Ultima Ultima ratio
Krieg zwischen Verdrängung und Unvermeidbarkeit: Gibt es Grenzen der Friedfertigkeit?
Krieg als Politikersatz hat nicht erst nach den Erfahrungen des ersten Weltkriegs den schlechtesten Ruf, der selbst Adolf Hitler zurückschießen ließ, als er Angriff meinte. Erasmus von Rotterdam (1465-1536) hielt bereits in seinem Essay "Süß scheint der Krieg den Unerfahrenen" jeden Krieg, auch den Verteidigungskrieg, für illegitim. Frieden ist ein verbindlicheres Wort als Krieg - und wer sich darauf beruft, muss um seine moralische Akzeptanz nicht besorgt sein, auch wenn er sich die Lösung für reale Bedrohungsszenarien darüber großzügig versagt.
War isn't politics, my dear. It is indeed the only human activity that is rottener than politics.
Rex Stout
Trotz gewaltiger Propagandamaßnahmen ist es der Bush-Regierung dagegen nicht gelungen, ihr hässliches Image als Kriegstreiber zu verhindern und eine Mehrheit der Öffentlichkeit wie der Staaten von der Notwendigkeit ihres Krieges als Mittel der Politik zu überzeugen. Wie der US-Senator Robert Byrd überzeugend ausgeführt hat, wird diese eminent wichtige Frage in den USA gerade nicht diskutiert, sondern der kommende Schrecken hinter einer Wand des Schweigens versteckt. Bush erscheint nicht nur in den deutschen Medien abwechselnd als schießwütiger Cowboy, Rambo, römischer Imperator, brutaler Goliath oder außenpolitischer Simpel, der komplexe Fragen internationaler Interessen militärisch auf Schrumpfstufe reduziert. Wer will schon vor dem Hintergrund alteuropäischen Erfahrungswissens Kreuzzüge führen? Wer glaubt an die politische Ontologie von Schurkenstaaten und allzeit integere Staaten wie den USA? Oder gar an das Böse an sich als ewiger Widersacher des Guten?
Gibt es Grenzen der Friedfertigkeit?
Entkleidet man indes den medial umkämpften Irak-Konflikt seiner propagandistischen Ummäntelungen, der schön geredeten Passagen einer humanitären Kriegschirurgie, bleiben die unbeantworteten Fragen: ob fremde Gewaltherrschaft grundsätzlich friedlich hinzunehmen ist, ab wann humanitäre Ermächtigungsgrundlagen - mit und ohne Beschlüsse des UNO-Sicherheitsrates - völkerrechtlich reklamiert werden können, ob präventive Kriege im Blick auf Massenvernichtungswaffen, die wirklich nachgewiesen werden können, legitim sind?
So werden sich auch die Friedensbewegten und menschlichen Schutzschilde im Irak fragen lassen müssen, ob es Grenzen der Friedfertigkeit gibt. "Nie mehr Krieg" ist fantasiepolitisch sehr gut, aber wann ist Krieg realpolitisch die bessere Lösung? Die Achtung fremder Souveränität kann in einer Welt, die globale Probleme und Waffen transnationaler Reichweite zu verwalten hat, keine unüberwindbare Grenze markieren. Welchen Respekt verdienen Unrechtsregime, die von der leidenden Bevölkerung nicht getragen werden? Gerade wer für die Kraft der Vereinten Nationen optiert, kann nicht vor der Pseudosouveränität staatlicher Verbrecher Halt machen. Wer hätte noch nie die Hilflosigkeit von Menschenrechtsorganisationen beklagt, die mit ihren friedlichen Petitionen über lange Jahre vergeblich Menschenschinder zur Umkehr bewegen wollen? Klebte dem Bush-Blair-Projekt nicht seit Anbeginn das hässliche Emblem "Blut für Öl" auf der Stirn, hätte auch eine mehrheitliche Öffentlichkeit entstehen können, die die offiziellen Kriegsziele akzeptiert hätte.
Insofern wirft die mehr als unglücklich formulierte Bush-Doktrin amerikanischer Suprematie und ewiger, friedlicher Weltherrschaft durch militärische Überlegenheit Fragen auf, die sich längst nicht im Irak-Konflikt oder in den Kriegen, die folgen mögen, erschöpfen. Die US-Regierung hat den Terrorismus als das vordergründig flexible, in der Öffentlichkeit inzwischen längst entwertete Begründungsschema einer interventionistischen Politik überdehnt, um politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen in Ländern gewaltsam zu forcieren, damit sie für den Westen anschlussfähig werden. Doch auch wenn Bushs texanischer Internationalismus einen provokanten Unilateralismus predigt, ändert das nichts daran, dass Figuren wie Saddam Hussein die menschliche Erblast schlechthin sind.
Wollen wir in diesem Zwiespalt verschiedener Grade politischer Unvernunft dauerhaft mit Drohkulissen gegenüber schwelenden Konflikten leben, die nicht nur Zivilbevölkerungen terrorisieren, sondern auch genügend Pulverfässer für globales Unheil bereit stellen könnten? Auf die vielfach gepredigte Ökumene friedlicher Begegnungen, auf den spätaufgeklärten Lernprozess der Toleranz oder die Diplomatie ohne Drohgestus ist gegenüber Psychopathen der Macht wie Saddam Hussein und Kim Jong Il wenig Verlass, so unverdrossen Gutmeinende diese Konfliktlösungen auch als allgemeinverbindlich erklären. Solche Vorschläge sind regelmäßig nicht mehr als eine petitio principii, d.h. sie setzen die Gesprächsbereitschaft bereits voraus, die für den Erfolg der friedlichen Konfliktlösung unabdingbar wäre. Zumindest reden wir im Blick auf solche friedlichen Konvertierungen aggressiver Staaten, Gruppen und Potentaten wohl eher von Jahrhunderten als Jahrzehnten, wenn wir blauäugig für den weltweiten Nachvollzug der Aufklärung und die Demokratisierung nichtwestlicher Gesellschaften optieren. Zwar sind wir längst nicht dem "Heiligen Gral" der Militärs nahe gekommen, den George Stein in der Fähigkeit sieht, den Krieg bereits gewonnen zu haben, ehe er überhaupt begonnen habe. Der Krieg auch als spätmoderner Blitzkrieg bleibt schmerzlich, blutig und immer auch ungerecht in seiner konkreten Praxis, die Zivilbevölkerung zum Opfer werden zu lassen.
Lösungen jenseits des Kriegs
Der Irak-Konflikt drängt inzwischen die beklemmende Wahrheit auf, dass der Krieg als letztes Mittel der Konfliktlösung längst nicht ausgedient hat. Zwar sind die amerikanischen und britischen Behauptungen einer unmittelbaren Bedrohung durch den Irak unwahr. Wenn Tony Blair seinen ethischen Interventionismus mit "Fragen von Leben und Tod" rechtfertigt, wird der Widerspruch der Kriegszwecke nur allzu deutlich. Denn offensichtlich ist sich die Liga der zum Krieg Entschlossenen nicht einmal klar darüber, ob es sich nun um einen humanitären Akt der Befreiung oder um Voraus-Selbstverteidigung handelt.
Aber Saddam Husseins Friedens- und Kompromissbereitschaft, ob nun im eigenen Lande gegenüber ethnischen Minderheiten oder gegenüber Anrainern, bleibt auch eine fromme Fiktion. Wäre Saddam Hussein mehr als ein kurzschlüssiger Gewaltherrscher, würde er jetzt auf die Forderungen der Weltgemeinschaft reagieren - zudem ihm nun eine letzte Chance seitens des UNO-Sicherheitsrats eingeräumt wurde, ohne augenscheinlich genutzt zu werden. Selbst Hans Blix hat mit seinem Ultimatum gegenüber dem Irak, nun unmittelbar die Raketen zu vernichten, deutlich gemacht, dass irgendwann auch dem Frömmsten der Geduldsfaden reißt. Könnten also die bellizistischen Widersacher des Potentaten zumindest im Prinzip Recht haben, dass nur Drohungen, denen mit Sicherheit auch Taten als "ultima ratio" folgen, in solchen Fällen erfolgreich sind? Und schließlich könnte Bush doch Recht behalten, dass mit solchen Diktatoren nicht zu reden ist.
Also besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende, ohne mit dieser Losung Bushs überschießender Propaganda und seinen weniger edlen Kollateralzielen dieses Krieges aufzusitzen? Welche Lösungen bieten sich jenseits des Krieges an: Einsatz von Blauhelmen, Waffen- und Wirtschaftsembargo, Einfrieren von Auslandsguthaben der Kriegsherren oder langjährige wirtschaftliche Hilfe, wenn man die Ursachen solcher Konflikte auf wirtschaftliche Not zurückführt.
Dieses Arsenal macht mindestens auf den zweiten Blick seine Selbstwidersprüchlichkeit deutlich. Hungert man ein Land aus, trifft es die Zivilbevölkerung. Das Wirtschaftsembargo gegenüber dem Irak war eine untaugliche Maßnahme mit unerträglichen humanitären Kosten für die hilflose Zivilbevölkerung - sicher schrecklicher in den Auswirkungen, als es etwa die Enthauptung des Herrschers zum Ende des ersten Golfkriegs hin gewesen wäre. Auch die Gutmenschen-Doktrin einer wirtschaftlichen Verbesserung leidender Gesellschaften neigt zur Ignoranz, weil regelmäßig nicht die wirtschaftliche Not Aggressionen zeugt, sondern die Gier von staatlichen wie nichtstaatlichen Kriegsparteien nach Macht und ökonomischen Vorteilen (Zur Ökonomie des Kriegs). Und wie überhaupt kommt man der irrationalen, nie besiegten Lust an Blutritualen (Barbara Ehrenreich) bei? Blauhelmeinsätze sind oft genug schön geredete Kampfpausen gewesen (Vgl. "Give War a Chance" von Edward N. Luttwak).
Ohnehin ist es logistisch kaum möglich, dass die eine Hälfte der Welt die andere dauerhaft inspiziert, bis irgendwann oder auch nicht die allfällige Lust auf Krieg kollabiert und das Paradies auf Erden ausbricht. Auch eine stärkere Einigkeit der UNO, als sie bislang trotz einiger Hoffnungsschimmer zu beobachten ist, verdeckt nicht, dass die zahlreichen nationalen Interessen einer dauerhaften Befriedung von Ländern immer wieder entgegenstanden. Jeder wünscht sich eine über kriegsbereiten Streitparteien machtvoll inthronisierte UNO als schlagkräftiges Weltgewissen, aber das Los der Geschichte besteht darin, mit der jeweiligen schlechten Gegenwart und ihren höchst fehlsamen Protagonisten auf beiden Seiten der Front leben zu müssen.
Der blinde Fleck der Friedensbewegung
Ist das Motto "Make war to make peace" trotz allem humanitären Widerwillen in extremen Konstellationen richtig, während halbherzige Maßnahmen oder vorübergehende Interventionen, die einen vollständigen Sieg verhindern bzw. nur vorüber gehende Erschöpfung fördern, endemische Konflikte produzieren? Carl Schmitt hielt die Verkündung von Kriegen, um nie wieder Krieg führen zu müssen, für manifesten Betrug. Wer Kriege im Namen der Menschheit führe, verdecke nur, dass er seinen Feind, der nicht weniger Mensch sei, bekämpfe. Doch dieser Begriff des Politischen gibt so wenig wie der Pazifismus eine Antwort darauf, ob Kriege nicht humanitäre Wirkungen haben können, die ihre Opfer aufwiegen.
Der blinde Fleck der Friedensbewegung bleibt, dass es nach menschlichem Ermessen zumindest einige Kriege gab, die die Verhältnisse besser zurückgelassen haben, als sie vorgefunden wurden. Sollte gerade der humanitäre Widerwille, blutige Auseinandersetzungen zu riskieren, der beste Garant sein, Konflikte endlos weiter zu führen? Immerhin hat der zweite Weltkrieg in seinen ganzen Schrecknissen, die auch die Alliierten nicht von schweren Verstößen gegen die Menschlichkeit freizeichnen, gezeigt, dass die "ultima ratio" sich irgendwann in ihr Recht setzt. Wer wie Außenminister Joschka Fischer mit der "ultima ultima ratio" das vorgeblich "klare Nein" Deutschlands zum Irak-Krieg begründet, ersetzt ein präzise definiertes Eskalationsschema durch eine dilatorische Formel, hinter der sich die Unsicherheit verbirgt, wann wirklich Schluss ist.
Ist nicht der Pazifismus, der redet, aber nicht handelt, die selbstgerechteste Art des Urlaubs von der Geschichte? Der mit "heiliger Krieg" machtpolitisch durchaus korrekt übersetzte "Dschihad", den auch Saddam Hussein für sich reklamiert, demonstriert etwa die Kompromisslosigkeit der Gegenseite, der mit Diplomatie, Appeasement oder Containment nicht beizukommen ist. Alteuropa hat viele gute Gründe für seine Kriegsunlust, aber diese Gründe motivieren Fanatiker und Kriegstriebtäter wie Saddam Hussein offensichtlich nicht zur Umkehr.
Wir stoßen hier auf das Dilemma unserer eigenen Sprachlosigkeit in der Forderung nach Frieden, die gerade denen in die Hände spielen könnte, die mit zweifelhaften Motiven den humanen Krieg auf ihrem Banner führen. Es könnte an der Zeit sein, Kriegs- und Nachkriegskonzepte zu entwickeln, die sich der Inhumanität der eingesetzten Mittel bewusst sind, aber im Blick auf andere Katastrophen sich zu einer alten Menschheitsgeißel bekennen.