Von der Ukraine zum Atomkrieg? 91 Milliarden US-Dollar für das Ende der Menschheit

Josef Mühlbauer, Karl-Wilhelm Koch, Rolf Bader, Bernhard Trautvetter, Klaus Moegling
Europakarte mit Nato- und EU-Staaten. Atomzeichen vun EU-Sternen umrandet

Atommächte geben jährlich eine unfassbare Summe für ihre Arsenale aus. Weltweit lagern rund 12.000 Nuklearwaffen ja. Bei einem Versagen der Abschreckung droht eine Katastrophe. (Teil 2 und Schluss)

Die für das Jahr 2023 zusammengestellten Zahlen zeigen, dass es weltweit insgesamt ca. 12.000 Atombomben gibt. Davon sind in Russland und den USA jeweils ca. 1.700 sofort einsetzbar. In Frankreich sind 280 und in Großbritannien 120 Atombomben sofort einsetzbar.

Die anderen Atomwaffenstaaten verfügen offenbar nicht über sofort einsetzbare Atombomben, die Frage, wie schnell diese aus der Reserve einsetzbar sind, dürfte zwischen wenigen Tagen und mehreren Wochen liegen.

2023 gaben die Atommächte zusammen 91 Milliarden US-Dollar (85 Milliarden Euro) für ihre Arsenale aus (Ican). Die USA investierten laut Ican-Bericht 51,9 Milliarden US-Dollar in ihre Atomwaffen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dieses Geld nur für den Unterhalt, die Wartung und die regelmäßige Modernisierung der Waffen und Bestände verwendet wird. Moderne (wie auch die alten) Atombomben können nicht für etwa zehn Jahre eingemottet und bei Bedarf hervorgeholt werden.

Sie müssen auch wegen der radioaktiven Zerfallsprozesse regelmäßig überholt werden. Da sich die Infrastruktur dafür bei der Auflösung der UdSSR im russischen Kernland befand und in den anderen Ländern (Ukraine, Kasachstan, Belarus) hätte neu aufgebaut werden müssen, war dies einer der Gründe für den freiwilligen Verzicht auf die Weiterführung der nuklearen Bewaffnung.

Die Strategie der nuklearen Abschreckung ist weder politisch noch technisch stabil. Um ihre Wirksamkeit und Glaubwürdigkeit zu erhalten, sind ständig neue Aufrüstungsschübe erforderlich. Zudem arbeiten beide Seiten immer wieder an der Herausforderung, einen "Enthauptungsschlag" führen zu können und dabei die Zweitschlagkapazität des Gegners so zu zerstören, dass dieser nach einem Angriff nicht zurückschlagen kann.

Die Folgen dieser Strategie sind Krisenanfälligkeit, Konfrontation und Ressourcenverschwendung. Auf der Ebene des politischen Handelns ist der Preis dieser Sicherheit eine permanente gefährliche Grenzsituation, deren Überschreitung katastrophale Folgen für die Menschheit hätte.

Der INF-Vertrag zwischen den USA und Russland wurde gekündigt, obwohl er auf unbegrenzte Zeit geschlossen wurde. Auch die Verträge zwischen den beiden Staaten über die Begrenzung der Raketenabwehr (ABM) und über den "Offenen Himmel" (Open Skies) sind gekündigt.

Der New-Start-Vertrag über die strategischen Nuklearpotentiale ist außer Kraft gesetzt, der Umfassende Teststoppvertrag (CTBT) ist noch nicht in Kraft getreten. Rüstungskontrollverhandlungen sind ausgesetzt und finden zwischen den Kernwaffenstaaten derzeit nicht statt.

Weltweit besitzen die Nuklearwaffenstaaten ca. 12.000 Nuklearwaffen. Es gibt keine Garantie, dass diese Waffen nicht eingesetzt werden, wenn die Abschreckung versagt. Wir befinden uns heute in einer politischen Grenzsituation, in der wir uns keine entscheidenden Fehler mehr leisten können.

Bei einem Versagen kämen Vernichtungspotentiale zum Einsatz, die nicht nur durch Strahlung und Sprengkraft, sondern auch durch den dadurch ausgelösten nuklearen Winter den größten Teil des Lebens auf unserer Erde auslöschen würden. Es stellt sich die berechtigte Frage, wann unsere Gnadenfrist abgelaufen ist.

Der Krieg in der Ukraine, der vor allem um die dort reichlich vorhandenen Rohstoffvorkommen geführt wird, birgt die Gefahr einer nuklearen Auseinandersetzung – insbesondere dann, wenn sich die derzeit so harmonisch verbundenen Wege von Putin und Trump wieder trennen sollten.

Alternativen zur Nato als Ausweg?

Carlo Masala, Professor für Internationale Politik an der Fakultät für Staats- und Sozialwissenschaften der Universität der Bundeswehr München, plädiert für einen nuklearen Schutzschirm Europas. Auch die Position des Berliner Politikwissenschaftlers Herfried Münkler, dass es eine EU-Atombombe geben müsse, trage wenig zu einer diplomatischen Offensive und Deeskalation bei – so Münkler:

Die Briten haben zwar Atom-U-Boote, Frankreich die Bombe, aber werden sie die wirklich einsetzen, um Litauen oder Polen zu schützen? Das darf man aus Sicht des Kreml bezweifeln. Wir brauchen einen gemeinsamen Koffer mit rotem Knopf, der zwischen großen EU-Ländern wandert.

Münkler plädiert in diesem Zusammenhang für eine massive Aufrüstung der europäischen Staaten und der EU, um Russland abzuschrecken. Diese Überlegungen greift die einstige Europa-Spitzenkandidatin der SPD, Katharina Barley, auf und fordert ebenfalls, über eine europäische Atombombe nachzudenken – insbesondere angesichts der zukünftig zu erwartenden Unzuverlässigkeit der USA.1

Der Aufbau eines neuen Nukleararsenals wäre um ein Vielfaches teurer, auch wenn die absolute Zahl der Bomben geringer wäre als bei den heutigen "Supermächten".

Die Drohung mit dem Austritt der USA aus der Nato, hauptsächlich die Drohung mit dem Entzug des nuklearen Schutzschildes für die Nato-Partner, kommt – zusammen mit den begleitenden Äußerungen Trumps – einer erpresserischen Schutzgeldforderung gleich. Und das stellt die europäischen Nato-Partner (wie auch Kanada) vor die kurzfristig zu lösende Frage nach neuen Bündnisstrukturen.

Die Nato ist spätestens seit Ende Februar und den ersten Märztagen 2025 Geschichte. Mit der denkwürdigen Demontage Selenskyjs vor laufenden Kameras durch Trump und Vance und den folgenden Äußerungen und Taten (u. a. sofortige Streichung der US-Militärhilfe und Aufklärungsunterstützung für die Ukraine) ist der Weg der USA aus dem Bündnis heraus – wenn nicht gar der Wille zur Zerstörung – unübersehbar.

Eine Chance für ein neues Verteidigungsbündnis bestünde, wenn sich die europäischen Nato-Partner und Kanada schnell einigen könnten. Eine Einigung innerhalb der EU ist aufgrund der Haltung Ungarns und der Slowakei (pro Putin) sowie Österreichs und Irlands (Neutralität) derzeit nicht absehbar.

Sollte eine Einigung in zügigen Verhandlungen erzielt werden können, so wäre dies möglich: Die bisherige Aufgabe als "Weltpolizist" mit Einsätzen auch im pazifischen und asiatischen Raum wäre für die neue "Euto" eine völlige Überforderung und auf Jahrzehnte nicht leistbar. Eine Verteidigung des europäischen Raumes (und ggf. Kanadas) gegen mögliche Angriffe Russlands wäre dagegen mit erheblichem finanziellem Aufwand organisierbar.

Dazu sind drei Modelle unter Einbeziehung der nuklearen Abschreckung denkbar:

1. Frankreich und/oder Großbritannien behalten den vollen Zugriff auf ihre Nuklearwaffen und bieten den anderen Ländern – ggf. untereinander koordiniert – eine Schutzgarantie gegen Kostenbeteiligung an. In beiden Fällen wäre das Konstrukt sehr fragil und könnte z. B. bei einem Wahlerfolg von Le Pen in Frankreich sofort kippen.

2. Frankreich, GB und evtl. weitere Staaten (die den NVV kündigen und Atommacht werden – Deutschland?) bilden gemeinsam den notwendigen Schutzschirm. Die notwendige Abstimmung im Falle eines Einsatzes dieser Atomwaffen würde eine Koordination erfordern, die in den wenigen verbleibenden Minuten faktisch nicht leistbar sein könnte. Die Verantwortung für den Einsatz verbliebe in diesem Fall bei den nationalen Regierungen, was Reaktionen nahezu unplanbar machen würde.

3. Die Schaffung einer EU-Nuklearstreitmacht würde die Finanzierung am ehesten ermöglichen. Allerdings bliebe dann die zentrale – derzeit offenbar unlösbare – Frage: Wer hätte die oberste Entscheidungsgewalt, d. h. die Verfügung über den "roten Knopf"? Die EU-Kommission? Ihr Präsident? Eher nicht ...

Weder Frankreich noch Großbritannien verfügen über eine große Zahl landgestützter Trägersysteme, sodass die Androhung eines massiven Gegenschlags beim gegenwärtigen Stand der Rüstung nicht glaubhaft gemacht werden kann. Zudem verfügt Großbritannien nicht einmal über Flugzeuge als Trägersysteme.

Die Reichweite der französischen Flugzeuge ist mit 2.000 Kilometer deutlich geringer als die der Russen und der USA (über 7.000 Kilometer), was vermutlich darauf zurückzuführen ist, dass die USA (und vermutlich auch Russland) mit den Langstreckenbombern über Flugzeuge verfügen, die mit Luftbetankung im Krisenfall rund um die Uhr einsatzfähig sind, während Frankreich nur über konventionelle Bomber als Träger verfügt (IMI).

Die Kostenfrage könnte ein Argument für den Ausbau eines europäischen Schutzschirms sein. Allein die regelmäßigen Wartungskosten sprengen die Budgets der Nuklearmächte. Der Neuaufbau einer Nuklearbewaffnung z.B. in Deutschland wäre aber – selbst bei den jetzt geplanten Steigerungen der Rüstungsausgaben – nicht bezahlbar, es sei denn, alle anderen Waffengattungen gingen leer aus, die Wehrpflicht würde noch nicht wieder eingeführt, es gäbe keine Kasernen und sonstige Infrastruktur etc.

Nukleare Katastrophen nicht nur durch Atomwaffen

Eine weitere Gefahr einer nuklearen Katastrophe im geopolitischen Kampf um die ukrainischen Rohstoffe und die Ausweitung des eigenen Machtbereichs besteht darin, dass es in der Ukraine 15 Atomreaktoren und in Tschernobyl neben dem Altreaktor des GAUs von 1986 ein riesiges, nahezu ungeschütztes Atommülllager gibt. Die Sicherheit dieser Anlagen hängt von der Gewährleistung einer kontinuierlichen Kühlung ab, um eine Kernschmelze zu verhindern.

Die Folgen einer Kernschmelze wären verheerend:

Ein geschmolzener Reaktorinhalt besteht unter anderem aus hochradioaktivem Uran sowie dem extrem strahlendem, hochgiftigem Plutonium.

Plutonium gehört zu den gefährlichsten bekannten Stoffen. Hinzu kommen diverse weitere radioaktive Isotope wie Cäsium 137 ... Diese Stoffe würden sich durch eine Explosion in der Umgebungsluft oder im worst case wie 1986 zehn km hoch in den Jetstreams verteilen oder sich mit der geschmolzenen Masse aus Brennstäben und Metall ins Erdreich fressen.

Bei der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl wurden 1986 große Mengen Cäsium 137 freigesetzt, die bis nach Nord- und Westeuropa sowie bis in die Türkei gelangten, sich auf Feldern und Weiden ablagerten und von dort bis heute in die menschliche Nahrungskette gelangen.

Zeit Online

Die Nuklearisierung des Krieges ist seit 2022 eine allgegenwärtige Gefahr.

Alle Bemühungen, von wem auch immer, Waffengänge zu verhindern, diplomatische Lösungen zu finden und Abrüstung einzuleiten, sind im Interesse des Überlebens.

Gemeinsame Sicherheit als Chance

Um die drohende Klimakrise, die bestehenden Konfliktherde und das weltweite Hungerproblem zu lösen, bedarf es nicht einer Verschärfung des öko-imperialen Kampfes um Rohstoffe bis hin zu einer nuklear geführten Kriegssituation, sondern einer Sicherheitsstrategie, die zur Konfliktlösung beitragen kann.

Der Palme-Bericht zur "Gemeinsamen Sicherheit", der 1982 den Vereinten Nationen vorgelegt wurde, könnte in seinen Empfehlungen auch heute noch wegweisend sein. Damals, mitten im Kalten Krieg, forderte er die Rückkehr zu Rüstungskontroll- und Abrüstungsverhandlungen, die auch heute wieder auf der Agenda der internationalen Politik stehen. Dahinter steht das Konzept eines erweiterten Sicherheitsverständnisses, in dem nicht die militärische Perspektive dominiert – so Corinna Hausweder (2006, 731) in den Blättern für deutsche und internationale Politik:

Wirksame Sicherheitsvorsorge ist demgegenüber in hohem Maße die Kunst, durch Dialog und Vertrauensbildung Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sich rivalisierende Erwartungen und Interessen überhaupt erst artikulieren können.

Auch wenn die Revitalisierung dieses Konzepts in der gegenwärtigen Situation schwierig erscheint, ist "Gemeinsame Sicherheit" ein Wegweiser.

Insbesondere bietet "Gemeinsame Sicherheit" die Chance, gegensätzliche geopolitische Interessen auszugleichen und eine Tür für Verhandlungen zu öffnen. Dies gilt für den Krieg in der Ukraine ebenso wie für alle anderen Krisenherde der Welt.

Die Konzeption einer Friedensordnung in gemeinsamer, weil gegenseitiger Sicherheit ist durch wichtige Texte der europäischen Politik zu einer rechtlichen Verpflichtung für die Staaten der Nato und Europas geworden. Unter anderem die Präambel des Vertrags zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten, die Charta von Paris und die OSZE-Sicherheitscharta enthalten sie als vereinbarte Friedensgrundlage, die auf Olof Palme, Willy Brandt und Michail Gorbatschow zurückgeht und in der KSZE-Schlussakte von Helsinki bereits 1975 vereinbart wurden. Die ökologisch-sozialen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts können nur in ihrem Rahmen bewältigt werden.

Fazit: Mit brutalem Eigeninteresse geführt

Im Konflikt zwischen den USA, Europa und der Russischen Föderation,

  • aktuell ausgelöst durch den völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, der nicht legitimiert werden kann und ein schweres internationales Verbrechen darstellt,
  • verschärft durch das absurde, vertragsbrüchige Verhalten der neuen US-Administration unter Trump gegenüber Partnern und bisherigen Verbündeten,

geht es nicht nur um die geopolitische Vorherrschaft in einer Region, sondern auch um öko-imperiale Interessen. Diese werden inzwischen von beiden nuklearen Supermächten mit brutalem Eigeninteresse ausgetragen.

Der Kampf um die umfangreichen ukrainischen Rohstoffe und um die Hierarchie zwischen den Mächten hat sich dadurch noch einmal massiv verschärft und ist noch nicht entschieden. Die derzeit zu beobachtende Loslösung der USA von der Nato und ihre Hinwendung zur russischen Regierung verweist auf die Notwendigkeit, dass sich die westlichen Nato-Staaten (ohne die USA) sowie die bisherigen Verbündeten und Partner der Nato neue Bündnisstrukturen schaffen.

Dies könnte ein europäisch ausgerichtetes internationales Bündnis sein, das zwar über eigene Nuklearwaffen verfügt (Frankreich und Großbritannien), sich aber bereits jetzt für die Wiederaufnahme von Abrüstungsverhandlungen mit dem Ziel der Reduzierung des nuklearen Bedrohungspotenzials einsetzt.

Der bereits laufende und in Zukunft verstärkt zu erwartende Kampf um Rohstoffe – seien sie fossiler Natur oder für die digitale und energetische Wende notwendig – darf in seiner Zuspitzung nicht zum Ausbruch einer nuklear geführten Auseinandersetzung führen.

Ökoimperialistische Interessen sind zurückzudrängen zugunsten gemeinsamer Absprachen betroffener Staaten und Bündnissysteme, die eine naturverträgliche und an ökologisch schonender Renaturierung orientierte Nutzung von Rohstoffen vorsehen.

Zu den Autoren:

Josef Mühlbauer, Politikwissenschaftler, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Empowerment for Peace, Autor und Leiter des Podcasts auf YouTube "Varna Peace Institute".

Karl-Wilhelm Koch, pensionierter Lehrer (Gymn. Oberstufe und Berufsschule, Chemie, Umwelttechnik und Mathematik, Dipl. Ing. (chem.)), Fachbuchautor (u.a. "Störfall Atomkraft"), Verleger und Publizist. Mitglied bei B90/Die Grünen, Vorsitzender des parteiunabhängigen Vereins Grünen Alternative e.V.

Rolf Bader, Dipl. Pädagoge, ehem. Offizier der Bundeswehr, ehem. Geschäftsführer der Deutschen Sektion der Internationalen Ärzte/-innen für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte/-innen in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW).

Bernhard Trautvetter, u.a. Autor, aktiv im Essener Friedensforum und im Bundesausschuss Friedensratschlag.

Klaus Moegling, habilitierter Politikwissenschaftler, zuletzt apl. Professur am Fb Gesellschaftswissenschaften der Universität Kassel, i.R., Autor von "Neuordnung. Eine friedliche und nachhaltig entwickelte Welt ist (noch) möglich". Frei lesbar in der 6. aktualisierten und erweiterten Auflage.