Ukraine in Nato? Wie Waffen-Lobbyisten dafür auf Springers Politico werben
Das zum Springer-Konzern gehörende US-Magazin Politico veröffentlichte ein Schreiben von Experten. Sie fordern den Nato-Beitritt der Ukraine und seine Aufrüstung. Was dabei verschwiegen wird.
Der Nato-Gipfel, der gestern startete und heute endet, bietet der Ukraine die Gelegenheit, sich für eine Mitgliedschaft in der Allianz einzusetzen und die militärische Hilfe, die sie von den Bündnismitgliedern erhalten hat, auszubauen.
Im Vorfeld veröffentlichte Politico einen Brief "von 46 außenpolitischen Experten", in dem die Mitgliedschaft der Ukraine in der Nato und die Ausweitung der westlichen Waffenlieferungen an Kiew gefordert werden.
Was Politico verschweigt: Fast die Hälfte der Unterzeichner bekleidet Positionen in Organisationen, die erhebliche finanzielle Unterstützung von Waffenfirmen, Beratungsfirmen sowie Lobbyunternehmen, die Kunden der Waffenindustrie bedienen, oder von Waffenfirmen selbst erhalten.
Die Unterzeichner des Schreibens, von denen viele ein finanzielles Interesse an einem ausufernden Pentagon-Haushalt und der Zustimmung des Kongresses zur Ausfuhr hoch entwickelter Waffen haben, führen wiederholt die Notwendigkeit größerer Waffentransfers in die Ukraine als einen zentralen Punkt ihrer Rechtfertigung für die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine an.
Die Staats- und Regierungschefs der Nato sollten ihre Bereitschaft unterstreichen, der Ukraine Waffen – einschließlich Langstreckenraketen wie ATACMS, westliche Kampfflugzeuge und Panzer – in ausreichender Menge zu liefern, um auf dem Schlachtfeld bestehen zu können,
… heißt es in dem Schreiben. "Dies wird das eindeutige Engagement der Verbündeten für einen ukrainischen Sieg demonstrieren und eine klare Botschaft an Moskau senden, dass sich die militärische Lage in der Ukraine nur verschlechtern wird, je länger der Konflikt andauert."
Am Ende des Schreibens kehren die Unterzeichner noch einmal zu den Waffen zurück: "Die Verbündeten sollten auch das aktualisierte umfassende Unterstützungspaket genehmigen, um der Ukraine die vollständige Interoperabilität mit den Nato-Streitkräften und einen umfassenden Übergang zu Nato-Standards zu erleichtern."
Der Schwerpunkt sollte auf der Umstellung auf westliche Waffensysteme, der Schaffung eines modernen, Nato-kompatiblen Luft- und Raketenabwehrsystems, der Einrichtung eines medizinischen Rehabilitationsprogramms für verwundete Soldaten sowie eines Systems zur Wiedereingliederung von Soldaten in das zivile Leben und einer umfassenden Minenräumung liegen,
… so die Unterzeichner abschließend.
Tatsächlich ist die Unterstützung für eine Aufstockung der westlichen Militärhilfe für die Ukraine keine Ansicht, die ausschließlich von denjenigen vertreten wird, die direkte oder indirekte Verbindungen zur Waffenindustrie haben. Aber die Unterzeichner des Schreibens sind auffallend stark in den Finanzkreis von Institutionen und Unternehmen eingebettet, die direkte finanzielle Verbindungen zu einigen der größten Waffenfirmen der Welt unterhalten.
Dan Grazier, leitender Mitarbeiter für Verteidigungspolitik beim Project on Government Oversight, sagte gegenüber Responsible Statecraft:
Es ist ein ausgetretener Pfad für ehemalige politische Entscheidungsträger, die ein finanzielles Interesse am Ergebnis bestimmter politischer Entscheidungen haben, relevante Informationen über sich selbst nicht offenzulegen, insbesondere ihr eigenes finanzielles Interesse am Ergebnis.
"Es ist traurig, dass Washington auf diese Weise funktioniert, aber so ist es nun einmal", fügte Grazier hinzu. "Offen gesagt werden die Leute manchmal regelrecht böse, wenn man sie nach ihrem finanziellen Interesse in diesen Angelegenheiten fragt."
Der erste Unterzeichner, Stephen E. Biegun, der von Politico lediglich als "ehemaliger stellvertretender US-Außenminister" bezeichnet wird, ist Senior Vice President of Global Public Policy bei Boeing.
In dieser Funktion ist er für die Beratung und Umsetzung der globalen öffentlichen Politik von Boeing verantwortlich, um die Prioritäten des Unternehmens zu unterstützen und die Beziehungen zu den wichtigsten Interessengruppen in den USA und der ganzen Welt zu optimieren. Er ist außerdem Mitglied des Executive Council des Unternehmens,
… heißt es auf der Website von Boeing.
Die Verbindungen zur Waffenindustrie
Der pensionierte General a.D. Wesley Clark, der als leitender Vorstands- und Unternehmensberater bei Vaya Space tätig ist, hat den Brief ebenfalls unterzeichnet, wurde aber nicht durch seine Zugehörigkeit zu Vaya Space identifiziert.
Das Unternehmen erklärt, es habe Clark an Bord geholt, um "Investitionen in und die Ausweitung der neuen Technologien von Vaya Space auf die hochattraktive Weltraum- (Trägerraketen) und Verteidigungslandschaft (strategische und taktische Raketen) zu unterstützen".
Sieben Unterzeichner, darunter Clark, der sein eigenes, gleichnamiges Beratungsunternehmen betreibt, arbeiten in Unternehmen, die Kunden aus der Waffenindustrie beraten oder für sie Lobbyarbeit leisten.
Neun Unterzeichner bekleiden Positionen beim Atlantic Council, einer Denkfabrik, die die großen fünf Waffenfirmen – Lockheed Martin, Boeing, Raytheon, Northrop Grumman und General Dynamics – zu ihren Geldgebern zählt, darunter die ehemalige Diplomatin Paula Dobriansky, die als stellvertretende Vorsitzende des prominenten Scowcroft-Zentrums für Strategie und Sicherheit des Councils fungiert, in dem Schreiben aber lediglich als "ehemalige Unterstaatssekretärin für globale Angelegenheiten" bezeichnet wird.
Der Rat hat kürzlich ein Papier mit einer Reihe von politischen Empfehlungen veröffentlicht, die den Auftragnehmern des Pentagons zugutekommen würden. Die Kommission des Rates, die das Papier erstellt hat, wird von Unternehmen gesponsert, die finanzielle Interessen an Pentagon- und Regierungsverträgen haben, was einen potenziellen Interessenkonflikt darstellt.
"Botschafterin Paula Dobriansky ist ein angesehenes Vorstandsmitglied und Beraterin des Atlantic Council. Sie erhält kein Einkommen vom Rat", erklärte Richard Davidson, Direktor für strategische Kommunikation beim Rat, gegenüber Responsible Statecraft.
Unsere Experten vertreten stets ihre eigene Meinung, da der Rat keine Stellung zu bestimmten Themen bezieht, und alle unsere Geldgeber stimmen der strikten intellektuellen Unabhängigkeit des Rates zu,
… so Davidson weiter.
Fünf Unterzeichner arbeiten bei anderen Denkfabriken, die in erheblichem Umfang von Waffenfirmen finanziert werden, darunter das Hudson Institute, das Center for a New American Security, das George W. Bush Institute, das McCain Institute und das Center for Strategic and Budgetary Assessments, wo Eric Edelman als Berater tätig ist. Er wurde in dem Schreiben als "ehemaliger Unterstaatssekretär für Verteidigungspolitik 2005-2009" aufgeführt.
Der Brief fügt sich auch nahtlos in die vom neuen Eigentümer von Politico, Axel Springer, festgelegten Grundwerte ein, zu denen das Eintreten für ein "vereintes Europa" und das Werben für das "transatlantische Bündnis zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und Europa" gehören.
"Es handelt sich um eine öffentliche Erklärung von 46 bekannten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und Außenpolitikexperten, die ihren Standpunkt zur Nato-Mitgliedschaft der Ukraine darlegen", erklärte ein Sprecher von Politico gegenüber Responsible Statecraft als Antwort auf Fragen zu einem möglichen Interessenkonflikt.
Die Unterzeichner sind mit Namen und Titel aufgeführt, so dass sich die Leser ihre eigenen Schlüsse auf der Grundlage des Spektrums der beruflichen Erfahrungen, die jeder Unterzeichner in die Diskussion einbringt, bilden können.
Insgesamt sind 21 der 46 Unterzeichner mit Institutionen verbunden, die finanzielle Verbindungen zur Waffenindustrie haben, einer Industrie, die vermutlich von den politischen Empfehlungen profitiert, die in einem Brief dargelegt wurden, der sich insbesondere auf die Lieferung von mehr westlichen Waffen an die Ukraine konzentrierte, eine Tatsache, die den Lesern nicht mitgeteilt wurde.
Der Artikel erscheint in Kooperation mit Responsible Statecraft. Das englische Original finden Sie hier. Übersetzung: David Goeßmann.