Versagt der Literaturbetrieb?

Seite 2: Leipzig: Der nächste Höhepunkt der Auseinandersetzung mit rechten Verlagen

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Er verfolgt anscheinend das Extremismus-Theorem, wonach antifaschistische Menschen von einem ähnlichen Hass motiviert sind, wie faschistische oder andere Ausländerfeinde. Zusätzlich soll der Hass der Letzteren nicht so schlimm sein, wenn er nicht durch Protest und Berichterstattung aufgewertet wird. Nein, wirkmächtig wurden solche Veranstaltungen, weil sie auf der Frankfurter Buchmesse überhaupt stattfinden konnten!

Mit Blindheit geschlagen ist anscheinend ein weiterer etablierter Akteur des Literaturbetriebs. Hubert Winkels, Leiter der Literatur-Redaktion des Deutschlandfunk, berichtete am Tag nach der Buchmesse, der Verlag Antaios habe ein Flugblatt verteilt, in dem er Autoren anderer Verlage lobte: Botho Strauß, Martin Mosebach, Thilo Sarrazin, Boris Palmer (ja, der Grünen-Politiker), Robin Alexander, Walter Kempowski, Thea Dorn, Richard Wagner, Peter Slooterdijk.

Die Herstellung einer Verbindung zu diesen Autoren seitens Antaios war aber für Winkels eine "Skurrilität". Sei Urteil: "Da ist nichts dran." Mag sein, dass die Genannten nicht mal AfD wählen - wobei fraglich ist, woher Winkels das wissen will. Aber Literaten müssen sich nicht auf das Niveau polternder Agitatoren herablassen. Vielleicht lehnen sie sie wirklich ab, und sei es aus kulturellen Gründen, dienen ihnen aber als Stichwortgeber.

Das hat zumindest ein Teil der Genannten getan. Es ist bemerkenswert, dass der Literatur-Redakteur Winkels nicht einmal fragt, wie groß AfD und Pegida heute wohl wären, wenn Thilo Sarrazin nie ein Buch veröffentlicht hätte.

Und jetzt kommt die Leipziger Buchmesse. Es wird wohl ein Höhepunkt in dieser Auseinandersetzung sein. Schon letztes Jahr hat Antaios-Chef Götz Kubitschek dort den Politologen Volker Weiß, der einer der fähigsten Kritiker dieses Milieus ist, "minutenlang beschimpft", wie Danijel Majic berichtet.

Auch sonst gab es da schon anti-rassistische Proteste. In Sachsen dürfen sich die nationalistischen Dumpfbacken mehr zu Hause fühlen, nicht zuletzt aufgrund der räumlichen Nähe zum Sitz des Verlags Antaios.

Die Gegenseite allerdings wohl auch. Im Februar schrieb die Gruppe "The future is unwritten" im Internetauftritt der Kampagne "Nationalismus ist keine Alternative": "Es gibt das Potenzial für massiven antifaschistischen Widerstand - und wir freuen uns darauf, dass Leipziger Antifaschist_innen ihr Potenzial ausschöpfen werden."

Niemand wird ausgeschlossen

Die Leipziger Messeleitung nimmt wie die Frankfurter die Haltung ein, niemanden aus politischen Gründen auszuschließen. Hier ist die Veranstalterin allerdings tatsächlich in öffentlicher Hand: Die Leipziger Messe GmbH gehört halb der Stadt, halb dem Land. Das Neutralitätsargument ist deshalb nicht schlecht - aber es überzeugt nicht, denn der Staat bedient sich grundsätzlich der Form privatwirtschaftlicher Firmen, um sich seiner Verantwortung zu entziehen.

Vier Beispiele: Staatliche Museen und Theater sind als GmbH organisiert, was elementare Nachteile für die dort Beschäftigten im Vergleich zum öffentlichen Dienst bedeutet; staatliche Wohnungsbaugesellschaften sehen sich nicht unbedingt als soziale Akteure - in Berlin wurde 2015 sogar durch eine soziologische Studie zu den Hintergründen von Zwangsräumungen bekannt, dass zwei der kommunalen Wohnungsunternehmen überschuldeten Menschen keine Chance ließen.

Ebenfalls in Berlin erregten in den letzten Jahren Streiks von Krankenhauspersonal bundesweites Aufsehen, weil nicht mehr Geld, sondern mehr Personal zur Sicherung einer vernünftigen Krankenpflege gefordert wurde - bestreikt werden musste das Uni-Klinikum Charité; und die Deutsche Bahn gehört vollständig dem Staat, richtet sich aber weder in der Gestaltung des Streckennetzes, noch der Preise an der breiten Masse aus.

Zusätzlich zu dem vielleicht noch akzeptablen Argument, die Messe sei ein quasi-öffentlicher Raum, nannte Leipzigs Buchmessenchef Oliver Zille im Januar ein definitiv inakzeptables: "Wir sind einer der wenigen analogen Orte, wo eine Auseinandersetzung mit Rechts stattfinden kann."

Nein, angesichts der bundesweiten AfD-Stammtische und vieler noch schlimmerer solcher Foren gerade im Leipzig umgebenden Dunkeldeutschland besteht kein Bedarf, extra weitere Orte für so eine Auseinandersetzung zu schaffen.

Obwohl - nützlich ist so ein Ort ein bisschen, weil sich dort die Literatur-Stars auf neue Weise offenbaren können. So hat das schon am Donnerstag in Dresden vor einem großen Publikum der vielfach preisgekrönte Schriftsteller Uwe Tellkamp (Erfolgsbuch "Der Turm") getan.

Tellkamps "Weckruf"

Er stimmte anlässlich einer Debatte über das Meinungsspektrum auf der Leipziger Messe das alte Lied vom besorgten Bürger an, der angesichts der vielen Flüchtlinge - von denen 95 Prozent nicht wegen Krieg oder Verfolgung hier seien - und des nicht zu "uns" passenden Islams den "Gesinnungskorridor" von Bundesregierung und "tendenziöser" Presse anprangerte.

Tellkamp hatte schon im Herbst gemeinsam mit bekannten Reaktionären wie Michael Klonovsky und Vera Lengsfeld eine windige Solidaritätserklärung für die in Frankfurt verbal wie tätlich angegriffenen Verlage unterschrieben.

Nun kassierte er eine Distanzierung seitens seines Verlags Suhrkamp. Wegen der Kritik an Tellkamp hebt wieder das Geheul über angebliche Sprechverbote an, übrigens nicht nur bis hin zu Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) , sondern auch im Deutschlandfunk, wo beklagt wird, dass die Medien "reflexhaft" auf Tellkamps "Weckruf" reagierten, mit dem er seine "Ängste" ausgedrückt habe ("Dass ein Großteil der Flüchtlinge aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kommt, ist bekannt", meint die Journalistin Alexandra Gerlach).

Wer solche Stimmen auf der Messe gekontert sehen möchte, kann sich an eine Initiative dranhängen, die kritische Veranstaltungen gegen die einschlägigen Verlage organisiert. Das Bündnis Verlage gegen rechts vereint über 70 Verlage und 160 Einzelpersonen, darunter mit Alexander Vieß angeblich sogar jemanden aus der Öfentlichkeitsarbeit des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Es hat per Crowdfunding über 11000 Euro gesammelt.

Unfähigkeiten

Doch dieses seit Monaten arbeitende Bündnis ist gerade kein Beweis dafür, dass die Branche endlich angemessen reagiert. Die teilnehmenden Verlage sind fast ausnahmslos klein, einer größeren Öffentlichkeit dürften nur wenige bekannt sein.

Auch hier ist es also die Zivilgesellschaft, die für die nötige Kritik an den bornierten und gefährlichen Hetzern sorgt. Der Großteil des Literaturbetriebs, das Establishment, hält sich bisher sehr zurück (Suhrkamps Stellungnahme gegen Tellkamp ändert daran nichts) - profitiert aber mitunter von eben jenem Engagement. So kündigte die Wochenzeitung Junge Freiheit am 7. März ihre Teilnahme an der Leipziger Buchmesse und gab als einen von zwei Gründen dafür die Kooperation der Messeleitung mit "Verlage gegen Rechts" an.

Der Literaturbetrieb zeigt sich in seiner Masse unfähig, der Gefahr der ultra-nationalistischen, hetzerischen und geschichtsverdrehenden Schriften, die bei den großen Branchentreffen ausliegen, angemessen zu begegnen. Somit steht das intellektuelle Niveau der Branche in Frage. Sibylle Lewitscharoff hatte in ihrer Rede offen gesagt, dass sie sich mit ihrer Kritik an der künstlichen Befruchtung nicht an der Vernunft ausrichtete, wurde aber dennoch beklatscht.

Liebling Walser

Martin Walser, auch heute noch einer der größten Lieblinge des Literaturbetriebs, hatte in seiner berühmt-berüchtigten Paulskirchenrede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1998 gleich drei Mal seine "moralisch-politische" Unzulänglichkeit zugegeben, was das Verständnis für den öffentlichen Umgang mit dem Holocaust angeht.

Dieses vielleicht nie kritisierte Eingeständnis ist schon mal unabhängig von der Diskussion über Gedenken und Geschichtspolitik schlimm, weil es eine Absenkung des intellektuellen Niveaus beinhaltet! Walser kritisierte das Mahnmal im Herzen Berlins und wollte Schriftsteller und Deutscher sein dürfen, ohne täglich mit dem Holocaust konfrontiert zu werden (wer ihm das täglich "vorhielt", hat er wohl nie erklärt).

Für seine Rede auf einem der größten deutschen literarischen Foren erntete er dennoch stehenden Applaus fast des ganzen Saals. Die Branche scheint knapp 20 Jahre später nicht viel weiter zu sein. Wenn es in Leipzig nun zu noch heftigeren Auseinandersetzungen als in Frankfurt kommt, ist sie deshalb indirekt mitverantwortlich dafür.