"Verfolgung von Julian Assange schafft einen gefährlichen Präzedenzfall"
Heike Hänsel, stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE, zur Anhörung anlässlich einer möglichen Auslieferung Julian Assanges an die USA
Der Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks, Julian Assange, ist am Montag in London vor Gericht erschienen, um sich gegen eine drohende Auslieferung an die USA zu wehren. Es war der dritte öffentliche Auftritt des 48-jährigen Australiers, seit er am 11. April aus der ecuadorianischen Botschaft in der britischen Hauptstadt verschleppt und in dem Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh inhaftiert wurde. In die Botschaft Ecuadors hatte er sich 2013 geflüchtet, um einer Auslieferung an die USA zu entgehen. Dort droht dem Journalisten wegen einer Anklage auf Basis des Antispionagegesetzes eine 175-jährige Haftstrafe - also de facto lebenslanges Gefängnis. Grund dafür ist die massenhafte Veröffentlichung geheimer US-Regierungsdokumente, mit denen Kriegsverbrechen in Afghanistan und Irak an die Öffentlichkeit gelangt sind.
Die Inhaftierung Assanges‘ und seine drohende Auslieferung an die USA sind damit nicht nur eine ernsthafte Bedrohung für sein Leben. Die politische und juristische Verfolgung gegen den WikiLeaks-Gründer bedrohen auch die Arbeit der freien Presse. In London war daher neben EU-Abgeordneten und Vertretern der Kampagne für Julian Assange auch die Vizevorsitzende der Fraktion DIE LINKE im Bundestag anwesend. Nach der Anhörung gab sie vor dem Westminster Magistrates‘ Court folgendes Statement ab:
Wir stehen heute hier vor dem Westminster Magistrates‘ Court nach einer weiteren gerichtlichen Anhörung zur Auslieferung Julian Assanges an die USA, gegen die wir gemeinsam kämpfen. Julian Assange ist bei der Anhörung persönlich anwesend gewesen, sein dritter öffentlicher Auftritt seit er am 11. April 2019 aus der ecuadorianischen Botschaft in London verschleppt wurde.
Dieses gesamte Verfahren wirft Fragen bezüglich rechtsstaatlicher Standards auf. Die Verteidigung von Assange beantragte drei weitere Monate, um das Gerichtsverfahren vorzubereiten, dies wurde von der Richterin nicht gewährt. Assange beklagte, dass er unter den bestehenden restriktiven Haftbedingungen kaum Möglichkeiten habe, sich adäquat auf das Verfahren vorzubereiten. Die Supermacht USA habe zehn Jahre Zeit gehabt, um sich vorzubereiten, während er gerade mal fünf Monate Zeit bekomme, um die Dokumente zu prüfen, so Assange, der erst vergangene Woche die Unterlagen von seinen Anwälten per Post zugestellt bekam. Assange hat in der Haft keinen Zugang zu einem Computer und bisher noch keinen Kontakt zu seinen US-Anwälten aufnehmen können.
Das Gericht verweigerte zudem eine Überprüfung, ob das Auslieferungsersuchen der USA grundsätzlich zulässig ist. Und dies, obwohl ein bilaterales Auslieferungsabkommen zwischen London und Washington Auslieferungen aus politischen Gründen ausschließt. Die offensichtlichen Absprachen über einen Antrag für eine Verlängerung des Verfahrens zwischen Rechtsvertretern der britischen Regierung und der US-Botschaft am Rande der heutigen Verhandlung lassen vermuten, dass der Zeitplan an den US-Wahlkampf angepasst und instrumentalisiert werden soll.
Es ist beschämend für Europa, diesen mutigen Investigativ-Journalisten in einem Gerichtssaal in London erleben zu müssen. Anstatt sich den Interessen der USA zu beugen, müssen die britische Regierung und die EU diese extraterritoriale politische Verfolgung ablehnen. Heute ist es Julian Assange, morgen kann es jeden anderen Journalisten, jede andere Journalistin treffen, der/die wahrheitsgetreue Informationen in öffentlichem Interesse publiziert hat, die dem Narrativ der US-Regierung entgegenlaufen. Julian Assange leidet unter schweren gesundheitlichen Problemen und jeder Tag, an dem er im Gefängnis bleibt, verschlimmert nur seinen ohnehin schon prekären Zustand. Ich appelliere an die britische Regierung, Julian Assange sofort aus dem Gefängnis zu entlassen!
Weltweit fordern daher zahlreiche Menschen seine Freilassung. Menschenrechtsorganisationen, JournalistInnen, Prominente und ParlamentarierInnen fordern die Freilassung von Julian Assange und kämpfen gegen seine Auslieferung an die USA.
Australische PolitikerInnen aus dem gesamten politischen Spektrum, darunter der ehemalige stellvertretende Premierminister Barnaby Joyce und der ehemalige Außenminister Bob Carr, haben sich öffentlich gegen das Auslieferungsverfahren ausgesprochen, weil sie Bedenken wegen des extraterritorialen Charakters der Anschuldigungen haben.
Die Sorgen um Assanges Gesundheit und Wohlbefinden haben sich in den letzten Wochen sowohl in Europa als auch in seinem Heimatland Australien verstärkt. Seit seiner Inhaftierung in Belmarsh hat sich sein Gesundheitszustand noch weiter verschlechtert.
Die von Nils Melzer, UN-Sonderberichterstatter zum Thema Folter, festgestellten gesundheitlichen Folgen der jahrelangen Isolierung sind unschwer zu erkennen. Die Gesundheit Julian Assanges ist durch ein "extrem feindseliges und willkürliches Umfeld, dem er während vieler Jahre ausgesetzt war, schwer beeinträchtigt", hat Nils Melzer bereits im Mai nach einem ersten Besuch des Journalisten im britischen Gefängnis festgestellt. Neben "psychischen Beschwerden" weise Julian Assange "alle typischen Symptome" von anhaltender psychologischer Folter auf.
Auch nachdem er nun seine einjährige Haftstrafe wegen Verstoßes gegen Kautionsauflagen abgesessen hat, hat sich an diesem Zustand nichts Grundlegendes geändert. In seiner Untersuchungshaft kann er zwar mehr BesucherInnen empfangen, hat jedoch weiterhin keinen Zugang zum Computern und die Bedrohung an die USA ausgeliefert zu werden ist nur allzu präsent.
Ich fordere im Namen der Fraktion DIE LINKE die sofortige Freilassung von Julian Assange und lehne eine Auslieferung an die USA entschieden ab. Julian Assange sitzt im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in Auslieferungshaft als Journalist, der US-Kriegsverbrechen aufgedeckt hat.
Sollte er ausgeliefert werden, drohen ihm in den USA bis zu 175 Jahre Gefängnis, also lebenslange Haft, wenn nicht gar die Todesstrafe. An Julian Assange soll somit ein Exempel statuiert werden, indem ihm nach dem US-Spionagegesetz aus dem Jahr 1917 der Prozess gemacht wird.
Die Verfolgung von Julian Assange schafft einen gefährlichen Präzedenzfall, durch den JournalistInnen aus aller Welt, einschließlich EU-BürgerInnen, an die USA ausgeliefert werden könnten, wenn die Berichterstattung als ein Risiko für die nationale Sicherheit der USA interpretiert wird.
Es liegt an uns allen, diesen gefährlichen Präzedenzfall einer extraterritorialen, außergerichtlichen Verfolgung auf europäischem Boden zu verhindern! Diese extraterritoriale Verfolgung verstößt gegen das Völkerrecht und muss von den europäischen Staaten verurteilt und abgelehnt werden. Ich fordere die Bundesregierung auf, diesen Angriff der USA auf JournalistInnen, auf die Pressefreiheit und die Demokratie zu verurteilen und Julian Assange entweder in Deutschland oder im Rahmen einer europäischen Initiative politisches Asyl anzubieten.
Die Bundesregierung und die EU-Mitgliedstaaten sind durch internationale Abkommen wie die Genfer Flüchtlingskonvention, den Internationalen Pakt der Vereinten Nationen über bürgerliche und politische Rechte und die Charta der Grundrechte der Europäischen Union verpflichtet, Assange vor weiterer politischer Verfolgung zu schützen und ihm Asyl zu gewähren, um seine Auslieferung an die USA zu verhindern.
Wir werden am 27. November im Deutschen Bundestag eine Anhörung zu diesem Thema organisieren.
Freiheit für Julian Assange, Chelsea Manning und Edward Snowden!
London, 21. Oktober 2019
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