Von der Kneipe zur Millionen-Show: Die Darts-WM 2025 im Ally Pally
Tausende, auch aus Deutschland, zieht es zur Darts-WM nach London. Gespielt wird um Millionen – der neue Unterhaltungssport 2025? Ein Porträt.
Ab dem 15. Dezember 2024 kämpfen 96 Teilnehmerinnen und Teilnehmer um die Krone des Dartsports. Austragungsort ist die altehrwürdige und von sportbegeisterten Zuschauern und Teilnehmenden gleichermaßen glorifizierte Alexandra Palace Hall.
Darts als neuer Unterhaltungstrend
Auf einem Hügel im Norden Londons im Stadtteil Haringey gelegen, wird die ursprüngliche Freizeit- und Erholungshalle liebevoll "Ally Pally" genannt. Ihr markanter Tor- und Eingangsbogen wird in den Fernsehübertragungen nach jeder Werbepause in Szene gesetzt und dient als Erkennungszeichen.
Bei der Weltmeisterschaft der Präzisionswerfer und 180-Punkte-Jäger bebt die Halle, bis zu 12.000 Zuschauer finden in den "heiligen Hallen" Platz.
Der Alkohol fließt in Strömen, tausende verkleidete Menschen machen das Sportspektakel zur Party – Pappschilder werden hochgehalten, Gesangseinlagen sorgen für Gänsehaut, eine bunte Mischung aus Stadion, Oktoberfest und Karneval.
Erstmals sind 6 deutsche Teilnehmerinnen und Teilnehmer dabei, und die sportlichen Leistungen lassen einen spannenden Kampf um die Krone erwarten.
Unter den verrückten Fans sind auch immer mehr Deutsche. Die Ticketpreise liegen – auf dem regulären Markt des ausrichtenden Verbandes PDC – zwischen 50 und 95 Pfund (ca. 60 bis 110 Euro). Seit Jahrzehnten kennt die Entwicklung des einstigen Kneipensports nur einen Weg: Größer, erfolgreicher, populärer – der neue Unterhaltungstrend an tristen Weihnachtstagen?
Zurück zu den Wurzeln auf englischem Boden: Am Anfang war der Pub
Es ist kein Zufall, dass die Weltmeisterschaft auf englischem Boden stattfindet und der PDC-Zirkus damit wieder auf die Insel zurückkehrt, nachdem er im Laufe des Jahres in vielen Ländern und auf verschiedenen Kontinenten Station gemacht hat. Der Wurf auf Präzision hat eine jahrtausendealte Tradition, es ist vorstellbar, dass schon die Urmenschen mit Gegenständen auf Holz geworfen haben, um sich zu messen.
Der Dartsport in seiner heutigen Form entstand in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Großbritannien. Als Vorbild dienten die Jahresringe eines Baumes als Zielscheibe – das Punktesystem erfand der Brite Brian Gamlin.
Entscheidend für den Siegeszug der Pfeile war jedoch ein anderer Faktor. 1908 wurde Darts als Geschicklichkeitsspiel anerkannt und durfte fortan in den Pubs und Bars aller Städte gespielt werden. Sein Siegeszug in bierseliger Runde war nicht mehr aufzuhalten.
Zeitsprung: 1972 wurde erstmals ein Dart-Turnier im Fernsehen übertragen – zum Vergleich: zwei Jahrzehnte zuvor wurde das Fußballspiel St. Pauli gegen SV Hamborn 07 live übertragen.
1977 fand die erste Version der heutigen Weltmeisterschaft statt – der damalige Sieger Eric Bristow, der 2018 verstarb, gilt als Legende und kommentierte das Event lange Jahre für Sky Sport. Anekdote: Der Begriff Dart (franz. flechettes) stammt aus dem Französischen und leitet sich von den speerähnlichen Waffen (den Darts) ab, die die Franzosen in der Schlacht einsetzten.
Der Legende nach soll Anne Boleyn (Königin von England 1533-1536) ihrem Gemahl Heinrich VIII. einen Satz dieser Pfeile geschenkt haben.
Am Anfang waren Könige, Schlachten und Pubs. Auch wenn sich in den letzten Jahren ein Pub-Sterben abzeichnete, wird ihre Zahl in England und Wales auf 39.404 geschätzt. Heute dominieren – abseits von regionalen Ligen und kleinen Duellen zwischen Tresen und Zapfhahn – millionenschwere Turniere und TV-Übertragungen.
Karneval an kalten Tagen
Eine gängige Lehrmeinung der Marketingtheorie des neoliberalen Kapitalismus lautet, dass Produkte ihre Nische brauchen, um verkauft zu werden. Auf den ersten Blick: An sportlichen Hochleistungsduellen herrscht – dank durchkommerzialisiertem Spitzensport à la Champions League – kein Mangel, eine Nische ist schwer auszumachen.
Zu dominant scheinen Fußball und Co. Doch auf den zweiten Blick entpuppt sich die Ansetzung der WM in London als terminliche Meisterleistung – Dart-WM trifft auf Bundesliga-Winterpause und arbeitsfreie Tage.
Die Duelle um Sets, Legs und Check-Outs fallen in eine Zeit sportlicher Unterhaltungstristesse. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2006 schauen 64 Prozent der Deutschen über die Feiertage viel fern, vor allem Männer wollen Sport sehen. An Heiligabend und den beiden Feiertagen ruht zwar der Spielbetrieb, doch davor und danach sind die Spieler gefordert.
Der Hallenkarneval lässt die Kassen klingeln: Über 2,5 Millionen Pfund (2,9 Millionen Euro) Preisgeld werden ausgespielt. Die Gewinne der Spielerinnen und Spieler steigen mit jeder Runde deutlich an. Der Sieger verlässt die Halle als Halbmillionär mit umgerechnet 580.000 Euro.
Insgesamt schüttet der Dachverband PDC 17 Millionen Euro im Jahr aus. Aber auch abseits der Profis sind die Wachstumsraten beachtlich: Die verschwiegene Branche der Ausrüstungshändler nennt der Süddeutschen Zeitung keine Zahlen, aber seit 2005 sind die Zuwachsraten zweistellig.
Die Zahl der Spielerinnen und Spieler in Deutschland wird auf 150.000 geschätzt, die in einer stark wachsenden Zahl von Vereinen organisiert sind. Auch die PDC tourt seit Jahren durch Deutschland – die Hallen der Pro-Spiele in Frankfurt, Berlin oder Neuss sind stets ausverkauft.
Zu guter Letzt: Nach eigenen, schwer überprüfbaren Angaben hat die PDC für 2023 einen Gewinn von 11,9 Millionen Pfund ausgewiesen.
Dabei sind alle volkswirtschaftlichen Nebeneinnahmen – Flüge für die Anreise, Hotelunterbringung, Catering, Werbung oder Merchandising – mit eingerechnet. Der Karneval der Pfeile ist auch ein Pfund-Fest. Der Reiseveranstalter DerTour wirbt mit einem eigenen Dartpaket als Reise – raus aus der Nische, rein in den Mainstream.
Lucky Luke und Little Luke
Sportlich wird es ein enger Tanz um die Trophäe. Neben dem Titelverteidiger Luke Humphries, der in diesem Jahr das prestigeträchtige World Matchplay gewinnen konnte, gibt es eine Reihe ambitionierter Teilnehmer.
Michael van Gerwen (3. der PDC Order of Merit), markanter Glatzkopf und Weltmeister von 2014, 2017 und 2019, will angreifen. Sein Namensvetter Michael Smith, genannt der Bully Boy, ist Zweiter der Rangliste und rechnet sich durchaus Chancen aus.
Zum Favoritenkreis zählt auch Rob Cross (Platz 5) – mit starken Leistungen ist er derzeit vielleicht der Formste.
Doch was wäre der Dart-Zirkus ohne ein Wunderkind? Mit Luke Littler greift ein 17-Jähriger nach den Sternen – er scheiterte im Vorjahr erst im Finale, gewann die Premier League Darts und scheint die unaufhaltsame Zukunft des Sports zu sein.
Den deutschen Kandidaten – allen voran Gabriel "The German Giant" Clemens und Martin Schindler – werden kaum Chancen auf den Titelgewinn eingeräumt.
Allerdings hat Clemens schon einmal das Halbfinale erreicht, Schindler gewann in diesem Jahr die Swiss Dart Trophy und die Halle, die teilweise in deutscher Hand ist, kann Berge versetzen.
Favoritenstatus hat aber keiner der Deutschen. Zwar können sich die deutschen Fans auf viele Spiele mit deutscher Beteiligung und sicherlich auch auf die eine oder andere Überraschung freuen – den Titel werden aber Littler, Humphries, Cross und Van Gerwen unter sich ausmachen.
Sicher ist, dass Millionen einschalten werden, nur um sich die langweiligen Tage "zwischen den Jahren" zu vertreiben, wenn es heißt: "Game on!"