Vernichtendes Zeugnis der Regierung: Bürger mit Defiziten

Seite 3: Mutige und tolerante Bürger

In einer fatalen Umkehrung des demokratischen Prinzips beabsichtigt die Bundesregierung mit dem Demokratiefördergesetz nicht etwa, den Einfluss der Bürger auf den gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess durch Förderung der öffentlichen Debatte und Kontroverse zu stärken, sondern ihn zu behindern.

Mit der Etikettierung Andersdenkender als demokratie- und menschenfeindlich macht sie sich und die gesamte Öffentlichkeit im besten Fall zu Sklaven ihrer eigenen Meinung, da sie Anderen das Recht vorenthält, sich zu äußern. Im schlimmsten Fall geht es darum, oppositionelle Meinungen zu unterdrücken.

Ganz anders als die Regierungskoalition ermunterten die Philosophen der Aufklärung die Menschen, sich ihre eigene Meinung zu bilden. Fehlender Mut zum Selbstdenken, also mangelndes Vertrauen in die eigene Vernunft, so Immanuel Kant, führe in die Unmündigkeit. "Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung", schrieb er 1784.

Frei zu denken erfordert auch, zu sagen und zu schreiben, was man selbst für richtig hält. Und es geht darum, die eigene Meinung auf die Probe zu stellen, indem Andere die Möglichkeit erhalten, die eigenen Auffassungen zu hören, zu prüfen und zu kritisieren.

Von diesem Standpunkt aus betrachtet wird die Wahrheit durch unabhängiges Denken der Bürger entdeckt, die in offenen Debatten voneinander lernen. Die leichtfertige Ächtung und Unterdrückung unliebsamer Auffassungen behindert die unabhängige Meinungsbildung aller Bürger.

Meinungsfreiheit erfordert ein Höchstmaß an Toleranz. In diesem Sinn bedeutet Toleranz, jedwede politische Auffassung zuzulassen, auch wenn sie den eigenen Vorstellungen oder den vorherrschenden gesellschaftlichen Moral- und Wertmaßstäben widerspricht. Auch wenn sie einen abstößt und anwidert.

Toleranz bedeutet jedoch nicht, diese Auffassungen mit respektvoller Gleichgültigkeit hinzunehmen, gar zu akzeptieren, sondern sie schließt die Möglichkeit oder gar Pflicht ein, durch eigene Meinungsäußerung den als falsch empfunden Vorstellungen entgegenzutreten. Toleranz ohne Widerspruch ist Gleichgültigkeit.

Indem wir Toleranz üben, ermöglichen wir, dass auch solche Meinungen sicht- und hörbar werden, die wir ablehnen. Die freie Artikulation ist sogar ausdrücklich zu begrüßen, denn nur dann können andere Idee und Argumentation verstehen, dieser zustimmen oder sie ablehnen, um sie dann selbst einer öffentlichen Kritik zu unterziehen.

Das verlangt uns mehr ab als der einfache Weg der Diffamierung oder Unterdrückung durch Verbote. Aber es ist unabdingbar für mehr Meinungsfreiheit und Demokratie.