Vom Ausweichen der jüngeren Generation in technische Dimensionen
Ein Interview mit dem Psychologen und Autor Martin von Arndt über eGames, deren Suchtpotenzial, die beschäftigungslose urbane Elite und deutsche Generationenkonflikte
Als Psychologe hat Martin von Arndt die neurobiologischen und psychiatrischen Effekte von übermäßiger PC-Nutzung erforscht. Die während der Forschungsarbeit gewonnenen Erkenntnisse hat er anschließend in seinen themenverwandten Roman ego shooter einfließen lassen. In der Presse erhielt das Buch viel Beifall, Joachim Zelter sprach vom ersten paradigmatischen Roman virtueller Computerwelten. Doch von Arndt setzt in seinem Buch nicht nur auf die Ausschilderung virtueller Abenteuer (wie etwa Norman Ohler in Die Quotenmaschine oder William Gibson in der Neuromancer-Trilogie), er beleuchtet auch den psychosozialen Background eines professionellen eGamers.
In ihrem Roman ego shooter beschreiben Sie einen Progamer, der sich seinen Lebensunterhalt mit dem Spielen des Computerspiels IL2 Sturmovik verdient. Was hat Sie an diesem Thema gereizt?
Martin von Arndt: Die Anregung, über einen Progamer zu schreiben, kam von einem Freund, der selbst spielsüchtig geworden ist und mir die gefährliche Faszination, die von Gaming ausgehen kann, überhaupt erst einmal so nahe bringen konnte, dass ich sie in einen Text gießen wollte. Aber um genauer zu sein: Die Geschichte des Progamers ist nur der Hintergrund des Buchs, für mich ist ego shooter in allererster Linie ein Buch über eine Generation und einen Generationenkonflikt.
Spielen Sie selbst gerne Computerspiele?
Martin von Arndt: Ja, wie wohl die meisten Geschlechtsgenossen meines Alters, aber bei mir hält es sich mittlerweile in einem überschaubaren Rahmen. Dieses Hineingezogenwerden in die virtuelle Welt bedeutet eine andere Qualität des Spielens, des Umgangs mit dem Medium Computer überhaupt, und sie war für mich nicht zuletzt ein guter Grund, in diese faszinierende Thematik zu gehen.
Bücher mit literarischem Anspruch zu diesem Thema sind derzeit eher die Ausnahme. Man könnte mutmaßen, Sie wollten in eine Marktlücke stoßen?
Martin von Arndt: Eine Marktlücke - nein, mir ist eher zum Vorwurf gemacht worden, dass ich mich mit seltenen Berufen beschäftige, noch dazu solchen, die das Hauptzielpublikum der Verlagswelt vor der Tür stehen lassen: Frauen zwischen 30 und 70.
Sie haben sehr aufwändig für das Buch recherchiert, sind mit Profispielern in Kontakt getreten. Wie kam dieser Kontakt zustande?
Martin von Arndt: Die Kontakte hat der Freund hergestellt, der selbst spielsüchtig wurde. Zu Beginn war es nicht ganz einfach, in einen offenen Dialog zu treten, weil die Pros, mit denen ich mich "unterhalten" habe (das lief natürlich alles via Mail oder Chat), ziemlich skeptisch waren. Sie hatten keine Lust, einmal mehr von einem Medienvertreter in die Pfanne gehauen zu werden. Als ich mit den Recherchen begonnen habe, war man mal wieder eifrig über die Frage gebeugt, ob man "Killerspiele" verbieten sollte, ja oder ja. Es hat eine Weile gedauert, bis sie Vertrauen zu mir gefasst und verstanden haben, dass ich kein Presseheini bin und dass es nicht darum geht, jemanden, schon gar nicht die Gamer selbst, als Killermaschinen dar- oder bloßzustellen.
Die gesellschaftlich an den Rand gedrängte urbane Elite auf der Suche nach Ausweichorten
Haben Sie an den Gamern Tendenzen zum Eskapismus aus der Gesellschaft ausgemacht?
Martin von Arndt: Gute Frage - wenn man die einem Autor stellt, der selbst bisweilen eskapistische Tendenzen hat, weiß ich nicht, ob man da nicht den Bock zum Gärtner macht. Sorgen würde ich mir um diejenigen, mit denen ich näher in Kontakt getreten bin, jedenfalls keine machen. Meine Figur Kovács ist zweifelsfrei ein Extremfall in Sachen sozialer Verwahrlosung. Allerdings ein für mich ohne weiteres vorstellbarer Extremfall, der über das Gaming selbst weit hinausweist.
Kovács ist ein eingefleischter Einzelgänger, dem jeder Gang in den meat space zur psychischen Qual wird, der sich selbst die Nahrungsmittel ins Haus liefern lässt. Er hat Frühgeschichte studiert, aber das Studium nicht abgeschlossen. In diesem Zusammenhang haben Sie einmal von der urbanen Elite gesprochen – intelligente Köpfe, die in der Gesellschaft nicht ankommen und sich ihre Ersatzgesellschaft im Netz suchen. Was genau verstehen Sie unter dem Begriff urbane Elite?
Martin von Arndt: Eine Elite, die gut ausgebildet ist, meist mit universitärem Abschluss, und die entsprechend in den Metropolen eher anzutreffen ist als auf dem Land. Der Roman spielt im Ruhrgebiet, genauer in Duisburg, Essen und Bochum, wo der Großteil meiner Ansprechpartner herstammte und ich selbst phasenweise studiert habe. Intelligente Köpfe, ja, die die Fähigkeit hätten, in einer Gesellschaft, die seit einiger Zeit vor allem durch Ideenlosigkeit und Weiterwurschteln-wie-bisher glänzt, neue Impulse einzubringen.
Aber man setzt nicht auf diese Impulse, weil Plätze, und nicht nur Arbeitsplätze, für diese Generation eher abgebaut werden. Noch vor vierzig Jahren ist eine ähnliche Beharrlich- und Behäbigkeit der bundesrepublikanischen Gesellschaft beinahe zum Verhängnis geworden. Was man sich sucht, was man sich vor allem als einigermaßen junger Mensch (und vor allem auch als junger Mann) immer wieder sucht, das sind Aufgaben, an denen man wächst, und einen Platz, an dem man etwas bewegen kann. Wenn man die in der offiziellen Gesellschaft nicht mehr findet, sucht man sich Ausweichorte, in denen man etwas gilt und von denen aus man wenigstens agieren oder sich ausagieren kann. Das kann unter Umständen zu Eskapismus führen. Noch lange nicht zu Amokläufen und hierzulande leider wohl auch nicht mehr zu aktivem Widerstand. Zum Beispiel gegen die Platzabbauwut.
TP: Finden nicht viele aus dieser urbanen Elite Arbeitsplätze innerhalb der Computerspielbranche – wechseln also die Seiten vom Gamer zum Spieledesigner oder Administrator?
Martin von Arndt: Einige wenige vielleicht, die Adäquates studiert haben. Das Gros bleibt doch weiterhin außen vor, so sehr die Branche boomen mag. Wir haben, wie wir seit einiger Zeit durch einschlägig bekannte Untersuchungen wissen, in Deutschland schon grotesk schlechte Aufstiegschancen, und nicht allein, was Zuwandererkinder angeht. Ich denke da auch an die, die das Pech haben, aus einer Arbeiterfamilie zu stammen und nicht Zugang zu den wichtigen Seilschaften finden. Das erinnert sehr an die Zeit vor 1970, als sich bestimmte bürgerliche Kreise in die wenigen Führungsetagen dieser Gesellschaft gehievt haben. Wenn man an die Chancen der Generation Praktikum auf einen Sitz im Leben oder Platz in dieser Gesellschaft denkt, hat man auf alle Fälle das Gefühl, dass hier enorm viel Potential verschenkt wird, oder eben auch verheizt. Ein Potential, das Deutschland dauerhaft verlorengehen wird.
Die größte Gefahr ist die soziale Verwahrlosung
Es klingt kaum glaublich, dass zum Beispiel bei der CPL World Tour 2005 ein Preisgeld von insgesamt 1.000.000 US$ (im Spiel Painkiller) ausgespielt wurde. Ihr Held Kovács hingegen ist froh, wenn er 1.500 Euro im Monat durch das Spielen verdienen kann. Und er zahlt dafür einen hohen Preis. Die meiste Zeit des Tages muss er trainieren, was ihn irgendwann auch nervlich überlastet, er desozialisiert. Was sind für Sie die größten Gefahren beim eSport?
Martin von Arndt: Die größte Gefahr ist meines Erachtens die soziale Verwahrlosung. Ich meine damit nicht Pizzareste in Lesefunden, die sich durch die ganze Wohnung ziehen, sondern einfach das Suchtpotential, das von Spielen ausgeht, das von der PC-Arbeit an sich ausgeht. Ich habe das bei mir selbst und meinem spielsüchtigen Freund beobachtet: Wenn wir intensiv gespielt haben, habe ich Verabredungen sausen lassen, andere, besonders geschäftliche, nicht mehr eingehalten, habe den Telefonstecker gezogen und die Klingel abgestellt, weil ich mich an dieser entscheidenden Stelle und in jener Map jetzt partout nicht stören lassen konnte. Nur war dann irgendwann jede Stelle eine entscheidende Stelle. Und ich wollte mich von dieser Welt da draußen an sich nicht mehr stören lassen. Natürlich bin ich mir bewusst, dass alles potentielle Suchtgefahr beinhaltet für eine bestimmte Klientel. Aber interessanterweise wird diese Klientel immer größer, und die stationäre Betreuung von Spielsüchtigen durch eGames immer mehr zu einem Thema, wenn man den Statistiken trauen darf.
IL-2 Sturmovik gilt als 2.Weltkriegs-Flugsimulation. Es werden Einsätze der Luftwaffen der Achsenmächte und der Alliierten während des Russlandfeldzugs im 2. Weltkrieg simuliert. Ihr Roman ist mit ego shooter betitelt, aber steht das Abschießen feindlicher Flugzeuge wirklich in Vordergrund dieses Computerspiels?
Martin von Arndt: Nein, tatsächlich spielt mein Protagonist in erster Linie Flugsimulationen, nur ganz selten (und eher widerwillig) First Person Shooter. Dass wir uns trotzdem auf den Titel ego shooter geeinigt haben, hatte einen einfachen Grund: Wenn man den Titel wörtlich nimmt, kann er bedeuten, dass jemand sein Ego abschießt, also sein Ich-Bewusstsein. Diese Doppeldeutigkeit war mir wichtig, denn letztendlich beginnt Kovács ein Spiel mit sich selbst, und der Einsatz dieses Spiels ist nichts weniger als sein eigenes Leben. Deshalb ist er für mich ein Ego-Shooter. Dahinter steckte übrigens auch kein Werbekalkül, der Titel ist eher widerstrebend seitens der Buchwirtschaft angenommen worden, weil man einem deutschen Buch traditionell eben keinen englischen Titel geben sollte, so marktschreierisch der auch sein mag.
Die Älteren können oder wollen nicht loslassen, der Generationenwechsel wird also verschoben
Wie waren die Reaktionen auf ihr Buch beim jüngeren Publikum? Sie haben es auch an Schulen vorgestellt ...
Martin von Arndt: Interessanterweise durchweg positiv, zumindest in der gymnasialen Oberstufe. Die Lehrer waren zufrieden, weil sie zum ersten Mal mit einem Buch auch Jungs dort abholen konnten, wo sie sich ohnehin dauernd rumtreiben, und gar nicht so wenige Mädchen haben mir gesagt, daß sie jetzt zum ersten Mal verstehen, was ihren Freund dauernd so am PC kleben läßt. Vor allem waren die Kids froh darüber, dass sie mal nicht stigmatisiert werden, wenn es um das Thema geht.
Und die Älteren?
Martin von Arndt: Reagieren bisweilen etwas hilflos. Einige haben Berührungsängste mit dem Thema, weil sie wohl befürchten, überhaupt nichts zu verstehen; andere fühlen sich auf den Schlips oder worauf auch immer getreten. Besonders Vertreter der 68er, die stramm nach rechts marschiert sind auf ihrem Marsch durch die Institutionen und noch immer nicht verstehen wollen, dass jetzt sie diejenigen sind, die eine ganze - meinethalben auch nur Dreiviertel einer - Generation durch die Mangel drehen (Mangel im wahrsten Sinne des Wortes). Bezeichnend fand ich, dass ein Redakteur eines süddeutschen Provinzblattes soweit gegangen ist zu leugnen, dass es so etwas wie einen gesellschaftlichen Generationenkonflikt im Augenblick überhaupt gibt, schließlich sei in diesem Lande noch immer ein jeder seines Glückes Schmied. Je konservativer das Lesepublikum, desto bitterer (und teilweise auch dümmer) die Reaktionen auf das Buch.
Der Generationenkonflikt, den Sie exemplarisch an Kovács ausschildern – inwieweit spielt da die technische Dimension mit hinein? Man könnte ja folgendermaßen argumentieren: Dass ein gesellschaftlicher Konflikt immer dann auftritt, wenn die eine gesellschaftliche Gruppe die andere nicht mehr versteht. Wie bewerten Sie den Faktor der Technik in diesem Zusammenhang?
Martin von Arndt: Ich glaube, dass dieser Faktor überschätzt wird. Natürlich fühlen sich Teile der Älteren abgehängt durch die rapide Entwicklung im Computerwesen, aber ich habe nicht den Eindruck, dass sie darin ein echtes Konfliktpotential sehen oder ausagieren würden. Da ist eine gewisse Hilflosigkeit, auch was das Thema Gaming angeht, aber die spüre ich schon in meiner Zwischengeneration. Gar nicht selten kommen verstörte Eltern nach den Lesungen auf mich zu und fragen mich, was man machen kann, wenn das Kind spürbar "entgleitet", weil es einfach nicht mehr vom PC wegzubekommen ist. Da sagt der Psychologe in mir dann ganz unpsychologisch: Mitspielen! Da weiß man wenigstens einigermaßen, was im Jugendzimmer passiert.
Und das echte Konfliktpotential?
Martin von Arndt: Echtes Konfliktpotential sehe ich eher auf der anderen Seite. "Generationenkonflikt" bedeutet für mich in erster Linie einen sozialen, politischen oder kulturellen Gegensatz zwischen den Generationen, der in erheblichem Maße zu Spannungen führt. An den Schaltzentren der Macht erleben wir in diesem Land, dass die Älteren nicht loslassen können oder wollen, der Generationenwechsel also verschoben, aufgehalten wird (man denke beispielsweise an das Machtgerangel in der CSU), aber auch in den Schaltzentren von Kultur und Wirtschaft. Und nicht allein in den Schaltzentren, das fängt schon sehr sehr früh an, im mittleren Management etwa, besonders auch in der Kultur.
Typisch für meine, in der Kohl-Ära aufgewachsene Generation ist nun, dass man sich nicht solidarisiert und nicht den Generationenkampf sucht, um Terrain zu gewinnen, so wie es die 68er getan haben, sondern dass man ausweicht. Ich denke, dass das Ausweichen nicht zuletzt in technische Dimensionen seitens der jüngeren Generation(en) symptomatisch ist für eine Gesellschaft, die im Reformstau lebt und die einfach nicht mehr in der Lage ist, sich auf einen ernsthaften und ernst gemeinten Diskurs einzulassen, und sich stattdessen bei "Anne Will" Scheingefechte im Vakuum liefert.