Undercover und schwer bewaffnet unterwegs in Basra
Die gewaltsame Befreiung von zwei britischen Geheimagenten war Anlass zu zahlreichen Spekulationen, das britische Militär schweigt noch immer über den Zweck des Einsatzes der SAS-Männer
Vor gut einer Woche befreiten britische Truppen gewaltsam nach der Erstürmung eines Gefängnisses zwei Soldaten aus einem Haus. Sie waren von der irakischen Polizei verhaftet und dann schiitischen Milizen übergeben worden (Showdown in Basra). Die beiden hatten bei einer Kontrolle auf die Polizisten geschossen. Sie waren als Araber verkleidet in einem Zivilfahrzeug unterwegs, im Kofferaum des Wagens fand man Sprengstoff und Zünder mit Fernbedienungen. Ein Vorfall, der erneut die Reputation der Koalitionstruppen im Irak schwer erschüttert und Anlass für vielerlei Spekulationen ist.
Für den Vize-Kommandeur der Islamischen Revolutionären Garden im Iran, Mohammed Baqer Zolqadr, hat die Verhaftung und Befreiung der Soldaten nur das bestätigt, was für ihn schon lange feststand. „Wir haben Informationen, dass die Wurzeln der Instabilität im Irak ein Resultat amerikanischer und israelischer Spione ist." Die USA bräuchten Attacken, um ihre Präsenz immer weiter rechtzufertigen. „Sie wollen die Resourcen des Iraks plündern, den ganzen Millteren Osten unter ihre Kontrolle bringen und Sicherheit für Israel erzeugen." Die iranische Führung ist bekannt für vereinfachende Weltbilder von Gut und Böse. Verschwörungstheorienkursieren auch in den iranischen Medien, die zu erklären suchen, warum Amerikaner und Briten in einer Doppelstrategie mit den Terroristen zusammen kämpfen, um den schiitischen Einfluss abzuwehren.
Der Brigade-General der Revolutionären Islamischen Garden steht mit seiner Meinung nicht alleine. Abdel al Daraji, der in Sadr City in Bagdad an der Spitze der schiitischen Organisation des Klerikers al Sadr steht, hatte nach den Vorfällen in Basra dem britischen Telegraph gesagt, dass „die Briten versuchten, einen ethnischen Krieg zu erzeugen, indem sie Bombenanschläge auf schiitische Zivilisten verüben, um sie sunnitischen Gruppen in die Schuhe zu schieben“. Verschwörungstheorie eines radikalen Geistlichen? Vielleicht, jedenfalls nähren die als Araber verkleideten Soldaten mit Bomben im Kofferaum das sowieso bestehende Misstrauen. Ein syrischer Journalist in Baghad, Ziyad al Munajjid, sprach aus, was viele im Irak und auch in anderen arabischen Ländern denken. „Viele Beobachter hatten schon lange Vermutungen, dass die Okkupationsarmee in einigen bewaffneten Operationen gegen Zivilisten, Pilgerstätten und bei der Tötung von Wissenschaftlern involviert war. Bisher aber fehlte der Beweis. Durch die Verhaftung der beiden britischen Soldaten, während sie Bomben auf einer Strasse in Basra plazierten, ist es nun endgültig bewiesen.“
Von "endgültigen Beweisen" zu sprechen, ist natürlich absurd, schließlich sind die beiden Männer nicht bei der Platzierung von Bomben erwischt worden. Gleichwohl bleiben manche Fragen bei diesem Vorfall offen. Zwei Briten sind in zivil unterwegs, weswegen man von Mitgliedern des Special Air Service (SAS) ausgeht, eröffnen angeblich ohne Vorwarnung das Feuer auf die irakische Polizei, obwohl sie bei einer Kontrolle nur ihren Ausweis vorzeigen müssten. Was man ihrem Auto später findet, „ist sehr irritierend“, wie es Sheik Hassan al Zarqani, der Sprecher der Mehdi Armee bezeichnete. „Wir fanden Waffen, Sprengstoff und Fernzünder.“ Deshalb glaube er, „dass diese Soldaten einen Anschlag auf einen Markt oder andere zivile Ziele vorhatten“.
Aber genau diese Vermutung nennt die britische Tageszeitung Telegraph eine „schmutzige Kampagne, anti-britische Ressentiments im Süden Iraks zu erzeugen“. Stattdessen erklärt man den Besitz der Waffen und des Sprengstoff, ähnlich wie die BBC, als normale Ausrüstung von SAS-Offizieren. In der selben Richtung argumentiert die Sunday Times, die sich dabei auf eine „Insiderinformation“ beruft und behauptet, dass verhaftete SAS-Team sei in eine „Counter-Operation“ unterwegs gewesen, gegen Milizen, die vom Iran unterstützt würden. Es ginge um einen „Geheimkrieg“ gegen aufständische Gruppen, die Bomben aus dem Iran in den Irak schmuggeln. Ein 24-köpfiges Team habe außerhalb Basra gearbeitet, um ein Sicherheitsnetz gegen diese Infiltrierung aufzubauen. „Das Ziel ist, die Schmugglerrouten herauszufinden und die Aufständischen zu verhaften oder zu töten."
Das aber würde nicht erklären, warum die beiden SAS-Männer nach Angaben der Polizei das Feuer auf die irakische Polizei eröffneten und dabei einen Menschen töteten und mehrere verletzten. Und das erklärt auch nicht, warum die beiden Männer neben einer Anzahl von Schusswaffen in ihrem Auto Sprengstoff und ein Arsenal unterschiedlicher Zünder mit sich führten, die die irakische Polizei sicherstellten. Wollte man etwa die Schmuggler per ferngezündeter Bomben unschädlich machen?
Basra ist eine der "failed cities" im Irak
Von offizieller Seite im Irak wird der Schusswechsel damit begründet, dass die britschen Soldaten die Anweisung haben, die irakische Polizei wie Aufständische zu behandeln. Und das nicht ohne Grund: Bereits im Mai diesen Jahres hatte Hassan al Sade, der Polizeichef von Basra erklärt, dass er die Kontrolle über 75% seiner 13.750 Mann starken Truppe verloren habe. Seine Polizisten würden entweder für politische Fraktionen arbeiten oder seien an Anschlägen auf die Koalitionstruppen beteiligt. Für seine ehrliche Meinung wurde der Polizeichef vom Gouverneur Mohammed Al Waili kurzerhand gefeuert.
Drei rivalisierende schiitische Gruppen kontrollieren heute Basra. Das ist die Medi Armee des jungen Klerikers al Sadr, die Badr Brigarden des Obersten Rates für eine islamische Revolution im Irak und die Fudala Partei, die von Mohammed Yacubi angeführt wird. Die Mitglieder dieser konkurrierenden Milizen tragen Polizeiuniformen, aber weniger um Recht und Ordnung herzustellen, sondern sie missbrauchen ihre Macht für Geschäfte, Korruption und um unliebsame Rivalen loszuwerden. Die Leichen entsorgt man bekanntermaßen auf der hiesigen Müllkippe. Vor kurzem wurden zwei Journalisten hingerichtet, die über die Infiltrierung der Polizei von Basra durch radikale schiitische Milizen recherchierten. So ist durchaus verständlich, dass die beiden Undercover-Agenten des SAS in Zivilkleidung und mit einem Kofferraum voll Sprengstoff nicht in die Hände der Polizei geraten wollten.
Die Regierung in Bagdad hatte die unverzügliche Freilassung der beiden Briten angeordnet, aber die lokalen Behörden in Basra waren diesen Anweisungen nicht gefolgt. Aus Angst, die beiden Gefangenen könnten zu Geiseln in den Händen einer dieser radikalen schiitischen Milizen werden, startete das britische Militär ihre Befreiungsaktion Mit 10 gepanzerten Fahrzeugen und einem Hubschrauber wurde das Gefängnisgebäude gestürmt. Dabei wurden von den rund 1000 Demonstranten einige getötet und andere verletzt.
Nach der Befreiung wurde der Haftbefehl durch den zuständigen Richter Raghib Hasan erneut bestätigt. Er wirft den beiden Undercover-Agenten Mord und schwere Körperverletzung sowie den Besitz unerlaubter Waffen und falscher Dokumente vor. Für das britische Verteidigungsministerium haben diese Haftbefehle allerdings keine legale Basis. „Alle britischen Soldaten stehen unter der Jurisdiktion von Grossbritannien“, sagte ein Sprecher des Ministeriums in London.
In Basra wird vermutet, dass die beiden SAS-Männer keine britische Staatsbürgerschaft besitzen, sondern anderer Nationalität sind, was das schnelle und rigorose Eingreifen des britischen Militärs erklären würde. Britische Soldaten hätten die irakischen Behörden sofort übergeben müssen. Angeblich seien die konfiszierten Waffen kanadischen Ursprungs. Es wird gemunkelt, die beiden verhafteten Soldaten seien „contractors“ gewesen, die im Irak zum militärischen Alltag gehören. Vielleicht aus Kanada, vielleicht auch aus Israel, das immer wieder ein beliebter Sündenbock in der arabischen Gerüchteküche ist und im Notfall immer für unerklärte Dinge herhalten muss.
"Was haben unsere beiden SAS-Jungs tatsächlich gemacht, als sie in arabischen Klamotten, mit aufgeklebten Schnurrbärten und Waffen durch Basra fuhren?"
Robert Frisk, der langjährige Korrespondent des Independent im Mittleren Osten, ein erfahrener und seriöser Journalist, hält sich zwar aus derartigen Spekulationen heraus. Aber er zieht historische Paralellen, behauptet der britische Imperialismus habe stets sektirerische Konflikte provoziert und politische Attentate durchgeführt, um die Macht zu erhalten. „In Nordirland haben SAS-Agenten die Mitglieder der IRA aus dem Hinterhalt getötet.". In Sachen Irak bleiben ihm nur Fragen, die wie üblich bei derartigen Zwischenfällen, nur unzureichend oder nicht beantwortet werden: „Was haben unsere beiden SAS-Jungs tatsächlich gemacht, als sie in arabischen Klamotten, mit aufgeklebten Schnurrbärten und Waffen durch Basra fuhren? Warum fragt niemand? Wie viele SAS-Männer sind im Süden des Iraks stationiert? Warum sind sie dort? Was sind ihre Aufgaben? Welche Waffen tragen sie? Niemand hat das gefragt.“
In der Regel handelt es sich um „schmutzige Operationen“, in denen Undercover-Agenten in bürgerkriegsähnlichen Situationen wie heute im Irak verwickelt sind. Das lehrt die Geschichte und war der Fall in Vietnam, Chile, Nicaragua, El Salvador oder im Libanon, um nur einige Länder zu nennen. Dass die Geheimdienste hinter den Bombenanschlägen auf Pilger und Zivilisten stehen könnten, wie Manche behaupten, trifft sicherlich nicht zu. Im Irak gibt es genug Unruhe, um die Anwesenheit der Koalitionstruppen zu rechtfertigen. Weder die USA, noch die Briten müssen da mit Attentaten nachhelfen, um die Situation noch chaotischer zu machen, als sie schon ist.
Sicher ist hingegen, dass man erade an einem Ort wie Basra mit drei feindlichen Milizen das eine oder andere für den eigenen Vorteil unternehmen. Nicht nur der Bürgerkrieg im Libanon hat gezeigt, dass Geheimdienste bei ihrer Vorteilssicherung keine Rücksicht auf Menschenleben nehmen. Im Irak wird es nicht anders sein. Vergessen sollte man nicht, dass der Irak nicht nur eine Spielwiese amerikanischer und britischer Geheimdienste ist. Agenten aus dem Iran, Syrien, Saudi Arabien, Jordanien und aus anderen arabischen Ländern gehen im Irak ein und aus. Oft sind die Länder nicht direkt präsent, sondern nur über die „Contractors“, die bekanntlich weniger politische Absichten haben, dafür aber mehr finanzielle Interessen. Bürgkriegsländer sind für sie ein gutes Pflaster, weil hier Recht und Ordnung nicht existieren und sich eine seltsame Eigendynamik aus Politik und Kriminalität entwickelt, schon alleine aus dem Grund, um die Wünsche nach Waffen und Munition der Aufständischen und nach Drogen für die Koalitionssoldaten zu erfüllen.
Unabhängig davon, welche Erklärungen von der Regierung in London oder von der britischen Militärbehörde im Irak im Laufe der nächsten Tage und Wochen noch nachgereicht werden, die Ereignisse in Basra haben nun auch den Ruf der britischen Truppen ruiniert. Der Süden des Irak war im Vergleich zu Bagdad bislang relativ ruhig. Nun wird es dort ebenfalls zu mehr Widerstand kommen, die Sympathien bei der überwiegend schiitischen Bevölkerung dürften schwer geschädigt, wenn nicht verspielt sein.