Und die Erde ist doch eine Scheibe
Verfechter der "Intelligent Design"-Bewegung treten in den USA gegen die Prinzipien der Wissenschaft an. Politisch - "wissenschaftlich" - sozio-kulturell. Und mit erschreckendem Erfolg. Teil 1
Der Mensch sei zu komplex, um durch Zufall entstanden zu sein, so die These US-amerikanischer Kreationisten der Strömung "Intelligent Design (ID)". Wie bereits in früheren "evolution wars" machen sie seit einigen Jahren wieder verstärkt mobil gegen die Darwinsche Evolutionstheorie im Allgemeinen und deren Verbreitung an amerikanischen Schulen, Museen und öffentlichen Einrichtungen im Besonderen.
Oxford-Debatte und "Affenprozess"
"Beliebt Ihr großmütterlicherseits oder großväterlicherseits vom Affen abzustammen?" stichelte bereits Bischof Wilberforce, der anno 1860 in der sog. Oxford-Debatte erstmals gegen die Sache der Darwinschen Evolutionstheorie zu Felde zog.
Damit begann eine Reihe von Auseinandersetzungen, leicht martialisch Evolution Wars genannt, in welchen die Evolutionstheorie gegen den Glauben, der Schöpfer habe die Welt erschaffen, anzutreten hatte. Wer titelt "Wissenschaft gegen Religion" träfe den Kern der Sache jedoch nicht vollständig. Vielmehr handelt es sich um ein umfassendes Phänomen, das als politisches Gefecht mit (pseudo-) wissenschaftlichen Mitteln geführt wird und das soziale und kulturelle Selbstverständnis eines großen Teils der amerikanischen Gesellschaft tangiert.
Wie der New Scientist beschreibt, erhielt dieses Selbstverständnis 1925 im landesweit beachteten Scopes-Prozess (auch bekannt als "Monkey-Trial") einen empfindlichen Knacks. Thomas Scopes, seinerzeit als Physiklehrer an der Mittelschule in Dayton, Tennessee, in Lohn und Brot, dozierte während einer Vertretungsstunde in der Biologieklasse über den "Ursprung der Arten" nach Charles Darwin. Damals in Tennessee noch ein illegales Unterfangen wurde er auch prompt vor Gericht gestellt und zu 100 $ Strafzahlung verdonnert.
Die Evolutionsgegner, die ländliche und gläubige Gesellschaft von Tennessee, wurden im Zuge der Verhandlung landesweit von der urbanen Presse mit Häme und Spott überzogen. Scopes hatte zwar den Prozess verloren (das Urteil wurde später rückgängig gemacht), es schien aber dennoch, als hätte die Sache Darwins und der Wissenschaft letztendlich den Sieg davon getragen. Danach herrschte einige Jahre trügerische Ruhe. Der Affenprozess hatte jedoch eine starke Saite in der amerikanischen Bevölkerung zum Klingen gebracht.
Talking about the (R)Evolution
Natürliche Selektion und Mutation liefern eine Erklärung für die Entwicklung allen Lebens, einschließlich des menschlichen, welches ganz und gar in die Wirkkraft der Naturgesetze eingebettet ist. Gott wird als Erklärungsparameter innerhalb der Naturwissenschaften nicht benötigt. Im Gegenteil, außerweltliche kausale Muster würden den naturwissenschaftlichen Ansatz konterkarieren. Im Lichte der Theorie, der Mensch sei durch bloßen evolutionären Zufall entstanden und halte keinen speziellen Status innerhalb evolutionärer Entwicklungslinien inne, sehen viele Gläubige die Aspekte von Ethik und Moral schwinden.
So scheint ihnen die Evolution mit dem Diktum "Survival of the Fittest", Egoismus und Rücksichtslosigkeit innerhalb der Gesellschaft zu befördern. Manch ein Historiker vertritt in diesem Zusammenhang die Theorie, dass der Affenprozess der Darwinschen Lehre mehr geschadet als genutzt habe, die im Zuge des Scopes-Prozesses erst als Feindbild ausgemacht wurde und vorher nur geringe Aufmerksamkeit genoss. Politische Populisten nutzten die Gunst der Stunde sich zum Anwalt der kleinen Leute aufzuschwingen. Eben solcher Leute, die von einer fremden und arroganten Welt der Wissenschaft, die im Gegensatz zu ihrer Welt und deren Werten zu stehen scheint, vermeintlich zurückgewiesen wurden. So entwickelte sich eine Art gesellschaftliche Parallelwelt, die strikt gebunden an religiöse Gesetze lebte und bis heute lebt. Daher ist für viele Amerikaner die Anerkennung der Evolutionstheorie gleichbedeutend mit der Abkehr von Gott.
Dabei gab es in den späten 90iger Jahren einige Ansätze Religion und Wissenschaft zu versöhnen. So fand beispielsweise 1998 an der University of California, Berkley erstmals eine Konferenz zum Thema Wissenschaft und die spirituelle Suche statt.
Des Pudels Kern
Dererlei Ansätze scheinen heute größtenteils vergessen. Vielmehr versucht eine neue Riege Gottgläubiger mit nicht unerheblicher finanzieller und politischer Unterstützung fundamental-christlicher Kreise, die Wissenschaft auf dem eigenen Felde und mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Unter dem Dach des konservativen Think Tanks Discovery Institute in Seattle und unter Federführung der publizistisch aktiven Denker Michael Behe (Biochemiker) und William Dembski (Mathematiker) wurde der Kreaionismus in weiten Teilen der Bevölkerung wieder erweckt.
"Intelligent Design" ist ein Kreaionismus mit modernem d. h. wissenschaftlichem Antlitz, geschaffen als Reaktion auf ein 1987 vom amerikanischen Supreme Court gefälltes Gerichtsurteil, nach dessen Wortlaut Kreationismus nicht im Unterricht gelehrt werden dürfe, da es sich eindeutig um religiöses und nicht wissenschaftliches Gedankengut handele. Daher wurde eine neue Theorie ersonnen, fortan die Begriffe "Gott" und "Schöpfer" sorgsam vermieden und stattdessen über eine "höheren Instanz" orakelt. Lektion gelernt!
Und so ist die ID-Bewegung auf dem besten Weg, das zurückzuerobern, was einst mit der Abschaffung des Religionsunterrichts an amerikanischen Schulen verloren ging. Einfluss auf den Wertekosmos der Schüler. Nur diesmal durch die Hintertür Biologieunterricht. Was aber ist der Kern der Hypothese?
Glauben einige aufrechte Kreationisten noch, die Erde sei eine Scheibe und alle wissenschaftlichen Erkenntnisse Teufelswerk, so gibt es unter den Verfechtern des "Intelligent Design" verschiedene Ansichten zu Urknall, Abiogenese, Makro- und Mikroevolution. Im Wesentlichen vertreten die Anhänger, im Gegensatz zu anderen kreationistischen Strömungen jedoch die Meinung, die Erde sei mehrere Milliarden Jahre alt und das Leben schrittweise entstanden. Erdacht und umgesetzt jedoch von einem intelligenten Designer mit Durchblick und planerischen Fähigkeiten. Da die Annahme der Existenz eines Gottes, Designers oder einer sonstigen Instanz nicht falsifizierbar ist und aus wissenschaftlicher Sicht auch keinen Erklärungswert hat, wird das "Intelligent Design" (wie der Kreationismus) generell zu den Pseudowissenschaften gerechnet.
Das sehen deren Vertreter natürlich ganz anders. Es sei doch schlicht unvernünftig und dogmatisch, die Existenz eines höheren Wesens zu leugnen, welches Pflanzen, Tiere und Menschen (wenn auch nacheinander) erschaffen habe. Flora, Fauna und nicht zuletzt der Mensch seien zu komplex und zu differenziert, um sich "durch Zufall" entwickelt zu haben. Es müsse ein höherer Plan dahinter stecken.
Wie mag man sich das wohl vorstellen? Der Schöpfer als Bastelgenie, der statt Regal Pelle, Stuhl Stine und Kommode Tjorben über die Jahrmillionen hinweg Baupläne für Amöben, Marienkäfer und Mensch ersonnen und umgesetzt hat? Diese Vorstellung wird einem göttlichen Wesen ebenso unzureichend gerecht, wie den Kräften der Evolution.
"Weil nicht sein kann, was nicht sein darf"
Heute, 80 Jahre nach dem Scopes-Prozess ist neo-kreationistisches Gedankengut fest in der amerikanischen Gesellschaft verankert und die Wissenschaft erneut unter Beschuss. Laut Umfragen der letzten Jahre bekennt sich etwa die Hälfte der amerikanischen Bevölkerung zum Kreationismus. Nicht erstaunlich also, dass "Intelligent Design" bereits vielfach die Art und Weise beeinflusst, wie Wissenschaft in Schulen, Museen, Zoos und Nationalparks über die gesamten USA vermittelt wird.
Der US-Staat Kansas steht bereits seit einigen Jahren im Focus neo-kreationistischer Aktivität. Im Jahre 1999 gelang es einer konservativen Schulbehörde den gesamten evolutionsbiologischen Lehrstoff aus der Unterrichtsgestaltung zu verbannen. Diese Entscheidung wurde zwar 2002 vorläufig zurückgenommen, um 2004 nach erneuten Wahlen durch eine konservative Mehrheit wieder eingeführt zu werden. Eine endgültige Abstimmung bezüglich der weiteren Vorgehensweise, wird von Pro-Darwin-Aktionisten als reine Alibi-Veranstaltung beschrieben, da der Ausgang ohnehin bereits feststehe.
"Die Forderungen der Kreationisten sind derzeit radikaler und gefährlicher als jemals zuvor", so Keith Miller, ein führender Streiter in Sachen Evolutionsbiologie von der Kansas State Universität. "Neo-Kreationisten definieren Wissenschaft in ihrem Sinne um, um außerweltliche Phänomene als Erklärung für natürliche Vorgänge einfließen lassen zu können."
So besagen beispielsweise die Bildungsstatuten von Kansas derzeit noch, dass Naturwissenschaften eine "naturgemäße" Erklärung für die Phänomene dieser Welt heranziehen müssen. Konservative Kräfte innerhalb der Schulbehörde arbeiten jedoch darauf hin den Wortlaut in "adäquat" umzuformulieren. Auch geben sich diese konservativen und finanzstarken Kräfte alle Mühe, die Evolutionstheorie so darzustellen, dass sie auf einer atheistischen Weltanschauung basiert. Selbige Annahme ist in den USA ebenso populär, wie sie falsch ist. Von den fünf Protagonisten der modernen Evolutionsbiologie des zwanzigsten Jahrhunderts" Sewall Wright, Ernst Mayer, Theodosius Dobzhansky, Ronald Fisher und John Burdon Sanderson Haldane" war lediglich Ernst Mayer bekennender Atheist. Alle anderen waren praktizierende Gläubige verschiedener Religionen.
Talibanned USA?
Fragen zwei amerikanische Bürgerrechtler auf ihrer Website, die regelmäßig über die ausufernden konservativen Tendenzen in den USA berichten. "No Sex and Drugs and Rock’n Roll." Schmuddelig, verkommen, igitt. Wie die Evolutionslehre.
So werden Neuntklässler in Dover, Pennsylvania, beispielsweise in einem Papier seitens der Schulbehörde "aufgeklärt", dass die Bildungsstatuten des Staates die Evolutionstheorie als Unterrichtsstoff vorschreiben. Diese Theorie sei jedoch kein Faktum. Tatsächlich existierten Ungereimtheiten in der Theorie, für die es keine Erklärung gäbe. "Intelligent Design" so wird in dem Papier erläutert, sei eine Erklärung für den Ursprung des Lebens, die vom Standpunkt Darwins abweiche." Nähere Informationen seien Textbüchern zu entnehmen, die in jeder Klasse auslägen. Es geböte die Fairness und das Prinzip der freien Meinungsäußerung, alle Standpunkte zu Wort kommen zu lassen.
Solcherart Vorkommnisse stellen jedoch nur einen kleinen Teil der derzeitigen Anstrengungen fundamental-christlicher Kreise - eingebettet in ein entsprechend "tolerantes" politisches Klima - dar, die Evolutionsbiologie zu diskreditieren.
"Bis Januar diesen Jahres wurden bereits 18 Anträge zur Änderung der Rahmengesetzgebung von Bildungsstandards in insgesamt 13 Staaten eingebracht", so Eugenie Scott, Leiterin des Nationalen Zentrums für Wissenschaftserziehung in Oakland, Kalifornien. "Das sind doppelt so viele Anträge wie in den letzten Jahren und die Eingaben erstrecken sich räumlich von Texas und South Carolina über Ohio bis New York."
Derartige Initiativen zielen in erster Linie auf das Lehren von ID an Schulen oder darauf ab, im Biologie- und Chemie-Unterricht auf die Schwächen der Evolutionslehre hinzuweisen, bzw. vermeintliche Beweise dagegen anzuführen. Aber die Schlacht hat mittlerweile auch auf andere Bereiche übergegriffen. Eugenie Scott zählte bisher 39 neo-kreationistische "Vorfälle" in 20 verschiedenen Staaten allein in diesem Jahr. Im Juni beispielsweise gestattete das Smithsonian Institute in Washington D. C. die Vorführung eines ID-Films auf dem Museumsgelände.
Nach einem Aufschrei aus Kreisen der Wissenschaft und Teilen der Presse wurde die Erlaubnis zurückgezogen und der Vorfall als "Versehen" entschuldigt. Die Vorführungen gingen dennoch weiter. Ebenfalls im Juni entschied sich ein staatlich finanzierter Zoo ein Schaubild anzubringen, dass die 6-Tage-Schöpfungsgeschichte aus der Genesis darstellt. Ein Naturkundemuseum in Fort Worth, Texas, entschied sich im März, auf die Vorführung des IMAX-Films "Vulcanoes of the Deep Sea" zu verzichten, nachdem der Film bei einem Testpublikum negative Reaktionen ausgelöst hatte. Grund dieser Reaktionen: die Evolutionstheorie wurde erwähnt. Das Museum änderte zwar seine Meinung, nachdem die dortige Presse den Vorfall thematisiert hatte, jedoch entschieden sich einige IMAX-Kinos anderenorts in den USA, wissenschaftliche Filme, die Anklänge an die Evolutionstheorie enthalten, nicht mehr auszustrahlen, um Kontroversen zu vermeiden.
Anti-Darwin-Kampagnen waren zwar nicht allerorts erfolgreich, jedoch gelang es den religiösen Fundamentalisten ein generelles Misstrauen gegen die Evolutionslehre in die Köpfe der Menschen zu tragen. "Neo-Kreationisten stellen Wissenschaftler im Allgemeinen und Evolutionsbiologen im Besonderen als kulturelle Elite hin, die wenig mit der amerikanischen Gesellschaft gemein habe", so Kenneth Miller von der Brown Universität auf Rhode Island. Wissenschaft bekommt zunehmend ein Imageproblem.
2 + 2 = 5 oder 2 + 2= 4? Wie es Euch gefällt
Traditionell hat der Kreationismus in Europa weniger große Bedeutung, konnte jedoch beispielsweise in England ebenfalls schon Einzug in den Schulunterricht halten. Das englische Schulsystem gestattet privaten Geldgebern, die in notwendige Restaurierungsmaßnahmen staatlicher Schulen in wirtschaftsschwachen Gebieten investieren, im Gegenzug die Unterrichtsinhalte mitzugestalten. So wurde das Emmanuel College in Gateshead, Nordost-England (gegründet 1990), durch den Autohändler, Millionär und christlichen Fundamentalisten Sir Peter Vardy finanziert. Auch hier werden sowohl die Evolutionsbiologie als auch der Kreationismus im naturwissenschaftlichen Schulunterricht gelehrt. So können sich Schüler" ganz in Shakespearescher Manier - ihre eigene Meinung bilden; wie es ihnen gefällt. Vardy hat indes eine zweite Schule gegründet und die Gründung weiterer angekündigt.
Im letzten September gelangte ein Vorstoß Serbiens an die Öffentlichkeit, die Evolutionslehre gänzlich aus den Schulen zu verbannen. Nach massivem Widerspruch seitens serbischer Wissenschaftler und nicht zuletzt des Oberhaupts der serbisch-orthodoxen Kirche, wurde das Vorhaben wieder zurückgezogen.
In der Türkei existiert eine starke kreationistische Bewegung, die sich durch den Kontakt mit US-Kreationisten formiert hat. Seit 1999 werden türkische Professoren, die Evolutionsbiologie lehren, schikaniert und bedroht. Es gibt keine öffentliche Opposition zum Kreationismus; dem einzigen Lehrstoff in türkischen Schulbüchern. In anderen muslimischen Ländern wie Pakistan wird die Evolutionslehre nicht mehr an Universitäten gelehrt. Religiös-fundamentalistisches Gedankengut schwappt auch nach Afrika und Lateinamerika.
Zurück ins Mittelalter?
Mittlerweile ist es den Verfechtern des ID gelungen, die Beweislast umzukehren. So wird auf Konferenzen US-amerikanischer Wissenschaftler offen über Argumentationshilfen im Kampf gegen neo-kreationistisches Gedankengut diskutiert. Es geht die Angst um, die zwar nicht mehr vereinzelten, aber vorläufig noch lokalen Phänomene könnten Amerika-weit in eine neue Welle kreationistischer Lehre münden. Nicht unbegründet also die Sorge, eine fundierte Wissenschaftserziehung könnte untergraben und das Ansehen der Wissenschaft nachhaltig beschädigt werden.
"Die Politisierung der Wissenschaft hat auf allen Ebenen stark zugenommen" so Miller. "Was hier passiert sind politische Anstrengungen, einen Wandel sowohl der Inhalte als auch der Natur von Wissenschaft selbst zu forcieren." Letztlich also ein Kampf um die Seele der Wissenschaft.