Vom Abfallstoff zum Rohstoff der Zukunft: Neue Verfahren machen Lignin nutzbar

Wissenschaftliche Forschung: Blätter bei der chemischen Analyse im Labor.

(Bild: Sinhyu Photographer / Shutterstock.com )

Lignin, der zweithäufigste Rohstoff der Erde, fristet bisher ein Schattendasein. Neue Verfahren könnten das ändern. Wird der Abfallstoff zum Erdöl-Ersatz?

Lignin ist nach Zellulose der zweithäufigste nachwachsende Rohstoff der Erde. Er macht 20 bis 30 Prozent der Pflanzenmasse aus und verleiht Bäumen und anderen Gewächsen ihre Festigkeit. Doch in der industriellen Nutzung fristet der Stoff bisher meist ein Schattendasein als Abfallprodukt.

"Weltweit fallen jährlich 50 Millionen Tonnen Lignin aus der Papier- und Bioethanolproduktion an, mehr als 95 Prozent davon werden einfach verbrannt, um Wärme zu erzeugen", erklärt Yulin Deng, Professor am Georgia Institute of Technology.

Dabei könnte Lignin eine klimafreundliche Alternative zu Erdöl werden. Es ließe sich zu Treibstoffen und Chemikalien verarbeiten – ohne zusätzliches Kohlendioxid freizusetzen. Denn Pflanzen nehmen beim Wachstum nur so viel CO2 auf, wie später bei der Verbrennung der Kraftstoffe wieder entweicht. Außerdem konkurrieren Lignin-Rohstoffe nicht mit der Nahrungsmittelproduktion, wie es bei Biokraftstoffen aus Mais oder Raps der Fall ist.

Doch es gibt ein Problem: Die komplexe Struktur von Lignin macht die Verarbeitung schwierig. Das Molekül enthält viele Sauerstoffatome, aber zu wenig Wasserstoff, um direkt als Benzin oder Diesel genutzt zu werden.

Eine Möglichkeit, Ligninverbindungen aufzuwerten, ist die Pyrolyse bei über 400 Grad. Doch auch das so gewonnene Bioöl enthält zu wenig Wasserstoff und zu viel Sauerstoff, um als Treibstoff verwendet werden zu können.

Katalysatoren spalten Lignin in Rekordzeit

Deshalb suchen Wissenschaftler weltweit nach effizienteren Methoden, um Lignin nutzbar zu machen. Einem Team um Carsten Sievers, Professor am Georgia Tech, ist nun ein entscheidender Fortschritt gelungen. In einer Kugelmühle, die mit rotierenden Stahlkugeln betrieben wird, haben sie mit neuartigen Palladium-Katalysatoren Modellverbindungen aus Lignin gespalten.

Das Besondere: Die Palladiumpartikel können Wasserstoff speichern und so die chemische Reaktion enorm beschleunigen. Palladium-Katalysatoren können die Bindungen der Lignin-Modellverbindungen bei gleichen Reaktionsbedingungen bis zu 300-mal schneller spalten als Katalysatoren auf Nickelbasis, heißt es in dem Bericht. "Diese bemerkenswerte Effizienzsteigerung bedeutet, dass der Prozess mehr Phenol und andere wertvolle Chemikalien in kürzerer Zeit produzieren kann.

Die Forscher validierten ihre Ergebnisse mithilfe von Synchrotronstrahlung am Brookhaven National Laboratory. Sie fanden heraus, dass der gespeicherte Wasserstoff daran gehindert wird, aus dem Aufprallbereich der Mahlkugeln zu entweichen. Dadurch steht mehr Wasserstoff für die Ligninspaltung zur Verfügung.

Dieser Ansatz "ebnet den Weg für neue Technologien, um das ungenutzte Potenzial von Lignin zu erschließen, während die Industrie nach nachhaltigeren Methoden für die chemische Produktion sucht", resümieren die Forscher.

Mit Supersäure und Platin zum Biokraftstoff

Ein weiteres vielversprechendes Verfahren wurde von der Gruppe um Yulin Deng entwickelt. Sie wandelten Lignin-Bioöl bei niedriger Temperatur und Umgebungsdruck in hochwertige Kohlenwasserstoffe um. Dazu nutzten sie ein ungewöhnliches System aus Polyoxometallat-Supersäure und Platinpartikeln.

"Die Supersäure kann die Aktivierungsenergie für die Entfernung des Sauerstoffs senken und gleichzeitig mehr aktiven Wasserstoff H* in der Lösung erzeugen", erklärt Deng. Der Wasserstoff reagiert dann mit den Lignin-Molekülen. Das Platin wirkt dabei als Katalysator. Die Säure nimmt die Ladung des Wasserstoffs auf, gibt sie wieder ab und überführt so den Wasserstoff aus der Gasphase in die Lösung, wo er direkt mit dem Bioöl reagieren kann.

"Auf dem Platin nimmt die Polyoxometallatsäure die Ladung des Wasserstoffs auf und bildet H+, das in Wasser löslich ist. Die Ladung kann aber reversibel wieder auf H+ übertragen werden, um in der Lösung aktives H* zu bilden", sagt Deng. So wird die geringe Löslichkeit von Wasserstoff in Wasser bei niedrigem Druck umgangen.

Die Forscher testeten ihr Verfahren an 15 bis 20 verschiedenen Pyrolyseölen. "Wir stellten fest, dass die Umwandlungseffizienz zwischen 50 Prozent am unteren Ende und 99 Prozent am oberen Ende lag", berichtet Deng. Damit war die Effizienz mindestens zehnmal besser als unter ähnlichen Bedingungen berichtet. Ein weiterer Vorteil: Der Platinkatalysator konnte ohne Aktivitätsverlust mindestens zehnmal wiederverwendet werden.

Noch Hürden auf dem Weg zum Lignin-Kraftstoff

Ganz ausgereift sind die neuen Ansätze zur Ligninverwertung allerdings bislang nicht. Die Forscher wollen die Trennschärfe der Verfahren weiter verbessern, indem sie andere Metallkatalysatoren testen. Auch kostengünstigere Alternativen zum teuren Platin stehen auf der Agenda. Zudem gilt es, die Abtrennung und Reinigung der verschiedenen Ligninverbindungen aus der Lösung zu optimieren.

Doch die Wissenschaftler sind optimistisch, schon bald marktreife Verfahren präsentieren zu können. "Mein Labor sucht nach praktikablen Methoden, die Ligninverbindungen so aufzuwerten, dass sie als hochwertige Biotreibstoffe und Biochemikalien kommerziell nutzbar sind", betont Deng. Das wäre nicht nur ein Gewinn für die Umwelt, sondern auch für die holzverarbeitende Industrie: Aus einem Abfallprodukt würde ein wertvoller Rohstoff, der bares Geld bringt.