Unklarer und teurer Auftrag für Spionageschiffe: Bundesrechnungshof kritisiert Großprojekt

Soll ersetzt werden: Flottendienstboot Oste. Bild: Pjotr Mahhonin / CC-BY-SA-4.0

Die Anschaffung neuer, strategisch wichtiger Spionageschiffe ist ein Großprojekt. Es galt als gesichert. Bis Fragen zu den Verträgen mit einer Schlüsselindustrie aufkamen.

Die Haushaltspolitiker im Bundestag stehen vor einer schwierigen Entscheidung: Die Anschaffung angeblich dringend benötigter Spionageschiffe für die Marine könnte zum Milliardengrab werden. In einem vertraulichen Schreiben warnt der Bundesrechnungshof vor den möglichen Folgen des Projekts, berichtet jetzt der Spiegel.

Demnach existieren die Schiffe bislang nur vage und skizzenhaft auf dem Papier – und sollen dennoch für viel Geld angeschafft werden. In dem Schreiben der Finanzkontrolleure heißt es nun, aus der Vertragskonstruktion ergäben sich erhebliche Risiken.

Nach Berichten von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung sollen sich die Kosten für den Kauf der drei Schiffe um 1,2 Milliarden Euro auf insgesamt 3,2 Milliarden Euro erhöhen. Das Verteidigungsministerium begründet die Kostensteigerung vor allem mit dem allgemeinen Anstieg der Rohstoff- und Energiepreise.

Die unabhängigen Finanzkontrolleure stellen dagegen fest, dass die Gründe für die erheblichen Mehrkosten weitgehend unklar sind. Zudem warnen sie davor, dass der Vertrag mit der Bremer Werft "Naval-Vessels-Lürssen" weitere Kosten nach sich ziehen könnte.

Besonders problematisch ist, dass das Ministerium und die Bundeswehr nicht klar definiert haben, welche Leistungen die Schiffe erbringen sollen. Dies führt zu Zweifeln, ob die bisherigen Leistungsbeschreibungen ausreichen, um die Leistung zu messen und zu überprüfen. Der Bundesrechnungshof mahnt an, dass die Bundeswehr keine Beschaffungsverträge ohne klare Leistungsbeschreibung abschließen sollte.

Die Bedeutung der Aufklärung und Informationsbeschaffung auf See nimmt angesichts des Konflikts mit Russland in Nord- und Ostsee deutlich zu. Die derzeit genutzten Aufklärungsboote der Marine sind jedoch rund 30 Jahre alt und dringend modernisierungsbedürftig. Sowohl das Verteidigungsministerium als auch das Kanzleramt drängen daher auf die Beschaffung moderner Boote.

Dieser Beitrag ist die aktualisierte Fassung eines Artikels zum Thema, der am 01.07.2023 bei Telepolis erscheinen ist.

Seit Jahren kommt kaum ein Großprojekt der Bundeswehr ohne massive Verspätungen und eklatante Kostensteigerungen über die Ziellinie. Dokumentiert wird das Versagen des Beschaffungswesens in halbjährlichen Rüstungsberichten des Verteidigungsministeriums.

Im erst kürzlich erschienenen, mittlerweile 17. Rüstungsbericht wird über eine durchschnittliche Verspätung der Bundeswehr-Großprojekte von 33 Monaten bei Gesamtkostensteigerungen von 11,849 Milliarden Euro informiert.

Aktuell macht in den Medien die Meldung die Runde, die Anschaffung neuer Spionageschiffe (Flottendienstboote) werde deutlich teurer als ursprünglich geplant. Diese Entwicklung war trotz Warnungen des Rechnungshofes eigentlich absehbar und nicht zuletzt das Ergebnis massiven Drucks diverser Parlamentarierinnen und Parlamentarier.

Dazu gehört die heutige Verteidigungsstaatssekretärin Siemtje Möller (SPD), die zugunsten der Werften in ihren Wahlkreisen Druck auf die Unterzeichnung eines völlig abwegigen Vertragswerkes gemacht hatten.

Brandbriefe und Wahlkreise

Der Reihe nach: Anfang 2021 wurden die Klagen des Verteidigungsministeriums immer lauter, viele der geplanten Großprojekte seien ohne deutliche Erhöhungen des Militärhaushaltes nicht zu finanzieren.

Vor diesem Hintergrund übergab das Ministerium den Abgeordneten von Verteidigungs- und Haushaltsausschuss im Februar 2021 kurzerhand eine Liste, in der zahlreiche Beschaffungspläne – darunter eben auch der Ersatz der Flottendienstboote Oker, Alster und Oste – mit der Bemerkung versehen wurden, dass "deren Finanzierung zum jetzigen Zeitpunkt nicht gesichert ist".

Weil die Gelder für die Spionageschiffe bis zu diesem Zeitpunkt als gesichert galten, brachte dies parteiübergreifend eine Reihe von CDU- und SPD-Abgeordnete mächtig auf die Palme.

In einem gemeinsamen Brief machten die CDU-Abgeordneten Eckhardt Rehberg (Haushalt) und Henning Otte (Verteidigung) sowie die SPD-Parlamentarier Dennis Rohde (Haushalt) und Siemtje Möller (Verteidigung) keinen Hehl aus ihrem Unmut.

Beim Militärblog Augen geradeaus! wurde damals aus dem Brief zitiert:

Für einen Großteil dieser 15 Vorlagen sind im Verteidigungshaushalt 2021 sowie in der aktuellen Finanzplanung bereits entsprechende Mittel veranschlagt und in den Geheimen Erläuterungen entsprechend ausgewiesen. Daher können wir nicht nachvollziehen, dass eine Finanzierung aus dem Einzelplan 14 (Verteidigungshaushalt) nicht mehr leistbar ist. (…)

Sowohl die mangelnde und verspätete Kommunikation als auch die nicht ausreichende Qualität der Antworten auf die Fragen aus dem parlamentarischen Raum verwundern.

Abschließend weisen wir nochmals darauf hin, dass die geplanten Vertragsabschlüsse oder deren eventuell notwendige Priorisierung nicht ohne das Parlament erfolgen werden. Um noch eine Behandlung der geplanten 25 Mio. Euro-Vorlagen in dieser Legislaturperiode gewährleisten zu können, bitten wir um Rückantwort bis Freitag, den 28. Mai 2021.

Augen geradeaus!, 21.5.2021

Im selben Artikel wurde zudem darauf hingewiesen, dass die Abgeordneten hier keineswegs uneigennützig handelten – es ging vielmehr zumindest auch darum, den lukrativen Auftrag für die Schiffe für ihre Heimatwahlkreise zu sichern:

Bei Rehberg, Rohde und Möller kommt zu dem empfundenen grundsätzlichen Affront gegen das Haushaltsrecht des Parlaments noch eine weitere Dimension hinzu: Diese drei Abgeordneten kommen aus Küstenländern mit ihrer Werftindustrie. Und im aktuellen Haushalt ist bereits Geld eingestellt für den Ersatz der betagten Flottendienstboote Oker, Alster und Oste.

Der Neubau solcher Schiffe mit ihrer Aufklärungs- und Überwachungstechnik ist aus allen denkbaren Gründen nur von deutschen Werften machbar – sowohl der Überwasserschiffbau, aber erst recht die an Bord verwendete Technik gelten als nationale Schlüsselindustrien.

Dass die gut zwei Milliarden Euro dafür zwar im Haushalt stehen, aber als nicht finanziert gelten sollen, dürfte die Parlamentarier zusätzlich erzürnt haben.

Augen geradeaus!, 21.5.2021