Vor Krisentreffen: So wirbt das Kanzleramt um die Migrationspolitik der Ampel
Bundesregierung und Länder diskutieren verschärfte Regelungen. Wird das reichen? Telepolis dokumentiert Schreiben des Kanzleramtes.
Nach dem islamistischen Terroranschlag in Solingen, bei dem drei Menschen ihr Leben verloren, hat die Bundesregierung ein Maßnahmenpaket zu Migration und Sicherheit auf den Weg gebracht.
Dieses Paket soll nun Gegenstand einer Runde aus Regierungsmitgliedern, Vertretern der Länder und der Union sein.
Maßnahmenpaket als Reaktion auf das Attentat
Das sogenannte "Sicherheitspaket" enthält drei Kernbereiche: die Verschärfung der Rückführungspraxis abgelehnter Asylbewerber, Maßnahmen zur Bekämpfung des islamistischen Terrorismus und strengere Waffenrechtsregelungen.
So sollen künftig Schutzsuchende, die in einen anderen EU-Staat gehören, keine Leistungen mehr in Deutschland erhalten, sofern das andere Land zur Rücknahme bereit ist.
Auch ein Verbot von Springmessern und ein erleichterter Ausschluss von Straftätern vom Schutz in Deutschland sind Teil des Pakets. Weiterhin wird eine Arbeitsgruppe eingesetzt, um das Dublin-Verfahren zu optimieren.
Teilnehmer und Positionen
An den Beratungen nehmen hochrangige Regierungsmitglieder teil, darunter Innenministerin Nancy Faeser (SPD), Justizminister Marco Buschmann (FDP) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Die Union wird unter anderem von Thorsten Frei (CDU) vertreten, während die Länder durch Hessen für die Union und Niedersachsen für die SPD-Seite repräsentiert werden.
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Die Union fordert unter anderem verstärkte Grenzkontrollen und konsequentere Zurückweisungen an den Grenzen sowie eine umfassendere Anwendung der Dublin-Regelungen. Hessens Regierungschef Boris Rhein (CDU) plädiert zudem für Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien und den Entzug der Staatsbürgerschaft für Straftäter und Gefährder.
Kritik und Skepsis
Vor dem Treffen mahnte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann zur Zurückhaltung bezüglich der Erwartung. Experten wie der Migrationsrechtler Maximilian Pichl von der Hochschule Rhein Main äußerten Bedenken bezüglich der Vereinbarkeit einiger geplanter Maßnahmen mit der Menschenwürde und dem Sozialstaatsgebot.
Ausblick und Kontroversen
Die Bundesregierung plant, nach den Gesprächen keine weiteren Informationen zu kommunizieren, da die Runde als vertraulich angesetzt ist. CDU-Chef Friedrich Merz erklärte jedoch, dass bei ausbleibender Einigung keine weiteren Gespräche geführt werden sollten.
Das Treffen zeigt das Bestreben der Bundesregierung, auf die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus zu reagieren und gleichzeitig die Migrationspolitik zu straffen. Doch es offenbart auch die Spannungen zwischen den politischen Akteuren und die Herausforderungen, die die Umsetzung solcher Maßnahmen mit sich bringt.
In einem Rundschreiben an den Bundestag hatte das Kanzleramt bereits Mitte vergangener Woche für die Migrationspolitik geworben und eine Reihe von Verschärfungen hervorgehoben.
Telepolis dokumentiert das Papier nachfolgend im Wortlaut.
Verbesserungen bei Abschiebungen
Bund und Länder eint die Überzeugung, dass es darum geht, irreguläre Migration deutlich und nachhaltig zu senken. Dazu gehört auch, dass diejenigen, die in Deutschland kein Bleiberecht haben, das Land schnell wieder verlassen. Die Bundesregierung hat seit Regierungsübernahme die Möglichkeiten zur Abschiebung von Ausländern deutlich verbessert.
Alle Maßnahmen sind in enger Abstimmung mit den 16 Ländern erfolgt. Denn die Länder sind nach der Verfassungsordnung dafür zuständig, abgelehnte Asylbewerber zurückzuführen. Es wurden die Wünsche der Länder erfüllt; alle konkreten Vorschläge wurden zügig umgesetzt.
Der Bundeskanzler und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder haben dazu im vergangenen Jahr intensiv beraten und entsprechende Beschlüsse gefasst. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe mit den Fachleuten aus der Praxis unter der Leitung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat hat alle rechtlichen Hemmnisse identifiziert, die Abschiebungen vor Ort behindern. Der Gesetzentwurf wurde im Vorfeld mit den Ländern und kommunalen Spitzenverbänden diskutiert, die entsprechenden Verbesserungsvorschläge wurden eingearbeitet. Das so im Sinne der Praxis optimierte Gesetz zur Verbesserung der Rückführung ist am 26. Februar 2024 in Kraft getreten. Es enthält insbesondere folgende Regelungen:
1. Mehr Zeit für die Vorbereitung von Abschiebungen:
Was bedeutet das: Wenn jemand abgeschoben werden soll, kann er in Gewahrsam genommen werden, wenn das für die Durchführung der Abschiebung erforderlich ist. Die Person wird also vorübergehend in einer speziellen Einrichtung festgehalten, bis die Rückführung erfolgt. Früher durfte dieser "Ausreisegewahrsam" maximal 10 Tage dauern, jetzt sind es bis zu 28 Tage. Die 28 Tage sind die nach dem Europarecht maximal zulässige Zeit.
Warum ist das wichtig: Die längere Frist gibt den Behörden mehr Zeit, die nötigen Papiere zu beschaffen und den Rückflug zu organisieren. Oft dauern solche Vorbereitungen länger als 10 Tage, insbesondere, wenn die Herkunftsländer erst die notwendigen Dokumente ausstellen müssen.
2. Abschiebehaft bei erneuten Asylanträgen:
Was bedeutet das: Manche Menschen stellen nach Ablehnung ihres Asylantrages weitere Asylanträge, obwohl sich an der Sachlage nichts verändert hat. Das hat bisher ihre Abschiebung verzögert. Jetzt können die Behörden auch dann eine Abschiebehaft verhängen, wenn ein erneuter Asylantrag gestellt wird, nachdem der erste bereits abgelehnt wurde.
Warum ist das wichtigf: Der Abschiebeprozess soll nicht durch erneute Anträge verzögert werden. Es sollen langwierige Gerichtsverfahren vermieden werden, die nur dazu führen, dass sich Verfahren in die Länge ziehen.
3. Schnellere Abschiebungen trotz Klagen:
Was bedeutet das: Bisher haben Personen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, teilweise einen weiteren Antrag mit veränderter Begründung gestellt, der aber keinerlei neue Argumente für einen Schutzbedarf erkennen lässt (Folge- und Zweitantrag). Solche Anträge können nunmehr vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden. Damit haben Klagen gegen diese Entscheidung keine "aufschiebende Wirkung" mehr – auch das erleichtert es, Abschiebungen schnell durchzuführen.
Warum ist das wichtig: Früher musste die Abschiebung oftmals gestoppt werden, bis das Gericht über Folgeanträge entschieden hatte. Nunmehr können auch in solchen Fällen Abschiebungen schnell durchgeführt werden, auch wenn die betroffene Person Klage einreicht. Dies verhindert lange Verzögerungen und beschleunigt den gesamten Abschiebeprozess.
4. Verstöße gegen Einreise- und Aufenthaltsverbote als Haftgrund:
Was bedeutet das: Wenn jemand gegen ein Einreise- oder Aufenthaltsverbot verstößt, kann diese Person jetzt in Sicherungshaft genommen werden, auch ohne dass Fluchtgefahr besteht. Das bedeutet, dass der Verstoß an sich ein ausreichender Grund ist, die Person in Haft zu nehmen, um die Abschiebung sicherzustellen.
Warum ist das wichtig: Dies gibt den Behörden ein zusätzliches Mittel, um Personen, die gegen bestehende Verbote verstoßen, schnell und effektiv zu inhaftieren, bevor sie untertauchen oder sich erneut der Abschiebung entziehen können. Dies macht die Durchsetzung von Ausreiseverpflichtungen deutlich effizienter und sicherer.
5. Behördliches Beschwerderecht:
Was bedeutet das: Wenn ein Antrag auf Abschiebungshaft von einem Gericht abgelehnt wird, haben die zuständigen Behörden jetzt das Recht, dagegen Beschwerde einzulegen. Das bedeutet, dass die Behörden die Entscheidung überprüfen lassen können, wenn sie der Meinung sind, dass die Abschiebungshaft gerechtfertigt ist.
Warum ist das wichtig: Dies stärkt die Position der Behörden und gibt ihnen die Möglichkeit, auf gerichtliche Entscheidungen zu reagieren, die die behördlichen Argumente aus Sicht der vorlegenden Behörde nicht ausreichend berücksichtigt haben. So können richterliche Entscheidungen, die einer Abschiebung entgegenstehen, noch einmal überprüft und ggf. korrigiert werden.
6. Weitere Erleichterungen im Abschiebeverfahren:
Was bedeutet das: Bei Ausreisepflichtigen in Haft müssen Abschiebungen nicht mehr angekündigt werden. Auch wenn jemand eine Duldung von mindestens einem Jahr hatte, muss die Abschiebung grundsätzlich nicht mehr einen Monat vorher angekündigt werden.
Warum ist das wichtig: Durch den Wegfall der Ankündigungspflicht können Abschiebungen effizienter und ohne Verzögerungen durchgeführt werden.
7. Betreten anderer Räume in Unterkünften:
Was bedeutet das: Menschen, die abgeschoben werden sollen, leben oft in Gemeinschaftsunterkünften. Früher durften die Behörden nur das Zimmer der betroffenen Person betreten. Jetzt dürfen sie auch andere Räume betreten und nach der Person suchen.
Warum ist das wichtig: Die Änderung stellt sicher, dass sich die betroffene Person nicht in der Unterkunft verstecken kann. Die Behörden können nun alle Räume in der Unterkunft betreten, um die Person zu ergreifen und die Abschiebung durchzuführen.
8. Einfachere Klärung der Identität:
Was bedeutet das: Die Identität von Betroffenen soll einfacher geklärt werden können. Wenn Betroffene bei der Klärung ihrer Identität nicht mitwirken, kann ihre Wohnung durchsucht werden. So können Unterlagen sichergestellt und Datenträger ausgelesen werden. Dies hilft bei der Feststellung der Identität.
Warum ist das wichtig: Ungeklärte Identitäten sind in der Praxis ein großes Hindernis für Rückführungen. Denn ohne geklärte Identität weigern sich (mutmaßliche) Herkunftsländer, ihre Staatsangehörigen zurückzunehmen. Durch die verbesserten Möglichkeiten soll es leichter werden, die Identität zu klären.
9. Härteres Vorgehen gegen Schleuser und organisierte Kriminalität:
Was bedeutet das: Im Aufenthaltsgesetz ist festgelegt, bei welchen Personen ein besonderes staatliches Interesse an einer Abschiebung besteht (Straftäter, Terroristen, Extremisten). Diese Liste wurde um den Bereich der Schleuser und Organisierten Kriminalität (OK) ergänzt. Eine Verurteilung ist dazu nicht mehr notwendig.
Warum ist gas wichtig: Die Behörden können nun kriminelle Personen im Bereich Schleuser oder OK schneller aus dem Land entfernen, ohne lange Gerichtsverfahren abwarten zu müssen. Dies trägt zu mehr Sicherheit bei und entlastet die Justiz.
10. Entlastung der Behörden:
Das Gesetz enthält neben den Maßnahmen zur Verbesserung der Rückführung weitere Regeln, die den Behörden vor Ort die Arbeit erleichtern sollten. Damit wurde den Wünschen der Länder und Kommunen nach Vereinfachungen der Verfahren entsprochen. So können etwa bestimmte Aufenthaltserlaubnisse oder Aufenthaltsgestattungen mit einer längeren Gültigkeitsdauer erteilt werden, so dass diese Personen nicht so oft persönlich vorsprechen müssen. Damit können sich die Behörden auf die wichtigen und problematischen Fälle konzentrieren.
Fazit:
Das Rückführungspaket sorgt dafür, dass Abschiebungen schneller und effizienter durchgeführt werden können. Die Behörden vor Ort haben nun mehr Zeit und rechtliche Mittel, um Ausreisepflichten durchzusetzen.
Zuständig für die Abschiebungen sind die Länder. Der Bund ist unterstützend tätig. Die Unterstützung des Bundes ist vielfältig: Die Bundespolizei hilft bei der Durchführung von Abschiebungen, Flüge werden organisiert und das Zentrum zur Unterstützung der Rückkehr (ZUR) unterstützt bei der Beschaffung von Passersatzpapieren. Unter anderem durch einen Sonderbevollmächtigten für Migrationsabkommen wurde die Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern intensiviert und verbessert: Ziel sind partnerschaftliche Vereinbarungen zur Migrationszusammenarbeit; dazu gehören insbesondere auch Regelungen zur Rückübernahme ausreisepflichtiger Personen. Der Bund hat entsprechende Abkommen mit Indien und Georgien geschlossen. Weitere Abkommen, z.B. mit der Republik Moldau, Kirgisistan, Usbekistan, Kenia oder den Philippinen sind in der Verhandlung bzw. Vorbereitung. Mit Staaten wie Marokko, Kolumbien und Ghana wurde eine bessere Migrationskooperation in der Praxis vereinbart. Georgien und Moldau wurden als sichere Herkunftsländer eingestuft. Die Europäische Kommission und andere EU-Mitgliedstaaten verhandeln ebenfalls Abkommen zur Verbesserung der Rückkehrkooperation mit Herkunftsländern, zum Beispiel mit Nigeria. Darüber hinaus hat die EU-Kommission eine engere Migrationszusammenarbeit zur Reduktion irregulärer Migration mit Mittelmeeranrainerstaaten vereinbart, insbesondere mit Tunesien, Ägypten, Libanon und Mauretanien.
Darüber hinaus hat die Bundesregierung in der Europäischen Union dafür gesorgt, dass nach fast acht Jahren Verhandlungen endlich eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS) beschlossen wurde. Das System umfasst verpflichtende Grenzverfahren und eine solidarische Verteilung von Schutzsuchenden. Die Bundesregierung wird die neuen europäischen Regeln noch in diesem Jahr in deutsches Recht umsetzen – und das weit vor der offiziell eingeräumten Frist des Jahres 2026. Die Binnengrenzkontrollen an den Landesgrenzen zu Deutschlands Nachbarstaaten bleiben in Kraft, solange die Sicherheits- und Migrationslage dies erfordert.
Die gemeinsamen Anstrengungen von Bund und Ländern zeigen erste Ergebnisse. So ist die Zahl der Asylanträge in Deutschland im Jahr 2024 im Zeitraum Januar bis Juni im Vergleich zum selben Vorjahreszeitraum um gut 20 Prozent zurückgegangen. Die Zahl der Abschiebungen von Januar bis Juni 2024 ist im Vergleich zum Vorjahreszeitraum (Januar bis Juni 2023) um 20 Prozent gestiegen. Im Vergleich des ersten Halbjahres 2024 zum Vergleichszeitraum des Jahres 2021, dem letzten Jahr der Regierung Merkel, sind die Rückführungen um fast 70 Prozent gesteigert worden.
Weitere bereits beschlossene Verschärfungen der Ausweisungsregelungen:
Das Kabinett hat darüber hinaus am 26. Juni 2024 weitere Verschärfungen der Ausweisungsregelungen auf den Weg gebracht, so dass schon allein aus der Billigung terroristischer Straftaten ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse folgt. Der Deutsche Bundestag beabsichtigt, diese Änderung im Oktober zu beschließen.
Was bedeutet das: Wenn jemand dazu aufruft, terroristische Taten zu begehen oder diese gut zu heißen, für diese Taten wirbt oder Schriften zur Hasserzeugung darüber verbreitet, soll er leichter ausgewiesen werden können.
Warum ist das wichtig: Es soll sichergestellt werden, dass alle Verhaltensweisen, die sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung richten, eine Ausweisung zur Folge haben können, auch wenn sie nicht selbst begangen werden. Damit sollen die Behörden für eine Ausweisung nicht erst warten müssen, bis eine Straftat begangen wurde, sondern schon der Aufruf dazu soll für die Ausweisung der Person reichen.