Unklarer und teurer Auftrag für Spionageschiffe: Bundesrechnungshof kritisiert Großprojekt
Seite 2: Schlechtester Vertrag ever
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Der folgende Kompromiss stellte zunächst alle interessierten Kreise halbwegs zufrieden: Das Verteidigungsministerium erhielt deutlich mehr Geld, als in der mittelfristigen Finanzplanung eigentlich vorgesehen war.
Im Austausch dafür wurde die Nicht-finanzierbar-Liste wieder versenkt, obwohl real für die Gesamtheit der Projekte damals keine Deckung vorhanden war.
Um die Kosten zu deckeln, versah der Haushaltsausschuss die Beschaffung der Flottendienstboote laut Augen geradeaus! mit einem Kostendeckel:
Die Nachfolger der drei bisherigen Flottendienstboote Oste, Oker und Alster sollen nach der vom Parlament gebilligten Vorlage einschließlich einer Ausbildungs- und Referenzanlage Aufklärung (ARAA) knapp 2,1 Milliarden Euro kosten.
Augen geradeaus!, 24.6.2021
Gleichzeitig wurde aber ein Vertrag mit Lürssen geschlossen, der faktisch keinerlei Details enthielt, was denn eigentlich überhaupt für diesen Preis gebaut werden soll. Dies wurde auch vom Rechnungshof gegenüber Vertreter:innen des Verteidigungsministeriums wie auch aller Parteien bemängelt.
Allerdings kam dies erst nach Recherchen von WDR, NDR und SZ im Januar 2023 ans Licht, weil die Rechnungshofprüfung als Verschlusssache eingestuft worden war:
Die Kontrolleure [äußerten] beim Blick auf den Zwei-Milliarden-Vertrag "erhebliche Bedenken". Die vorliegende Vertragskonstruktion mit der Bremer Werft Naval-Vessels-Lürssen (NVL) sei so aufgesetzt, dass erst nach Vertragsschluss eine "Bauspezifikation" erarbeitet werden solle.
Mit anderen Worten: Erst nachdem der Auftrag schon erteilt war, wollte der Bund gemeinsam mit der Werft erarbeiten, wie genau die Schiffe gebaut werden sollen. Eine Milliardenvergabe im Blindflug. Der Bundesrechnungshof befürchtete "mittelfristig zusätzliche Ausgaben". (…)
Ein Kenner von zahlreichen Marineaufträgen, der anonym bleiben möchte, sagt: "Das ist der schlechteste Vertrag, den ich jemals gesehen habe. So etwas hätte Lürssen sich noch vor ein, zwei Jahren nicht einmal selbst geschrieben, weil es zu unverschämt wäre."
Tagesschau.de, 16.1.2023
Das absehbare Ende
Am vorläufigen Ende kam alles, wie es kommen musste: Im April 2023 hing ein erstes Preisschild an dem Vorgang, als erneut auf Basis von Recherchen von WDR, NDR und SZ berichtet wurde, Lürssen könne den Kostenrahmen nicht einhalten, die Schiffe würden rund 800 Millionen Euro teurer als vorgesehen.
Und dasselbe Recherchekollektiv brachte nun am 28. Juni 2023 ans Tageslicht, dass auch damit nicht das Ende der Fahnenstange erreicht ist:
Die Anschaffung von drei neuen Spionageschiffen für die Bundeswehr wird deutlich teurer als bisher bekannt. […] Demnach fordert das Bundesverteidigungsministerium für die Fortführung der Verträge weitere Mittel in Höhe von mehr als 1,2 Milliarden Euro vom Deutschen Bundestag ein, um das Rüstungsprojekt fortsetzen zu können.
Das ergibt sich aus vertraulichen Dokumenten. Bislang waren die drei Schiffe mit einem Gesamtpreis von etwas mehr als zwei Milliarden Euro veranschlagt worden.
Tagesschau.de, 28.6.2023
Theoretisch könnten die Abgeordneten bei der in Kürze anstehenden Abstimmung über die Kostensteigerungen noch die Reißleine ziehen.
Hier sind es nun aber die klaren Ansagen aus dem Verteidigungsministerium, die eine Ablehnung unwahrscheinlich machen:
Den Abgeordneten, die in der kommenden Woche darüber entscheiden sollen, lässt die Bundesregierung nur wenig Spielraum. Das Verteidigungsministerium argumentiert, dass der neue Änderungsvertrag bis zum 1. August abgeschlossen werden müsse.
Sonst sei der Auftragnehmer, also die Werft, auch nicht an die zuvor vereinbarten Änderungen gebunden. Und dann, so argumentiert das Verteidigungsministerium, wären "die Folgen für den dann zu vereinbarenden Preis sowie die daraus resultierenden Zeitlinien heute noch nicht abschätzbar".
Tagesschau.de, 28.6.2023