Versagt der Literaturbetrieb?
- Versagt der Literaturbetrieb?
- Leipzig: Der nächste Höhepunkt der Auseinandersetzung mit rechten Verlagen
- Auf einer Seite lesen
Seit langem gibt die Buchbranche Anlass zur Sorge ob ihrer Schlagfertigkeit gegenüber reaktionären Akteuren. Für die am Donnerstag beginnende Leipziger Buchmesse sieht es wieder nicht gut aus
Das Dresdener Publikum klatschte. Auf der Bühne wurde gegen künstliche Befruchtung gehetzt, weil die abartig und schlimmer als die rassistisch motivierten Zeugungsheime der Nazis sei. Die so gezeugten Kinder seien Halbwesen; nicht ganz echt; zweifelhafte Geschöpfe, halb Mensch, halb künstliches Weißnichtwas. Ohne tieferen Sinn ergoss die Rednerin ihren Schwachsinn auf das Publikum. Sie gab zu, dass sie damit nicht ganz vernünftig war. Und dennoch: Das Publikum klatschte.
Es handelte sich dabei aber nicht um eine der berüchtigten Pegida-Kundgebungen. Das Gepöbel fand nicht vor dem und für den Pöbel statt. Nein, 2014 gab es Pegida noch nicht, als Sibylle Lewitscharoff im Schauspielhaus von Sachsens Hauptstadt ihre berüchtigte Rede hielt. Sie war damals eine der höchstdekorierten Schriftstellerinnen des Landes, und so eine Position verspricht offensichtlich Anerkennung.
Wenn Lewitscharoffs Passage des Hasses nach einer ähnlichen Veranstaltung am Ausgang des Schauspielhauses im Rahmen einer Umfrage präsentiert worden wäre, verbunden mit dem Hinweis, der Text sei eine Stellungnahme der NPD, die damals noch in Sachsens Landtag saß - das Publikum hätte wohl größtenteils Abscheu ausgedrückt.
Bühne mit Autorität
Doch eine Bühne in einem vermeintlichen Kulturtempel strahlt Autorität aus - und die ergreift sogar diejenigen, für die dieser Ort zum Alltag gehört. Noch ein par Tage später war das Robert Koall, dem Chefdramaturg des Staatsschauspiels, deutlich anzuhören, als er im Interview mit Deutschlandradio Kultur Lewitscharoff kritisierte. Selten wirkte jemand in einem Radio-Interview so verschüchtert - fast entschuldigte sich Koall für sein Vorgehen.
Der Grund: Der Chefdramaturg hatte immerhin umgehend eine schriftliche Distanzierung von Lewitscharoff veröffentlicht. Darin gab er zu, dass er sich unmittelbar nach der Rede nicht getraut hatte, seine Kritik direkt zu äußern. Leider meinte Koall, im Radio-Interview seine schriftliche Kritik mit der Bemerkung unterfüttern zu müssen, dass er im Bekanntenkreis ein solches künstlich gezeugtes Kind habe.
Also habe ihn Lewitscharoff nochmal anders getroffen, als die Allgemeinheit. Koalls Schritt verdient Respekt, entwickelte sich aber doch zum Trauerspiel.
Eine intellektuelle Argumentation nicht durchhalten
Selbst mit Distanz zur unhaltbaren Rede und als Interviewgast in einem wichtigen kulturpolitischen Forum wie dem Deutschlandradio Kultur konnte er nicht eine intellektuelle Argumentation durchhalten. Er zeigte Bedauern für seinen eigenen Offenen Brief, und er bemühte eine persönliche Anekdote, die für die Kritik an Lewitscharoff unerheblich ist.
Heute, rund vier Jahre später, wo es der Literaturbetrieb mit schwereren Kalibern als Lewitscharoff - die sich für ihre Rede sogar halb entschuldigt hat - zu tun hat, können wir diese Geschehnisse als symbolisch ansehen. Oder als Vorboten. Die Frage, wie der Literaturbetrieb reagiert, wenn die Reaktionären auf seinen Foren ihren Stuss absondern, stellt sich bekanntlich derzeit auf den größten Foren der Branche: den Buchmessen.
Die Frankfurter Buchmesse hat sich bei ihrer letzten Ausgabe im Oktober schon mal blamiert. Sie ist zwar ein privatwirtschaftliches Unternehmen, denn sie wird vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels veranstaltet, der sie als "Außenhandelsorganisation des deutschen Buchhandels" bezeichnet.
Trotzdem hat sie, wie eine staatliche Einrichtung, Leute zugelassen, die sie eigentlich nicht mag. Die Messeleitung inszenierte deshalb einen eigenen Protest: Ein stiller "Demo-Spaziergang" führte die Spitze des Börsenvereins mit Schildern wie "Gegen Rassismus" am Stand des Verlags Antaios vorbei. Eine seltsame Aktion von jemandem, der das Hausrecht hat. Und eine Aktion für die Galerie, die aber nichts bewirkt, die niemanden von etwas neuem überzeugt.
Reaktionäre können sich so oder so feiern
Einerseits ist bekannt, dass die Buchmessenleitung solche Verlage nicht mag. Faschistische und faschistoide Menschen zeichnen sich anderrerseits gerade dadurch aus, dass sie große Schwierigkeiten haben, zwischen Kritik und Verbot zu unterscheiden. Diese Demo der Messeverantwortlichen zeigte für sie einfach, dass das Establishment gegen sie ist. Dass das sogenannte gesunde Nationalempfinden unterdrückt wird.
Die Reaktionären können sich unter diesen Bedingungen so oder so feiern. Der Journalist Danijel Majic, Redakteur bei der "Frankfurter Rundschau", berichtete im November in der Zeitschrift "Der Rechte Rand" von der großen Antaios-Podiumsveranstaltung am Messesamstag. Demnach ging die Veranstaltung zwar im Gebrüll des Großteils des Publikums unter, als am Ende zwei Protagonisten der ultra-nationalistischen "Identitären Bewegung" auftraten.
Martin Sellner, einer der Redner, soll dann aber gesagt haben: "Wir sind hergekommen und haben ein Zeichen gesetzt - im Herzen des linksliberalen Establishments!" Das Video von der Rede trägt laut Majic den Titel: "Übernahme einer Buchmesse".
Für den Buchmessenleiter Juergen Boos stellte sich der Konflikt am Tag nach der Messe so dar: "Gestern trafen sich zwei Gruppen, die sich über den Hass definieren. Die wollen den Hass, um sich selbst als Gruppe stärker zu fühlen", sagte er im Gespräch mit Spiegel Online.
Einigen Medien gab er die Mitschuld an der Eskalation: "Schon im Vorhinein wurde ausführlich über die drei, vier rechten Stände berichtet und ihre Teilnahme an der Frankfurter Buchmesse skandalisiert. Das Interesse an der Sensation macht solche Veranstaltungen noch wirkmächtiger. Das finde ich ganz schlimm."
Das klingt, als ob er es falsch findet, im Voraus darüber zu berichten, dass Antaios nach Jahren der Abstinenz wieder einen Stand in Frankfurt hatte, und wie die Messeleitung auf den Zulauf, den sie von solchen Verlagen hatte, reagierte. Vor allem aber klingt es, als ob der Chef der Frankfurter Buchmesse zu keiner intellektuellen Argumentation gegen ultra-nationalistische Hassprediger fähig ist.