Verfall überall

Korrupte Politiker - korrupte Menschen

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"Wie der Herr, so's Gescherr." Diese auch im Duden referenzierte Redewendung sagt uns: so wie die Herren, also die Mächtigen sind, so ist auch das Volk, sind die Menschen. Oder umgekehrt: die Herrschaften an den Spitzen von Staaten und Unternehmen spiegeln nur den Alltag. Den einen wie den andern ist "korrupt" jedenfalls kein Fremdwort.

Die große Korruption

Die breite Diskussion um den Ex-Bundespräsidenten Wulff und seinen langsamen Rücktritt war ja eine zum Thema Korruption. Auch Österreich wird zur Zeit wieder einmal von Korruptionsskandalen gebeutelt, aber anders als in Deutschland ist die Diskussion in der Öffentlichkeit ziemlich verhalten. Da hat etwa die große Telekom (das ist der Telefoniebereich der früheren und durch die EU zwangskommerzialisierten Österreichischen Post), soweit bisher bekannt wurde, rund 38 Millionen Euro über den Lobbyisten Peter Hochegger an die politischen Parteien, vor allem an Personen aus dem Umfeld der schwarz-blauen Regierung der Jahre 2000 bis 2006, verteilt.

Lange hat es gebraucht, bis das Parlament einen Untersuchungsausschuss eingerichtet hat und die Staatsanwaltschaft ermittelt - beim früheren Finanzminister Karl-Heinz Grasser ermittelt sie übrigens schon seit Jahren. Aktuell nun wurden der Wochenzeitschrift News viele Gigabyte Emails der Telekom zugeleakt ("Mir liegen über 200.000 E-Mails des Telekom-Managements vor"). Die Telekom erscheint dabei als ganz großer Selbstbedienungsladen, wo dann auch noch für die Tochter des Bundeskanzlers Schüssel ein paar tausend Euro Unterstützung abfielen.

Bild: K.Kollmann

Selbstbedienung

Diese große Selbstbedienung neuer Dimension lief auch nach Schwarz-Blau im Großen und Kleineren weiter.

Vergleichsweise klein, etwa wenn der frühere Bundeskanzler Gusenbauer, Ex-SP-Werbeleiter Lederer und Telekom-Festnetzvorstand Fischer 2007 bei "Kim kocht" zu dritt Essen gehen und dafür 1.518 Euro ablegt werden. Vergleichsweise größer haben Minister und Landeshauptleute mit vielen Millionen Euro den Boulevard gefüttert (insbes. Kronenzeitung, Heute und Österreich) und teilweise in seitenlangen Inseratenstrecken mit Steuergeld Werbetexte unter die Leute gebracht, immer mit schönen Fotos der Amtsinhaber.

Nun gibt es zwar mittlerweile ein Medien-Transparenzgesetz, also die Inseratenaufträge müssen ab Jahresmitte offengelegt werden, die zwangsbeglückenden Inserate gehen trotzdem fröhlich weiter. Lernfähigkeit ist für die Politik ein Fremdwort geworden.

Eine kontinuierliche Abfolge von Skandalen, von Korruption in Wirtschaft und Politik, das ist keine österreichische Spezialität. In Deutschland ist es nicht wesentlich anders, erinnert sei nur an Flick, VW, Siemens, usw. Vielleicht ist nicht einmal die Selbstverständlichkeit der kleinen Korruption neu, wie sie bei Wulff so monochrom und banal zutage getreten ist. Der spätere Minister und Wiener Bürgermeister Helmut Zilk betätigte sich Ende der 60er Jahre, da war er Fernsehdirektor, für ein paar Tausender als Informant des tschechischen Geheimdienstes und der österreichische Geheimdienst schaute gemütlich zu.

Wenn die große Korruption gang und gäbe ist, dann nimmt sich irgendwann der sogenannte "kleine Bürger" auch diese Freiheit. Die große normative Kraft des Faktischen ist stärker als die moralischen Ansprüche, auf die die Kleinen seit dem Mittelalter immer wieder verpflichtet werden.

Die kleine Korruption

Eine aktuelle österreichische Umfrage belegt, dass sich die Menschen mit Korruption halbwegs angefreundet haben. Wir leben offenbar "in einer Zeit, in der die Unmoral neue Blüten treibt", meint die Einleitung zum Kurzbericht "Moral in der österreichischen Bevölkerung".

Ein Einschub: Die Leser solcher Untersuchungen sollten sich – meist wird darauf nicht extra hingewiesen – immer im Klaren darüber sein, dass Befragungen von Menschen stets auch durch die sogenannte "soziale Erwünschtheit" oder "soziale Wünschbarkeit" verzerrt sind. Befragt man also Menschen zu etwas heikleren Fragen, dann antwortet ein Teil ziemlich ehrlich, aber ein Teil antwortet so, wie er/sie meint, wie dies gesellschaftlich erwartet oder opportun ist. Damit unterschätzt man systematisch das Ausmaß, das ist das grundsätzliche Problem von Umfragen.

Gestellt wurde bei der erwähnten Erhebung folgende Frage: "Ich lese Ihnen Dinge vor, die man entweder hart, mild oder gar nicht bestrafen kann. Sagen Sie mir anhand dieser Liste, wie Sie über die Dinge denken, die ich jetzt vorlese..." (Durchgehen lassen, mild bestrafen, hart bestrafen).

Grafik: Spectra Aktuell, 3/12, Linz 2012

Dulden, das heißt für beachtliche Teile der Bevölkerung, das ist zu tolerieren, das ist an sich nichts Schlimmes. Zu berücksichtigen ist, die genannten Verhaltensweisen sind alle strafbar und natürlich unmoralisch. Durch die erwähnte "soziale Erwünschtheit" fällt die Antworthäufigkeit an sich wesentlich geringer aus. Es sind also weit mehr, die finden, dass man damit Schwindeln usw. problemlos leben kann.

Eine vergleichbare aktuelle Erhebung war für Deutschland nicht aufzufinden, allerdings nach einer älteren Erhebung aus dem Jahr 2007 des Allensbacher Instituts für Demoskopie meinten 70 Prozent, Schmiergelder dürfe man auf keinen Fall annehmen – also sehen das 30 Prozent offenbar deutlich lockerer, die Hälfte drückt auch beim Hinterziehen von Steuern oder beim Schwarzfahren die Augen zu.

Aus der letzten ALLBUS-Erhebung ergibt sich ein weiteres kleines, ergänzendes Streiflicht. Um im Leben vorwärts zu kommen ist es entscheidend bzw. wichtig, Leute zu bestechen, sagen zwar nur 10 Prozent der Deutschen (soziale Erwünschtheit nicht vergessen). Aber es ist entscheidend bzw. wichtig, "die richtigen Leute kennen zu lernen". Das meinen fast alle, nämlich 93 Prozent der Deutschen (ALLBUS 20101).

Also Netzwerke sind wichtig, wie man das heute schöngefärbt nennt, früher hieß es Freunderlwirtschaft. Von hier bis zur Korruption ist es oft auch nicht mehr weit. Der Frage: "Um in Deutschland heute ganz nach oben zu kommen, muss man korrupt sein", stimmten 28 Prozent (stark) zu.