Kiew - dominiert?
Morddrohungen im Internet
Dass Biltschenko ("Das liberale Kapital spaltet Ukrainer und Russen") die umstrittene Regelung öffentlich kritisierte, erboste die ukrainischen Nationalisten. Im Internet wurde ihre Entlassung aus dem Universitätsdienst gefordert. Manche gingen noch weiter und drohten der Schriftstellerin mit Gewalt.
Ein gewisser Juri Karnauchow kommentierte das Video auf Youtube mit den Worten: "Pack deine Sachen und hau ab in dein geliebtes Russland. Du versteckst dich, aber man wird dich finden, Hündin, und in die Luft sprengen."
Der User Eduard Schiwolup schreibt, "Biltschenko muss man einsperren, als Unterstützerin der Okkupanten".
Und die Userin Swetlana Rogosina kommentierte das Biltschenko-Video mit den Worten: "Irgendetwas sagt mir, dass sie den Weg des "Schriftstellers" Oles Busyna gehen wird. Das ist keine Drohung, sondern nur ein Gedanke."
Der russlandfreundliche Schriftsteller Oles Busyna war am 16. April 2015 in Kiew vor seiner Wohnung von ukrainischen Nationalisten erschossen worden. Die beiden mutmaßlichen Täter kamen in Haft, beziehungsweise Hausarrest, wurden dann aber ohne Verurteilung freigelassen.
Einer der an dem Mord an Busyna Beschuldigten, der Nationalist Andrii Medwedko, postete nach der Abschaltung der drei Fernsehkanäle seinen Dank an Präsident Selenski. In dem Posting zitiert Medwedko auf Deutsch ein leicht abgewandeltes Lied der deutschen SS. "Wir sind des Zelenski schwarzer Haufen, heia hoho. Und wollen mimt Tyrannen raufen, heia hoho. Spieß voran, drauf und dran, Setzt auf's Medvedchuk den roten Hahn!" Medwedschuk ist Leiter der russlandfreundlichen ukrainischen Partei "Oppositionsplattform – Für das Leben".
Biltschenko lässt sich jedoch nicht einschüchtern. Am Montag dieser Woche wandte sie sich, erneut per Video, auf Englisch an die Abgeordneten des Europäischen Parlaments und bat um Unterstützung.
Prorussische Äußerung sorgt für Skandal
In Deutschland erfährt man nur noch sehr wenig über die Ukraine. Dabei wäre eine kritische Begleitung der Entwicklungen in der Post-Maidan-Ukraine notwendig. Wenn führende deutsche Medien darüber berichten würden, wie Andersdenkende und kritische Journalisten in der Ukraine eingeschüchtert werden, hätten es die Ultranationalisten dort nicht so leicht.
Ein paar Fälle aus der letzten Zeit zeigen, wie sehr sich die nationalistischen und rechtsradikalen Tendenzen in der Ukraine verfestigt haben.
Große Aufmerksamkeit erregte immerhin der Fall der TikTok-Bloggerin Taisija Onazkaja. Die junge Frau veröffentlichte Ende Januar ein Video , das sie auf dem Maidan aufnahm. Darin erklärte Taisija, dass sie auch gerne einmal als Touristin nach Russland fahren würde.
Das Video provozierte einen Skandal. Es wurde von zweieinhalb Millionen Menschen gesehen. Taisija Aussage über Russland führte zu wütenden Attacken ukrainischer Nationalisten im Internet.
Der Armeeoffizier Anatoli Stefan beschimpfte die Bloggerin öffentlich als "Verräterin", die das Andenken an die "Göttliche Hundertschaft" in den Dreck ziehe. Mit "Göttlicher Hundertschaft" sind die 100 Menschen gemeint, die im Februar 2014 angeblich von Angehörigen der ehemaligen Polizei-Spezialeinheit Berkut – andere sagen von georgischen Scharfschützen – auf dem Maidan erschossen wurden.
Die von einem Berater des ukrainischen Innenministers initiierte Website "Friedensstifter"/Mirotworez nahm Taisija in ihre Liste "der Feinde der Ukraine" auf (Gerhard Schröder wird als Feind der Ukraine gelistet). Bei "Friedensstifter" sind neben dem ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder tausende Journalisten und Politiker gelistet, die als "Feinde der Ukraine" gelten.
Die ukrainische Firma "Allo", die für Taisija warb, beendete aus Angst vor rechten Angriffen die Zusammenarbeit mit der Bloggerin.
Eine weitere junge Frau, die im Mai letzten Jahres in das Visier der Ultranationalisten geriet, war eine 14-jährige aus der zentralukrainischen Stadt Saparoschje. Das Mädchen hatte mit Freunden aus Spaß eine ukrainische Fahne zerrissen. Daraufhin wurde sie von ukrainischen Ultranationalisten gezwungen, öffentlich Buße zu leisten und sich grüne Farbe über das Gesicht zu schütten.
Ukrainischer Journalist Kotsaba mit Feuerlöscher angegriffen
Jeder, der sich in der Ukraine positiv zu Russland äußert und gegen den Krieg der ukrainischen Armee in den östlichen Landesteilen Donezk und Lugansk ist, wie der Journalist Ruslan Kotsaba, riskiert, von Ultranationalisten angegriffen oder öffentlich als Verräter beschimpft zu werden.
Kotsaba wurde schon mehrmals Ziel entsprechender Attacken, zuletzt am 22. Januar vor einem Gericht in der westukrainischen Stadt Kolomya (Video ab Minute 00:58). Vor dem Gericht wurden Kotsaba und seine Anwältin Tatjana Montian von Rechtsradikalen mit einem Feuerlöscher angegriffen. Die Polizei nahm keinen der Angreifer fest.
Gegen Kotsaba läuft zurzeit ein Strafverfahren wegen Landesverrats (Erneutes Gerichtsverfahren gegen ukrainischen Kriegsdienstverweigerer). Es geht um ein Video vom Januar 2015, in dem er zur Verweigerung des Kriegsdienstes in der Ost-Ukraine aufgerufen hatte (Ukraine: Ein Bier nach dem Freispruch für Kriegsdienstverweigerer).
Ehrung von Juden-Mördern durch staatliches Geschichtsinstitut
Bedenklich ist auch die Entwicklung des neuen ukrainischen Geschichtsbildes. Offiziell verurteilt die Ukraine zwei totalitäre Systeme, die Sowjetunion und Nazi-Deutschland. Das Zeigen von Symbolen dieser Staaten ist verboten. Faktisch werden in der Ukraine aber weiter ukrainische Kollaborateure von Nazi-Deutschland als Helden gefeiert. Erst vor kurzem nahm das Staatliche Kiewer Institut für Nationales Gedenken den Kriegsverbrecher Iwan Jurew in ihren virtuellen Nachruf der "ukrainischen Emigration" auf.
Wie der Leiter des Jüdischen Komitees der Ukraine, Eduard Dolinski, berichtete, war Jurew stellvertretender Leiter des nationalsozialistischen Sonderkommandos 10A. Diese Einheit war zuständig für die Ermordung von 100.000 Juden in Mariopol, Taganrog, Rostow am Don und Krasnodar. Jurew flüchtete nach dem Krieg nach Kanada, wo er 1970 verstarb.
In dem "virtuellen Nachruf" des staatlichen Institut findet man zahlreiche weitere ukrainische Nazi-Kollaborateure, vor allem Veteranen der 14. Waffen-Grenadier-Division der SS, der sogenannten Galizische Nr. 1.
In dem "virtuellen Nachruf" findet man auch:
- Stepan Lenkawski, Ideologe des von der "Organisation ukrainischer Nationalisten" unterstützten Holocausts;
- Taras Banach, Kommandant der ukrainischen "Hilfspolizei", Mörder von Tausenden von Juden;
- Ugrin-Besgrischnyj, Obersturmführer der SS und Juden-Massenmörder;
- Iwan Omeljanowitsch-Pawlenko, Kommandeur des 109. Bataillons der "Schutzmannschaft" sowie
- die führenden antisemitischen Ideologen der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN), Stepan Bandera und Andrij Melnik.
Werden diese Entwicklungen in deutschen und westlichen Medien weiterhin übergangen oder ignoriert, bereitet das dem Geschichtsrevisionismus unmittelbar den Weg. Die Konsequenzen deuten sich in dem zunehmend repressiven Klima in der Ukraine an.
Hintergrundinformationen zur Unterdrückung von kritischen Journalisten und der Jagd auf Andersdenkende in der Ukraine bietet auch eine Rede von Ulrich Heyden im Deutschen Bundestag am 11. Juni 2018 (Video). Abschrift unter: Deutsche Medien zur Ukraine: Angst vor der Wahrheit
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