Verhaltenskontrolle: Messung der Aufmerksamkeit von Schülern
In China wurden bereits EEG-Stirnbänder getestet, um den Unterricht und die Konzentration der Schüler zu optimieren - ein Schnittstelle, die trennt
Das Internet der Dinge wird systematisch ausgelegt, um die Dinge zu vernetzen und zu steuern sowie Daten der Nutzer und Besitzer zu erheben. Das Internet der Personen ist zwar längst geknüpft, aber ist noch sehr lückenhaft, was körperliche oder physiologische Daten betrifft. Das verändern Apps, Programme und Sensoren, die von den quantifizierungssüchtigen Selbstoptimierern gerne aufgenommen werden. Bislang speisen die Menschen ihren Aufenthaltsort, ihre Bewegung, ihre Kommunikation mit Menschen, Agenten/Assistenten und Geräten, ihre Suchen, ihre Bestellungen und Transaktionen und das, was sie sich anschauen/anhören, in die Maschinen der Datensammler ein. Schon länger werden aber auch die menschlichen Körper mit Pulsuhren oder Smartwatches direkt und in Echtzeit angeschlossen, um Puls, Herzfrequenz, Körpertemperatur, Hautwiderstand, Sauerstoffsättigung, Schrittzählung, Geschwindigkeit, Schlaftracking, Energieverbrauch etc. zu erfassen und das Körperliche zu quantifizieren.
Längst lassen sich viele andere Funktionen messen, aber um den Körper in die digitale Welt mitzunehmen, ist es entscheidend, möglichst viele Funktionen dauerhaft und in Echtzeit zu messen. Einen nicht uninteressanten Schritt macht jetzt die US-Firma BrainCo, die ein Stirnband zur EEG-Messung mit dem Namen Focus entwickelt haben, das nur 90 Gramm wiegt und dauerhaft tragbar. Wie genau dies ist, muss offen bleiben, Studien werden von der Firma nicht vorgelegt, behauptet wird, es sei medizinisch präzise.
Angeblich objektive Daten zur Kontrolle
Jetzt wurde bekannt, dass die EEG-Stirnbänder nicht nur durch Neuro-Feedback zur Optimierung der Konzentration oder kognitiven Leistungssteigerung oder aber zum Entspannen dienen sollen, sondern auch zur Überwachung von Menschen, d.h. von Schülern, mit Focus EDU. Angeblich hat BrainCo, gegründet 2016 von Bicheng Han, der an der Harvard University graduierte, 2017 von chinesischen Investoren 15 Millionen US-Dollar erhalten. Wie New Scientist berichtet, ist in China, wo die Regierung massiv auf KI- und Überwachungstechnik setzt, um das Verhalten der Menschen zu steuern und zu optimieren, bereits ein erster Versuch mit 10.000 Schülern zwischen 10 und 17 Jahren mit den EEG-Stirnbändern gelaufen.
Die Schüler müssen die Stirnbänder im Unterricht tragen, die Lehrer können mit einer App die gemessene Konzentration von diesen damit feststellen, dann würde auch schauspielern nichts mehr helfen. Fieserweise braucht der Lehrer gar nicht auf den Bildschirm zu schauen, denn die angeblichen Aufmerksamkeitswerte werden auch durch verschieden Farben eines Lichts am Stirnband wiedergegeben. Wer träumt, abschweift oder ermüdet, dürfte dann schlechte Karten haben, zumindest wird sie oder er herausgefischt, um einer Optimierung der Aufmerksamkeit unterzogen zu werden, was erfreulicherweise für die Firma, ebenfalls mit EEG-Biofeedback-Spielen auf dem Smartphone angeboten wird. Damit ließe sich auch die Aufmerksamkeitsstörung ADHS therapieren.
Nach BrainCo würden damit die Schüler (und deren Eltern) ihre Lernfortschritte kontrollieren können, gleichzeitig dient die Technik zur Kontrolle der Lehrer oder des Unterrichts. Wenn die Schüler wegdämmern, läuft etwas falsch. Angeblich hat die Firma bereits einen Vertrag über 20.000 EEG-Stirnbänder mit einem chinesischen Händler abgeschlossen. Die würden jeweils von mehreren Schülern getragen, die damit nicht nur optimiert werden, sondern auch ihre Daten abliefern. Han rechnet mit Daten von 1,2 Millionen Schülern, Big Data, was benötigt wird, um KI-Programme zu füttern und die Feedbackschleifen für welche Zwecke auch immer zu optimieren.
"Weltgrößte Gehirnwellen-Datenbank"
China ist natürlich gut, weil das Reich der Mitte zur Förderung von KI zum Massendatenerhebungsland werden will, aber es keine Datenschutzregeln gibt. Han selbst schweben Sci-Fi-Visionen vor. Man könne daraus eine Schnittstelle entwickeln, um Gedanken direkt in Text zu übersetzen ("brain typing"). Dann lässt sich auch die Arbeit des Denkens vermeiden, die darin besteht, Gedanken in Sprache, Bilder, Töne etc. umzusetzen. Die Kultur- oder Kunstarbeit soll dann die Technik abnehmen, die Menschen würden zu Impulsgebern degradiert. Auf jeden Fall wirbt Han für seine Technik, die Daten der Schüler sammelt, dass damit die "weltgrößte Gehirnwellen-Datenbank" aufgebaut würde.
Kritiker werfen BrainCo vor, dass überaus fraglich ist, was überhaupt gemessen wird. Auch wenn Aufmerksamkeit gemessen werden sollte, dann sei nicht auszumachen, für was diese aufgewendet wird. Der aufmerksame Schüler könne genauso gut auf den Lehrer oder auf sein Smartphone oder seine Träumereien aufmerksam sein. Und dann wird durch diese Quantifizierung das zwischenmenschliche Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler weiter zerfressen. Der Lehrer geht nicht mehr von seiner Wahrnehmung des Schülers aus, sondern reagiert auf scheinbar objektive Daten. Sie sind deswegen objektiv, weil sie vom Schüler abstrahieren. Das zwischenmenschliche Handeln wird sich dann darauf verschieben, wie sich Daten durch Veränderungen des Verhaltens manipulieren lassen. Die Schnittstelle zwischen Gehirn und Computer trennt den Schüler vom Lehrer.
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